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Insolvenzverwalter sieht Anzeichen für verschleppte Unister-Insolvenz

Unister

(Bild: dpa, Jan Woitas)

War das Leipziger Internet-Schwergewicht Unister schon lange vor dem großen Crash vor einem Jahr pleite? Dieser Verdacht steht im Raum – und könnte gravierende Auswirkungen haben.

Das Leipziger Internet-Unternehmen Unister [1] ist möglicherweise schon lange vor der Anmeldung der Insolvenz im vorigen Sommer pleite gewesen. Es gebe Anhaltspunkte dafür, dass Unister schon länger zahlungsunfähig gewesen sei, sagte Insolvenzverwalter Prof. Lucas Flöther. Derzeit sammele er dafür gerichtsfeste Beweise.

Sobald diese vorlägen, werde es erste Anfechtungen geben. Unter Umständen könnten Gelder zurückgeholt werden. Zahlreiche Unister-Gesellschaften hatten nach dem Tod des Gründers bei einem Flugzeugabsturz im Sommer 2016 Insolvenz angemeldet.

Verwalter Flöther hat inzwischen große Teile der Unternehmensgruppe verkauft. Unter anderem ging die Unister-Reisesparte, zu der die Portale fluege.de und ab-in-den-urlaub.de gehörten, an einen tschechischen Investor [2]. Das Insolvenzverfahren werde sich voraussichtlich noch einige Jahre hinziehen, sagte Flöther.

Was eine mögliche Verschleppung für das Insolvenzverfahren und möglicherweise auch für Unister-Manager bedeuten könnte, erläutert Lucas Flöther im dpa-Interview.

Birgit Zimmermann, dpa: Wie ist der Stand des Verkaufsprozesses bei Unister?

Lucas Flöther: Wir sind in weniger als einem Jahr gut vorangekommen. Wir hatten ja nicht nur die Aufgabe der Verwertung, sondern auch die Aufgabe der Entflechtung als Vorstufe der Verwertung. Wir haben den gesamten Unister-Travel-Bereich verkauft, aber auch die Non-Travel-Bereiche sind weit fortgeschritten. Wir haben nur noch eine Handvoll offener Portale und Domains. Ich denke, dass wir die spätestens bis Ende des Jahres verkauft haben werden.

dpa: Was würde passieren, wenn sich kein Käufer findet?

Flöther: Das passiert eigentlich relativ selten. Man findet eigentlich immer jemanden, es ist nur eine Frage des Preises. Ich bin da sehr zuversichtlich, zumal wir nicht unter Zeitdruck stehen. Mit dem Verkauf ist das Insolvenzverfahren aber nicht vorbei. Das wird wohl noch mehrere Jahre andauern.

dpa: Was passiert, wenn alles verkauft ist?

Flöther: Der Verwalter muss ja nicht nur die greifbaren Vermögensgegenstände verwerten, sondern er muss auch Forderungen und Anfechtungsansprüche geltend machen. Dazu bedarf es einer Aufarbeitung der Buchhaltung. Wir schauen uns zigtausende Geschäftsvorfälle an, und prüfen, ob es Sachverhalte gibt, die zu weiteren Massezuflüssen führen können.

dpa: Das heißt, Sie suchen danach, ob Sie jemanden haftbar machen können oder nach Schuldnern?

Flöther: Genau. Und wir prüfen außerdem noch, ob es Zahlungen gibt, die der Insolvenzverwalter zurückholen kann. Bei Unister reden wir von großen Umsätzen im dreistelligen Millionenbereich. Gelder können unter Umständen zurückgeholt werden, jedenfalls dann, wenn das Unternehmen schon lange vor Stellung des Insolvenzantrags zahlungsunfähig gewesen sein sollte.

dpa: Es heißt immer wieder, dass Unister schon längst pleite gewesen sein soll.

Flöther: Dafür haben wir einige Anhaltspunkte. Wir haben aber noch keine gerichtsfesten Beweise. Wir sind noch dabei, diverse Fragen aufzuarbeiten. Damit sind auch Wirtschaftsprüfer und Steuerberater beschäftigt. Sobald wir gerichtsfeste Beweise haben, wird es die ersten Anfechtungen gegenüber Zahlungsempfängern geben.

dpa: Das gibt das Insolvenzrecht her?

