Interview: Arnold Crane und die Giganten der Fotografie

Arnold Crane gehört zu den wichtigsten Fotografen unserer Zeit. Ihm gelang es, die ganz Großen der Fotokunst, die sonst lieber hinter der Kamera stehen, vor die Linse zu holen. Was er dafür tun musste, lesen Sie auf heise Foto.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 14 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Sabine Tropp
  • seen.by

Arnold Crane im Portrait

(Bild: Ramona Oltmanns )

Arnold Crane genoss einen einzigartigen Zugang zu den berühmtesten Fotografen unserer Zeit. Mit seinen Porträts von Man Ray, Walker Evans oder Edward Steichen gehört der Amerikaner zur Riege der großen Dokumentar- und Porträt-Fotografen. Im Gespräch mit seen.by äußert er sich über seine Leidenschaft für die Künstler, die Wirklichkeit der Schwarz-Weiß-Fotografie und seine Ablehnung gegenüber manipulierten Bildern.

Frage: Warum wollten Sie Ikonen der Fotografie ablichten?

Arnold Crane: Sie waren Giganten, die die Fotografie zu der Kunst machten, die sie heute ist und wovon auch in 100 oder 200 Jahren noch etwas übrig bleiben wird. Es sind Pioniere der Fotografie wie William Fox Talbot, Hippolyte Bayard oder Erich Salomon, der erste Fotojournalist. Außerdem Künstler wie Edward Steichen, Paul Strand, Brassai, Man Ray, Robert Doisneau und viele andere. Keinesfalls digitale Fotografen.

Frage: War es schwierig, die Fotografen vor die Kamera zu holen?

Crane: Sie standen nie im buchstäblichen Sinne vor der Kamera. Ich war kein Fremder für sie und verbrachte viel Zeit mit ihnen. Ich wollte ihnen für die Zukunft ein Denkmal setzen, aufzeichnen, wie sie lebten und wer sie waren. Ich habe selbst diese Grenze überschritten, als Dokumentarist, als Foto-Journalist, Künstler und als porträtierte Person.

Frage:Wie zum Beispiel bei Walker Evans, ein Großmeister der Dokumentarfotografie, der sonst nie jemanden so nahe an sich ließ?

Crane: Mit ihm entstand eines meiner Lieblingsbilder. Ich verbrachte einige Wochenenden mit ihm. Wir frühstückten zusammen. Wir rauchten meine guten kubanischen Zigarren. Da entstand dieses unglaubliche Bild. Der Rauch quoll aus seiner Zigarre – und mit einemmal passierte es. Ich hatte meine Kamera griffbereit – zu jeder Zeit.

Frage:Wie verhält sich ein Fotograf, wenn er vor und nicht hinter der Kamera steht?

Crane: Jeder verändert sich vor der Kamera. Deshalb kam ich nicht eben mal vorbei, schoss und ging dann wieder. Ich blieb und wurde für einige Zeit zur Fliege an der Wand in ihrem Leben. Sie gewöhnten sich an mich. Einige machten es sich schnell bequem, andere taten so, als seien sie genervt, bis sie aufgaben. Das war der Moment für mich. Das Bild, das nach dem Bild entstand, wenn sie wirklich entspannten und mir keine Aufmerksamkeit mehr schenkten. Ich veränderte kein Licht, nichts vor mir. Die Bilder sind, was sie sind. An dem Bild von Edward Steichen und seinen beiden Hunden im Wohnzimmer habe ich höchstens mal "nicht bewegen" gerufen! Ich will die Situation nicht lenken, ich will sie wahren.

Frage: Ich kenne von Ihnen nur Schwarz-Weiß-Aufnahmen...

Crane: Farbe wirkt sehr schnell glatt. Schwarz-Weiß zu fotografieren ist wirklicher. Es ist das Schönste und Wunderbarste, wenn es wirklich gut ist. Ich liebe es einfach.

Frage: Wann begann diese Leidenschaft für die Fotografie?

