Interview: Israel und Palästina im Blick eines jungen deutschen Fotografen

Jonas Opperskalski kam 2010 für das ARD Studio in Tel Aviv nach Israel - und blieb. Seine Bilder, die im Münchner Stadtmuseum zu sehen sind, zeigen eine Region voller Widersprüche und Leid, aber auch voll großer Hoffnung und Kraft.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Dr. Thomas Hafen


In Ihrem Projekt „Goodbye Mr. President“, die der Ausstellung im Münchner Stadtmuseum ihren Namen gegeben hat, setzen Sie sich mit der aktuellen politischen Situation vor allem der Jugend im Nahen Osten auseinander. Was charakterisiert die Verhältnisse?

Opperskalski: Es fehlen die Führungspersonen, sowohl im Inland als auch im Ausland, die in der Lage wären, auf diplomatischen Weg die Lösung des Konflikts voranzutreiben, so wie dies in den 1970er oder auch 1990er Jahren noch möglich schien. Das lässt die jüngere Generation, die ohnehin wenig Interesse an institutionalisierter Politik hat, visionslos zurück. Die jungen Leute auf palästinensischer und israelischer Seite sind sich heute viel ferner, als noch vor 10 oder 15 Jahren. In den palästinensischen Gebieten wächst eine Generation heran, die nichts anderes kennt, als unter einer Besatzungsmacht zu leben. Der Gaza-Streifen ist seit 2006 von Israel praktisch völlig abgeschottet. Diese Situation spielt bei der aktuellen neuen Welle von Gewalt eine große Rolle.

Sie bebildern Reportagen über völkerrechtswidrige Siedlungen im Westjordanland, aber auch Reise- und Lifestyle-Berichte. Wie sieht denn das „wahre, echte“ Israel aus?

Mehr Infos

Über die Ausstellung

  • Die Ausstellung Jonas Opperskalski - Goodbye Mr. President läuft noch bis zum 22. Mai 2016 im Münchner Stadtmuseum.
  • Adresse: Münchner Stadtmuseum, St.-Jakobs-Platz 1, 80331 München
  • Öffnungszeiten: Dienstag - Sonntag 10.00-18.00 Uhr, Montags geschlossen
  • Eintritt: Tageskarte 7 Euro / ermäßigt 3,50 Euro, Personen unter 18 Jahren frei.

Opperskalski: Für mich ist das alles Teil der Realität Israels und Palästinas und eines komplexeren Bildes der Region, das ich in meiner Arbeit zeigen möchte, sowohl in Auftragsarbeiten als auch in meinen freien Projekten. Israel und Palästina sind eben nicht nur vom Nahostkonflikt geprägt, es gibt nicht nur Schwarz und Weiß. Territoriale und ethnische Grenzen verschwimmen teilweise und Abstufungen reichen von einem sehr modernen Leben in Überfluss und Luxus bis zu einem sehr kargen.

Wie kann man diese komplexe politische Situation in Bilder fassen, ohne in die Klischees von Steine werfenden palästinensischen Jugendlichen, ultra-orthodoxen Juden mit Kippa und Schläfenlocken, oder jungen Israelis in Uniform und mit Maschinengewehr im Anschlag zu verfallen?

Opperskalski: Ob ein Bild zum Klischee wird hängt auch von der Intention des Verwerters und dem Kontext, in welchem das Bild erscheint, ab. Zunächst spiegeln die genannten Motive eine tatsächliche, nicht zu verleugnende Realität wieder, das Aussehen der Region, das Aussehen der Leute. Sie geben einen visuellen Kodex vor, dem auch ich mich nicht entziehen kann, wenn ich die Wirklichkeit abbilden möchte. Ich versuche allerdings, diese Motive neu zu fassen und in eine etwas andere Richtung zu bringen, einen gewissen Klang zu erzeugen. Dabei geht es nicht darum, die Realität zu verändern, sondern darum, zwischen und neben den Bildern eine Atmosphäre zu schaffen, in der der Betrachter seinen ersten Eindruck oder auch seine Vorurteile noch einmal überdenkt.

Wie sehen Sie Ihre Arbeit? Sind sie neutraler Beobachter oder verstehen Sie Ihre Bilder als Beitrag zu einer sozialeren, gerechteren Welt?

Opperskalski: Ich bin zwar ein Bewunderer der vielen sozialpolitisch denkenden und arbeitenden Fotografen, sehe mich aber nicht so in dieser Tradition. Ich denke, dass wir als Fotografen nur sehr bedingt zu einer besseren und gerechteren Welt beitragen können. Als Medienschaffende sind wir sogar oft Teil des Problems. Wir gehen an dieselben Orte, bringen als Fotografen die immer gleichen Motive in die Redaktionen, pitchen ähnliche Stories und bewegen uns damit in einem gewissen Teufelskreis. Wir stehen in vorderster Front und wollen die Bilder von Steine werfenden palästinensischen Jugendlichen haben. Dann kann es durchaus sein, dass der palästinensische Junge ein größeres Risiko eingeht und vielleicht nur deshalb einen Stein wirft, weil die Presse vor Ort ist. Selbstverständlich gibt es auch viele Beispiele von ausgezeichneter Berichterstattung.

Wie gehen Sie persönlich mit diesem Problem um?

Der Fotograf Jonas Opperskalski kam 2010 für ein Praktikum als Kameraassistent ins ARD-Studio Tel Aviv nach Israel und lebt noch heute dort.

