Indiens Regierung sperrt kanadische Mord-Dokumentation auf YouTube

Kanada erhebt schwere Vorwürfe gegen Indiens Regierung. Sie habe aus politischen Motiven einen Kanadier in Kanada ermordet. Indien zensiert eine Dokumentation.​

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Indische Flagge

(Bild: siam.pukkato/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
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Indiens Regierung zwingt YouTube und Twitter zur Sperre einer Dokumentation des öffentlichen kanadischen Rundfunks CBC. Das 43 Minuten lange Video aus der CBC-Sendereihe Fifth Estate heißt Inside the alleged plot by the Indian government to kill Sikh activists in Canada. Der Bericht geht schweren Vorwürfen gegen Indiens Regierung nach. Nach Angaben des kanadischen Premierministers Justin Trudeau gehen Kanadas Ermittler "glaubwürdigen Vorwürfen einer möglichen Verbindung" zwischen dem Mord an einem Sikh-Aktivisten in Kanada und der Regierung Indiens nach. Diese stellt jede Verantwortung in Abrede.

Kanadas Bundespolizei hat Hardeep Singh Nijjar zwar am 17. Juni 2023 vor seiner Ermordung gewarnt, konnte den Anschlag aber nicht verhindern. Am nächsten Tag lauerte ein Kommando mit zwei Autos, zwei Schützen und mindestens vier weiteren Personen Nijar vor seiner Gurdwara in Surrey, einer Stadt im Raum Vancouver, auf und erschoss ihn. Laut US-Bundesstaatsanwaltschaft waren weitere Anschläge in Kanada und den USA Vorbereitung. Wenigstens ein Mord sei verhindert werden: Der für einen Mord an dem New Yorker Anwalt Gurpatwant Singh Pannun bezahlte Mann entpuppte sich als Doppelagent.

Sowohl Nijar als auch Pannun waren beziehungsweise sind gläubige Sikh, die eine frühere Regierung Indiens des Völkermords an Sikh beschuldigen und sich für eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Khalistans einsetzen, einem Gebiet in Indiens Nordwesten an der Grenze zu Pakistan. Diese Bewegung ist der indischen Regierung ein Dorn im Auge, insbesondere dem seit zehn Jahren regierenden Hindu-Nationalisten Narendra Modi.

Indiens Regierung bezeichnet Nijar und Pannun als Terroristen und hat schon vor einiger Zeit Kopfgelder ausgelobt. Indischen Medien hat sie ein Video zur Verfügung gestellt, das den inzwischen ermordeten Nijar bei Schussübungen darstellen soll. Tatsächlich zeigt es einen anderen Mann in Kanada, wie die CBC (Canadian Broadcasting Corporation) in Inside the alleged plot by the Indian government to kill Sikh activists in Canada berichtet.

YouTube und Twitter haben der CBC bestätigt, einen Zensurbefehl des indischen IT-Ministeriums erhalten zu haben. Tatsächlich taucht das Video auf der YouTube-Seite der CBC-Reihe Fifth Estate nicht auf, wenn man den Videodienst über eine indische IP-Adresse ansteuert. Bei direktem Aufruf der Video-URL erscheint der Hinweis, dass das Video wegen eines Regierungsbefehls in Indien derzeit nicht verfügbar ist.

"Wir sind mit dieser Maßnahme nicht einverstanden, und der Auffassung, dass die Redefreiheit sich auch auf diese Beiträge erstrecken sollte", sagt YouTube, "Entsprechend Indiens juristischen Verfahren sind wir derzeit in Verbindung mit den indischen Behörden." Allerdings gibt das zugrundeliegende Zensurrecht, Paragraph 69a des Information Technology Act 2000, der indischen Regierung weite Handhabe. Es reicht, dass die zuständige Behörde zu der Auffassung gelangt ("is satisfied"), dass die Zensur im Interesse der Integrität oder Sicherheit oder Souveränität Indiens ist, oder guten Beziehungen zu anderen Staaten oder der öffentlichen Ordnung dient.

Außerhalb Indiens ist die TV-Dokumentation weiterhin verfügbar. In Deutschland sollen aufgrund des aufwühlenden Inhalts nur Volljährige zuschauen, weshalb ein YouTube-Konto erforderlich ist. Der Fall ist keineswegs der erste seiner Art. Voriges Jahr erregte die Zensur einer BBC-Dokumentation über Indiens Premierminister Modi internationale Aufmerksamkeit. Twitter musste damals auch Tweets sperren, in denen die BBC-Dokumentation lediglich erwähnt wurde.

Die nun betroffene CBC-Dokumentation bezieht sich unter anderem auf Gerichtsakten aus den USA (United States v Gupta, US-Bundesbezirksgericht für das südliche New York, Az. 1:23-cr-00289). Dort ist der Inder Nikhil Gupta der Verschwörung zum Mord an Pannun, der sowohl die kanadische als auch die US-Staatsbürgerschaft besitzt, angeklagt. In Indien ist Gupta demnach ebenfalls angeklagt, allerdings wegen Drogenverbrechen.

Zu den im US-Strafverfahren vorgelegten Beweisen zählen Tonaufnahmen, in denen ein indischer Geheimdienstagent in Indien Gupta ein Angebot macht: Wenn er Ermordungen in Nordamerika organisieren kann, würde die gegen ihn in Indien erhobene Anklage fallen gelassen. Tatsächlich habe Gupta in der Folge Auftragsmorde vorbereitet; in einem abgehörten Telefonat spricht er von einer langen Liste von Zielpersonen. In New York soll Gupta einem Mittelsmann Geld für die Ermordung Pannuns gegeben haben – doch der Empfänger der Zahlung war ein Doppelagent in Diensten der USA. Gupta wurde schließlich in Prag verhaftet, wo er sich jetzt gegen die Auslieferung an die USA wehrt.

Die CBC wollte für die Dokumentation auch mit Indiens diplomatischer Vertretung in Kanada sprechen, erhielt von dort aber keine Antwort. Zu Wort kommen dafür Nijars ältester Sohn Balraj Singh Nijar sowie Gurmeet Singh Toor, der in derselben kanadischen Gurdwara tätig ist, deren Präsident Nijar war. Toor gibt an, vom kanadischen Geheimdienst ebenfalls vor Plänen zu seiner Ermordung gewarnt worden zu sein. Die CBC berichtet, noch von vier weiteren Sikh in Kanada zu wissen, die solche staatlichen Warnungen erhalten haben.

Die Dokumentation erinnert zudem an die gezielte Ermordung Ripudaman Singh Maliks in Kanada im Jahr 2022. Außerhalb der Sikh-Gemeinde war Malik für seinen Freispruch vom Vorwurf der Beteiligung an einem Bombenanschlag auf ein Flugzeug der Air India 1985 bekannt. Malik wurde am 14. Juli 2022 ebenfalls in Surrey ebenfalls von zwei Tätern erschossen. Er war 75 Jahre alt.

Ein Sprecher eines Sikh-Verbandes in der westkanadischen Provinz Britisch-Kolumbien, in der Surrey liegt, berichtet, dass die dortigen Sikhs mehrheitlich der Auffassung sind, dass auch Malik auf Auftrag der indischen Regierung ermordet wurde. Kanada hat zwei wegen Gewalttaten vorbestrafte Männer wegen Ermordung Maliks angeklagt. Die Angeklagten bekennen sich nicht schuldig. Ihr Strafprozess ist für Oktober anberaumt, nähere Details unterliegen aus Sicherheitsgründen einem Publikationsverbot.

(ds)