Crane: Fotografie war seit meinem zweiten Lebensjahr meine große Liebe. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob meine Erinnerung ganz richtig ist. Meine Eltern hatten mich mit dem Babysitter allein zu Hause gelassen. Die Kamera lag auf einem niedrigen Tisch im Wohnzimmer. Ein Kunde, der zu arm war, meinen Vater zu bezahlen, ließ sie in seiner Apotheke als Pfand zurück. Es waren harte Zeiten in Chicago. Amerika litt unter der Depression. Ich nahm die Kamera und verliebte mich auf der Stelle in das, was ich durch den Sucher sah.

Arnold Crane: Auf der anderen Seite der Kamera (9 Bilder)

Arnold Crane with mirrors. (Bild: © ARNOLD CRANE)

Frage: Womit haben Sie die Bilder der Ausstellung aus Ihrem Buch "On the Other Side of the Camera" gemacht?

Crane: Mit Leicas und Nikons. Ich liebe den Look meiner Leica M und ihrer Linsen. Die Linsen baute ich sogar in meine automatischen Nikons ein. Das einzige Mal, dass ich eine andere Kamera verwendet habe, war bei dem Bild von Arnold Newman. Ich benutzte eine Contax RTS 3. Es war die beste und ergonomischste Kamera, die es jemals gab. Wir wurden eins, wenn ich mit ihr arbeitete. Leider wird sie nicht mehr gebaut.

Frage: War es für Sie schwierig, nie die Distanz zum Motiv zu verlieren?

Crane: Nein, Abstand zu halten habe ich in meiner Zeit als Rechtsanwalt für medizinische Rechtsfragen gelernt. Als Fotojournalist arbeitete ich nebenher für Zeitungen in Chicago. Meine linke Gehirnhälfte war für die juristische Arbeit da, die andere fürs ästhetische. Die ziehe ich allerdings vor, da bin ich auch die angenehmere Person.

Frage: Was vermissen Sie in der gegenwärtigen Fotografie?

Crane: Eine Menge. Jemand sagte einmal, die Malerei sei tot, als die Fotografie aufkam. Jetzt ist es die Fotografie, wie wir sie von früher kennen. Mit der digitalen Fotografie entstand eine völlig neue Ära, zumindest nach meiner Meinung. Ich mag diese Tricks nicht, die die Digitalisierung ermöglicht. Natürlich gab es früher schon Manipulation, wie zum Beispiel bei Man Ray (Anm.: Dada-Künstler 1890–1976) oder László Moholy-Nagy (Anm.: Bauhaus-Künstler 1895–1946). Aber die meisten Fotografen arbeiteten damals unmittelbar und unverfälscht. Wir waren auf das angewiesen, was vor uns passierte. Ich denke, wir lernten damals, die Dinge gründlicher zu betrachten. So arbeite ich auch heute noch. Wenn wir etwas verändern wollten, wechselten wir die Linsen. Die Bilder waren zu 100 Prozent Abzüge von Negativen. Im Digitalen wird hinterher hier und da etwas zugefügt, ob das drei Leute sind oder hundert Paar Schuhe...

Frage: Gibt es für Sie in der Gegenwart große Künstler, die Sie gerne fotografieren würden?

Crane: David Hockney, Chuck Close und Jim Dine gehören zu den Genies unserer Zeit. Sie sind Maler und Fotografen zugleich. In der modernen Fotografie gibt es niemanden, für den ich vor Begeisterung sterben würde. Das Meiste ist in irgendeiner Weise manipuliert.

Frage: Glauben Sie, dass es eine Wiederkehr der Schwarz-Weiß-Fotografie geben wird?

Crane: In Amerika passiert gerade einiges. Es gibt es eine Gruppe namens "Dancing with speeds". Sie fotografieren digital und übertragen selber in Schwarz-Weiß, weil es keine spezialisierten Labore mehr dafür gibt. Ich glaube, sie haben verstanden, dass Schwarz-Weiß auf eine gewisse Weise wirklicher ist als Farbe, so wie beim Radio. Es lässt Platz für die Vorstellungskraft. Ein guter Fotograf bringt den Betrachter zurück in die Situation und schafft es, diese verständlich zu machen, auch ohne Farbe. Und mache ich heute noch Bilder? Natürlich! Ich habe immer meine Leicas dabei, falls ich ein richtiges Foto machen möchte. Unterwegs benutze ich auch eine digitale Kamera, eine kleine 12-Megapixel-Nikon. Die ist aber mehr ein Spielzeug. (ssi)