Interview Marc Beckmann: "Die Essenz des Tages"

Elf Jahre lang hat Marc Beckmann Jahrestage dokumentiert, die an historische Ereignisse der vergangenen hundert Jahre erinnern. Wir haben den Fotografen anlässlich seiner Ausstellung im Münchener Stadmuseum interviewt.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Dr. Thomas Hafen

Geboren wurde Marc Beckmann 1978 Peru, aufgewachsen ist er aber in Deutschland. Er studierte von 2000 bis 2006 Fotografie an der Fachhochschule Bielefeld und lebt heute als freier Fotograf in Berlin. Seine Bilder sind in Magazinen wie Stern, Geo, Brigitte oder Neon erschienen.

Für das Projekt Jahrestage erhielt er 2013 den C/O Berlin Talents Award, jetzt wird es in München ausgestellt. Elf Jahre lang hatte er dafür Jahrestage dokumentiert, die an historische Ereignisse der vergangenen hundert Jahre erinnern – darunter so ferne wie die Schlacht von Verdun oder das Ende des Zweiten Weltkriegs und so aktuelle wie der Anschlag vom 11. September oder die ägyptische Revolution. Seine Bilder verweigern sich der offiziellen Lesart und zeigen ein Gedenken jenseits von Ansprachen und Paraden. Dr. Thomas Hafen hat ihn für heise Foto zum Interview getroffen.

Frage: Geburtstag, Hochzeitstag – wie wichtig sind Ihnen persönliche Jahrestage?

Marc Beckmann: Seit ich eine Tochter habe, ist natürlich deren Geburtstag ein wichtiger Jahrestag. Sonst habe ich wenig Bezug dazu, meinen eigenen Geburtstag feiere ich zum Beispiel kaum.

Wie kamen Sie dann auf die Idee, offizielle Jahrestage zu fotografieren?

Beckmann: Das ist etwas völlig anderes, da geht es darum, wie wir uns an wichtige historische Ereignisse erinnern und um unseren Umgang mit Geschichte. Bei diesen Jahrestagen kommt ja auch immer eine Identität zum Ausdruck. Wie diese Identität an dem Tag geformt und präsentiert wird, das ist eine wichtige Sache für die Menschen.

Sie haben ganz unterschiedliche Jahrestage fotografiert, von den Feierlichkeiten zum Prager Frühling über den 30. Jahrestag der islamischen Revolution im Iran bis hin zum Gedenken an den 11. September in New York. Haben diese Jahrestage etwas gemeinsam?

Beckmann: Ich habe die Jahrestage der vergangenen 100 Jahre gewählt. Dort wird Ereignissen gedacht, die unsere "westliche" Sicht auf die Welt verändert und uns geprägt haben. In der Erinnerungsforschung sind die letzten drei Generationen noch Träger eines sehr lebendigen Gedächtnisses das noch persönlich durch Zeitzeugen überliefert wird. Daher war für mich diese Zeitspanne sehr interessant. Was weiter zurückliegt, ist eine Sache von Archiven und Museen und berührt die Menschen anders. Ich habe auch ein paar Gedenktage für länger zurückliegende Ereignisse fotografiert, zum Beispiel den für die Schlacht bei Königgrätz 1866. Das ist teilweise nur noch Folklore, das finde ich nicht spannend.

Gibt es Jahrestage, die Sie gerne fotografiert hätten, aber wo es zu gefährlich war?

Beckmann: Es war eher immer eine Frage des Geldes. Ich habe alles frei finanziert und hatte keine Auftraggeber. Da ich analog mit einer Mamiya 7 fotografiert habe, konnte ich auch keine digitalen Bilder an Nachrichtenredaktionen oder ähnliches schicken. Und bei den Magazinen hieß es immer: "Ach ja, schön, aber irgendwie passt das nicht, was sollen die Redakteure dazu schreiben?" oder: "Das ist zu groß, da müssten wir ja das ganze Heft frei räumen."

Wie finden Sie Ihre Motive? Schauen Sie sich das Gelände im vorhinein an? Gibt es eine Art "Storybook"?

Beckmann: Ich akkreditiere mich ganz normal als Journalist beziehungsweise Fotograf und mache das offizielle Presseprogramm mit. Ich informiere mich im Vorfeld über die Veranstaltung und beschäftige mich auch mit wissenschaftlicher Literatur zur Erinnerungsforschung. Bei der Veranstaltung selbst schaue ich, dass ich Szenen finde, die sich abseits des offiziellen Programms abspielen. Ich glaube, dass man an diesen Nebenschauplätzen viel mehr die Essenz des Tages mitbekommt. Das offizielle Programm ist immer eine Darstellung der Geschichte durch die aktuell Herrschenden. Seit ich eine Tochter habe, ist natürlich deren Geburtstag ein wichtiger Jahrestag. Sonst habe ich wenig Bezug dazu, meinen eigenen Geburtstag feiere ich zum Beispiel kaum.

Sagen Sie damit auch: Die Jahrestage gehören allen und nicht nur denen, die die Inszenierung beherrschen?

Beckmann: Jahrestage sind immer inszeniert und belegt mit gewissen Bildern. Die Deutungshoheit hat in der Regel der Sieger und dessen Sicht wird jedes Jahr aufs Neue bestätigt. Ich kann mit schwer vorstellen, wie ein Jahrestag davon unabhängig existieren könnte. Nicht immer gibt es im Übrigen nur eine Deutungsmöglichkeit. Ich habe ein Bild aus Sarajevo, auf dem die verhüllte Statue von Gavrilo Princip zu sehen ist, dem Attentäter, dessen Mord an Erzherzog Franz Ferdinand den ersten Weltkrieg auslöste. Die Serben feiern ihn und die westliche Welt verdammt ihn.

Wie begehen die Menschen die Jahrestage? Sind sie froh, mal einen Tag frei zu haben oder gibt es Spannungen, gerade dort, wo die Deutung nicht so klar ist?

Beckmann: Es gibt immer Spannungen, vor allem im Vorfeld. In New York war zum Beispiel vor dem 11. September immer die Hölle los, mal sollte eine Moschee gebaut werden, dann gab es diesen verrückten Prediger, der den Koran verbrennen wollte. Zum runden zehnten Jahrestag hieß es dann "Nun lassen wir mal jede Diskussion beiseite, haben uns alle lieb und begehen das jetzt würdevoll."

Welcher Jahrestag ist denn der nächste, den Sie fotografieren werden?

Beckmann: Ich habe elf Jahre an diesem Projekt gearbeitet, jetzt ist Schluss. Ich will den Kopf frei haben für Neues. Natürlich hätte ich gerne noch den eine oder anderen Jahrestag mitgenommen, aber ich glaube, dass wäre dann zu akademisch geworden, nach dem Motto "Jetzt brauche ich noch den, dann habe ich die Reihe voll." Das wäre Quatsch gewesen.

Das Gespräch führte Dr. Thomas Hafen für heise Foto. (keh)