Instrumentalisierung der Staatsanwaltschaften durch die Musikindustrie kritisiert
Der Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke hat bei einem Fachgespräch der Grünen zu Internet-Tauschbörsen beklagt, dass Strafverfolger bei der Abfrage von Nutzerdaten verstärkt Gerichte umgehen und sich direkt an Provider wenden.
Der Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke hat bei einem Fachgespräch der Grünen zu Internet-Tauschbörsen beklagt, dass Strafverfolger bei der Abfrage von Nutzerdaten verstärkt Gerichte umgehen und sich direkt an Internetprovider wenden. "Die Musikindustrie hat es perfekt geschafft, die Staatsanwaltschaften zu instrumentalisieren", monierte der Vertreter der Kanzlei Wilde & Beuger am heutigen Mittwoch in Berlin. Es seien "Super-Schnittstellen" für die Rechteinhaber geschaffen worden.
Konkret führte Solmecke aus, dass immer mehr Staatsanwaltschaften auf Basis von Paragraph 113 Telekommunikationsgesetz (TKG) von den Zugangsanbietern Auskunft über Bestandsdaten wie Name und Anschrift des Nutzers einer IP-Adresse verlangen. Eigentlich sind dem Anwalt zufolge bei einer solchen Abfrage aber Verbindungsdaten im Spiel, sodass für die Herausgabe der begehrten Informationen aufgrund von Paragraph 100g der Strafprozessordnung (StPO) ein richterlicher Beschluss erforderlich sei. "Manche Staatsanwaltschaften fragen schon noch den Richter", erläuterte Solmecke weiter. Dies sei aber mit einem gewissen Risiko verbunden, sagte der Anwalt unter Verweis auf ein Urteil des Amtsgerichts Offenburg. Dieses hatte jüngst eine Herausgabe von Nutzerdaten verweigert, da von Seiten der Rechteinhaber Bagatellfälle angeführt worden seien.
Solmeckes Kanzlei vertritt 200 der von Rechteverwertern hierzulande verklagten Tauschbörsen-Nutzer, deren Gesamtzahl der Anwalt auf insgesamt rund 200.000 schätzt. Die typischen Täter und Verdächtigten seien zu über 90 Prozent Jugendliche und Kinder. Darunter seien viele unter 14 Jahre alt und so strafrechtlich nicht in Anspruch zu nehmen. Bei den anderen könnten sich die Eltern oft darauf berufen, dass sie ihren Sprösslingen Filesharing untersagt hätten. Nur Hamburger Richter hätten es hier bereits für erforderlich gesehen, notfalls mit Hilfe eines IT-Experten die Nutzung von Tauschbörsen tatsächlich zu verhindern. Generell würden rund 97 Prozent der Strafverfahren rund um Urheberrechtsverletzungen im P2P-Bereich eingestellt.
Dieser geringen Ausbeute für den Staat stellte Solmecke die immensen Kosten der Strafanzeigen-Maschinerie der Musik-, Film- und Computerspiele-Industrie entgegen. Provider würden für eine Auskunft gegenwärtig 18 Euro berechnen. Dazu kämen bei den Staatsanwaltschaften rund 200 Euro pro Fall. Bei 200.000 verfolgten Klagen werde der Staatshaushalt so mindestens schon mit 45 Millionen Euro belastet. Diese hohen Ausgaben müssten im Verhältnis gesehen werden zu den angerichteten Schäden, die von den Rechteinhabern mit Summen zwischen 30 Millionen und einer Milliarde Euro angegeben würden.
Dazu kommt dem Anwalt zufolge, dass die Beweisführung nicht immer eindeutig sei. Eigentlich dürften IP-Adressen bei Flatrates überhaupt nicht gespeichert werden, erinnerte Solmecke an ein entsprechendes Urteil des Bundesgerichtshofs. Überdies würden Probleme mit offenen WLAN-Netzen, Wohngemeinschaften oder Ehepartnern auftreten. Ferner habe es Fälle gegeben, in denen schon bei DSL-Anschlüssen die IP-Nummern vom Anbieter falsch zugeordnet worden seien. Die von der Musikindustrie verwendeten Hash-Werte zur Identifizierung von Songs seien auch nicht immer eine eindeutige Lösung.