Flöther: Das Insolvenzrecht ist ein relativ scharfes Schwert. Es besagt: Wenn ein Gläubiger zu einem Zeitpunkt Zahlungen bekommen hat, wo das Unternehmen eigentlich schon insolvenzreif war, muss er diese an die Masse zurückzahlen, damit alle Gläubiger gleichmäßig davon partizipieren können.

dpa: Und das muss man einklagen?

Flöther: Es kommt drauf an. Es gibt sogenannte Profi-Anfechtungsgegner, zum Beispiel das Finanzamt oder Krankenkassen, die wissen ganz genau, was im Gesetz steht, die zahlen auf erste Anforderung des Verwalters. Und es gibt andere Gläubiger, bei denen sich eventuell auch längere Rechtsstreitigkeiten anschließen.

dpa: Ist es nur eine Sache der Justiz oder prüfen auch Sie als Insolvenzverwalter, ob die Insolvenz bei Unister verschleppt wurde?

Flöther: Die Strafjustiz prüft die strafrechtliche Seite. Der Insolvenzverwalter prüft es zivilrechtlich. Der Geschäftsführer, der zu spät Insolvenz anmeldet, der haftet für den dadurch entstandenen Schaden persönlich. Wenn wir feststellen, dass die Insolvenz zu spät eingeleitet wurde, dann entstehen daraus Ansprüche gegen Manager und gegebenenfalls auch Erben von Managern. Diese muss der Insolvenzverwalter geltend machen.

dpa: Strafrechtlich gesehen ist Insolvenzverschleppung ein Delikt, das nur der Geschäftsführer begehen kann. Unister-Chef Thomas Wagner ist tot. Wie ist das zivilrechtlich?

Flöther: Grundsätzlich bestehen die Ansprüche gegen den Geschäftsführer. Aber zivilrechtlich ist es so, dass die Ansprüche sich fortsetzen gegen die Erben. Solange sie das Erbe nicht ausgeschlagen haben. Und bei Thomas Wagner haben die Erben nicht ausgeschlagen. Ob die Ansprüche mit Erfolg geltend gemacht werden können, ist die spannende Frage. Der Nachlass kann auch überschuldet sein. Es ist noch zu früh, um das zu sagen.

dpa: Es klingt, als säße bei Ihnen eine kleine Armee an dem Unister-Fall.

Flöther: Das ist eine kleine Armee. Für solche Verfahren werden deshalb auch nur Insolvenzverwalter beauftragt mit einem großen Backoffice. Bei uns im Büro arbeiten mehr als 100 Mitarbeiter, die aber nicht immer alle nur Unister bearbeiten. Dazu kommt eine große Zahl externer Dienstleister – Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Anwälte.

dpa: Wie kompliziert ist die Aufarbeitung bei Unister?

Flöther: Jede Konzerninsolvenz ist komplex. Bei Unister haben wir mehr als 40 Gesellschaften, die Insolvenz angemeldet haben. Dazu kommen Gesellschaften, die keine Insolvenz angemeldet haben, aber zum Konzern gehören. Das ist schon für sich genommen eine Herausforderung.

Bei Unister kommt noch erschwerend hinzu, dass wir ein ziemliches Chaos vorgefunden haben. Zum Beispiel gab es zwischen den einzelnen Gesellschaften sehr viele Geschäftsverbindungen. Diese sind, um es vorsichtig zu sagen, nicht alle sauber erfasst.

dpa: Zum Preis der verkauften Gesellschaften wurde Stillschweigen vereinbart. Lässt sich trotzdem ungefähr sagen, wie viel Unister wert war?

Flöther: Das ist eine ganz schwierige Frage. Dass wir die Summen, die vor der Insolvenz für Unister geboten worden sein sollen – da war von einer Milliarde die Rede oder von hohen dreistelligen Millionenbeträgen – in der Insolvenz nicht erreichen, liegt auf der Hand. Aber man kann es vielleicht abstrakt sagen: Wir haben schon jetzt Erlöse erzielt, mit denen die Gläubiger zufrieden sind. (kbe [3])


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[1] https://www.heise.de/news/Gutachten-Unister-wohl-schon-laenger-pleite-3342124.html
[2] https://www.heise.de/news/Neuer-Besitzer-fuehrt-Unister-Reisegeschaeft-3674679.html
[3] mailto:kbe@heise.de