(Bild: Jonas Opperskalski )

Opperskalski: Ich versuche, solche Situationen weitgehend zu vermeiden. Ich stelle mir immer die Frage, ob dieses Bild wirklich so wichtig ist für mich und meinen Auftraggeber. Es ist schon mehrfach vorgekommen, dass ich mich dafür entschieden habe, nicht zu fotografieren oder erst gar nicht zu bestimmten Ereignissen wie Demonstrationen und Ausschreitungen hinzugehen. Ich muss zum Glück nicht diese tagesaktuellen Bilder liefern, sondern habe die Möglichkeit auszuwählen. Ich hoffe, dass man das auch in meiner Arbeit sieht.

Ein wiederkehrendes Thema in Ihren Arbeiten ist Vertreibung und Flucht. Wie weit ist Israel von den aktuellen Flüchtlingsströmen betroffen und wie geht Israel mit den Flüchtlingen um?

Opperskalski: Obwohl Israel sich verpflichtet hat, Flüchtlinge aufzunehmen, kommt es diesem Abkommen nicht nach. Seit 2013 sind die Grenzen zu Ägypten und dem Sinai dicht. Denjenigen, die es trotzdem schaffen oder die bereits im Land sind, wird das Leben sehr schwer gemacht. Sie erhalten keinen Flüchtlingsstatus, werden zum Teil in ein Auffanglager in der Wüste beordert und landen für die kleinsten Vergehen hinter Gittern. Wer ausreisen will, bekommt Bargeld und die Flüge bezahlt. Diejenigen, die sich darauf einlassen, werden meist ohne Papiere in afrikanische Drittländer ausgeflogen, wo sie oft wieder in Lebensgefahr sind.

Wie erklären Sie sich, dass Israel derart Menschenrechte und internationale Vereinbarungen missachtet?

Opperskalski: Leider reiht sich Israel in eine lange Liste westlicher Industrienationen ein, welche versuchen "unerwünschte" Migration zu verhindern. Dazu kommt, dass die derzeitige Regierung den jüdischen Charakter des Landes stärken will und deshalb versucht, jede nichtjüdische Immigration zu unterbinden oder solche Randgruppen sogar aus dem Land zu vertreiben. Andererseits hat die Vernachlässigung der Flüchtlinge durch die israelischen Behörden auch Freiräume geschaffen, welche viele überwiegend eritreischen und sudanesischen Flüchtlinge sehr gut zu nutzen wissen – im Süden von Tel Aviv hat sich eine regelrecht blühende, kleine Gemeinschaft gebildet.

Wenn man manche der Artikel liest, für die Sie Bilder geliefert haben, bekommt man den Eindruck, dass in der Region jeder jeden unterdrückt: Die Israelis unterdrücken die Palästinenser, diese wiederum die christliche Minderheit in Palästina …

Opperskalski: In der Tat gibt es in der Region und der israelischen Gesellschaft eine komplexe Rangordnung, sowohl zwischen den Ethnien und Religionen als auch innerhalb. Die palästinensischen Muslime, von denen knapp eineinhalb Millionen auf dem Staatsgebiet Israels leben, stehen in der gesellschaftlichen Hierarchie weit unten und werden häufiger institutionell benachteiligt. Den christlichen Palästinensern geht es etwas besser. Bei den Juden kommt es darauf an, wer wann aus welcher Region eingewandert ist. Meiner Meinung nach kann man durchaus behaupten, dass die hierarchischen Strukturen in Israel auf gewisse Weise ein Spiegelbild der westlichen gesellschaftlichen Rangordnung ist – von West nach Ost und von Nord nach Süd. Ein Israeli mit äthiopischen Wurzeln läuft eher Gefahr benachteiligt oder sogar rassistisch angegriffen zu werden, als ein Einwanderer aus Mitteleuropa. Das hat nicht nur mit der politischen Situation vor Ort zu tun, sondern ist auch repräsentativ für global auftauchende rassistische Tendenzen, welche von Konflikten und der Angst vor Terrorismus befeuert werden.

Woran liegt diese extreme Ausdifferenzierung der Gesellschaft?

Opperskalski: Politisch betrachtet ist das moderne Israel ein Konstrukt, in der Realität fast eine Utopie. In diesem extrem jungen Staat leben die verschiedensten Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern zusammen. Es ist ein faszinierendes Experiment und einer der Hauptgründe, warum ich hier bin. Es funktioniert irgendwie ja doch, trotz der großen Herausforderungen und vielen Probleme.

Wollen Sie diese Botschaft auch den Besuchern Ihrer Ausstellung mitgeben?

Opperskalski: Auf jeden Fall. Mein Hauptinteresse ist es, diese Region als einen komplexen Ort zu zeigen, mit seinen vielen Widersprüchen aber auch mit den vielen individuellen Schicksalen, die manchmal wie Filmszenen anmuten, fast unvorstellbar sind. Ich wünsche mir, dass der Betrachter sich mit dem Ort so auseinandersetzt, dass er einen persönlichen Zugang bekommt, die abgebildeten Menschen als Individuen erkennt und ein bisschen von ihrem Leben spürt. In diese Richtung geht auch die zweite Arbeit, die in der Ausstellung zu sehen ist, mein Projekt The 12 Million. Es bezieht sich auf die zwölf Millionen Menschen, die in der Region leben – acht Millionen Israelis und vier Millionen Palästinenser.

Wenn ich mir nur ein Bild in der Münchner Ausstellung genauer ansehen würde, welches sollte das Ihrer Ansicht nach sein?

Opperskalski: Die Arbeit funktioniert als Serie. Jedes Bild erzählt zwar seine eigene Geschichte, aber erst die Kombination der einzelnen Fragmente schafft ein Gefühl beim Betrachter für die Gesamtsituation. Das hoffe ich zumindest. (keh)