Die Hauptfragen fangen laut Solmecke aber erst im Zivilverfahren an, in dem die Rechtehalter in der Regel eine Unterlassungserklärung und Schadensersatz fordern. Hier gehe es vor allem um die Höhe des Streitwertes und die sich daraus ableitenden Abmahngebühren. Besonders besorgt stimmte den Anwalt dabei, dass die für die Musikindustrie tätige proMedia GmbH vor dem Landgericht Köln am 18. Juli bei 50 Songs nicht nur den angesetzten Streitwert in Höhe von 250.000 Euro geltend machen konnte. Vielmehr habe die Richterin befunden, dass auch 10.000 Euro pro Lied angebracht gewesen wären. Deswegen "muss eine Deckelung des Streitwertes und der Abmahnkosten her", betonte Solmecke. Andernfalls würden die Betroffenen bei der seiner Ansicht nach widerrechtlichen Einberechnung auch allgemeiner Abschreckungseffekte von den massiven Forderungen "meist überrollt". Der umstrittene Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur besseren Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte sieht hier eine Kappung der Anwaltsgebühren auf 50 Euro in geringfügigen Fällen beim ersten Mal vor.
ProMedia-Chef Clemens Rasch betonte dagegen, dass seine Auftraggeber "Rücksicht auf sozial Bedürftige" nähmen und die geforderten Ausgleichszahlungen "nicht allein an Dateizahlen" festmachen würden. Zugleich gibt es seiner Meinung nach nichts an Gerichtsbeschlüssen zu rütteln, wonach Anschlussinhaber für darüber getauschte Inhalte verantwortbar seien. Zugleich zeigte er sich besorgt, dass der im Durchsetzungsgesetz geplante zivilrechtliche Auskunftsanspruch gegen Provider entgegen der Zielsetzung des Vorhabens "nicht weiterhilft" und an allgemeinen Datenschutzvorschriften zu scheitern drohe. Weitere Probleme habe die Musikindustrie mit dem vorgesehen Richtervorbehalt im Internetbereich, der "die Sache umständlich macht", sowie mit der "Einschränkung des Anspruchs zur Nutzerdatenabfrage auf Handeln im geschäftlichen Verkehr".
Ein Vertreter des Bundesjustizministeriums verteidigte die in den Entwurf eingebauten Schranken. Der auch von der entsprechenden "EU-Durchsetzungsrichtlinie" vorgesehene Richtervorbehalt etwa sei erforderlich, da Verkehrsdaten besonders geschützt seien und auch die Provider vor einer "Flut" von eigenhändig zu prüfenden Anfragen bewahrt werden müssten. Bei der Verabschiedung des Vorhabens sei aber Eile geboten, da die EU-Kommission gegen Deutschland und andere Staaten bereits ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet habe. Innerhalb der großen Koalition zeichnet sich laut dem Rechtsexperten der Grünen, Jerzy Montag, nach der im Juni abgehaltenen Anhörung aber noch keine Einigung über Änderungen am Regierungspapier ab. Er plädierte dafür, die Richtlinie "so restriktiv wie möglich umzusetzen". Da es sich beim Filesharing um ein "gesellschaftliches Phänomen" handle, sei auch nach Wegen zu suchen, um jugendlichen Nutzern auf nicht sofort justiziabler Ebene klar zu machen, "dass ihr Handeln nicht OK ist". Dafür könne eine Warnung vom Provider bei einem ersten von Rechteinhabern ausgemachten Verstoß infrage kommen.
Matthias Mehldau vom Chaos Computer Club (CCC) empfahl der Musikindustrie, lieber endlich ernsthaft neue Geschäftsmodelle auszuprobieren, als ein "erhebliches Überwachungspotenzial für eine echte Kontrolle von Filesharing" aufzubauen. "Wieso macht ihr das mit der Musikflatrate nicht mal?", fragte der Hacker. Ansonsten sollten die Labels Filesharer gemäß dem Potato-Modell mitverdienen lassen am Verkauf von Songs, die sie Freunden empfehlen. Interessant sei auch, Knöpfe für freiwillige Spenden einzurichten oder Songs in schlechterer Qualität zur Werbung kostenfrei anzubieten. Selbst ein kollektiver "Freikauf der Erstveröffentlichung" eines Werks könne funktionieren, wenn den Nutzern genügend Anreize geboten würden. Hoffnungen der Industrie auf Kopierschutz und Systeme zum digitalen Rechtekontrollmanagement (DRM) verwies Mehldau dagegen ins Reich der Märchen. (Stefan Krempl) / (pmz)