Internet-Klatschjournalist "enthüllte" Clinton-Sexstory

Sie galten als wahre Enthüllungshelden, Carl Bernstein und Bob Woodward, Reporter der Washington Post, die durch zähe journalistische Arbeit maßgeblich dazu beitrugen, Richard Nixon 1974 vom US-Präsidentensessel zu stoßen; zwei Jahre nach Beginn der

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 2 Min.
Von
  • Adolf Ebeling

Sie galten als wahre Enthüllungshelden, Carl Bernstein und Bob Woodward, Reporter der Washington Post, die durch zähe journalistische Arbeit maßgeblich dazu beitrugen, Richard Nixon 1974 vom US-Präsidentensessel zu stoßen; zwei Jahre nach Beginn der Watergate-Affäre.

Heute wird ungeniert geklaut, oder, wie es zynisch heißt, die Story eines anderen "geoutet". Das Internet macht's möglich. Die Charge der Endneunziger heißt Matt Drugde, der aus seinem Hollywood-Apartment eine Internet-Klatschspalte führt.

Was war geschehen? Über ein Jahr lang hatte Newsweek-Reporter Michael Isikoff wie ein Spürhund die Fährte der Monica Lewinsky, Ex-Mitarbeiterin im Weißen Haus, verfolgt, schließlich hält er Tonbänder mit Gesprächen zwischen ihr und ihrer "Freundin" Linda Tripp in den Händen, in denen Lewinsky von angeblichen sexuellen Beziehungen zum US-Präsidenten Clinton spricht. Doch der Chefetage von Newsweek erscheint, aus guten Gründen, die Authentizität der Bänder und die Glaubwürdigkeit von Lewinsky als zweifelhaft, und man entscheidet am Sonnabendmittag des 17.1.1998, mit der Veröffentlichung der Story noch eine Woche zu warten.

Nicht so Matt Drudge, der Wind von der Geschichte bekommt und ungeprüft am frühen Morgen des nächsten Tages, um 6:11 Uhr, die Gerüchte ins Internet stellt und an seine angeblich mehr als 80 000 Abonnenten expediert. Weiter geht's Schlag auf Schlag, die Fama fliegt über die News-Groups "alt.current-events.clinton.whitewater" und "alt.impeach.clinton" weltweit durchs Netz. Mit Tagesverspätung dann nehmen die großen US-Medien das Thema auf.

"Love him or hate him", konstatiert die BBC und sieht in Matt Drudges Internet-Sensationsmeldung den sichtbaren Beweis für einen tiefgreifenden Wandel des Journalismus. Doch scheint man nicht ohne klammheimliche Freude darüber zu sein, daß dem ungelernten Schreiber eine Millionenklage wegen Rufmords in einem anderen Fall anhängt. Pikanterweise hatte Drudge im August 1997 einen Angehörigen des Weißen Hauses, Sydney Blumenthal, als Frauenschläger bezichtigt und sich später, nachdem die Meldung durchs Internet zirkuliert war, entschuldigen müssen. Aber dies reicht längst nicht aus, wie Blumenthals Anwalt meint.

Clinton hatte sich hinter Blumenthal gestellt. War also Drudges Skandal-Report nur ein schnöder Racheakt? (ae)