Interview mit Rineke Dijkstra: Fotos vom Dancefloor

Die Spezialität der niederländischen Fotografin Rineke Dijkstra sind Porträts. Für ihre Arbeiten zog die heute 54-Jährige auch schon nächtelang durch die Clubs - auf der Suche nach der Jugend.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Christoph Twickel
  • seen.by

Die Spezialität der niederländischen Fotografin Rineke Dijkstra sind Porträts. Für ihre Arbeiten zog die heute 54-Jährige auch schon nächtelang durch die Clubs – auf der Suche nach der Jugend. Die Kollegen von seen.by haben sie zum Interview getroffen.

Mehr zum Thema:
-
Interview mit Jay Dusard
- Streetfotografie mit Eric Kim
- Michael Brown im Interview

Sie nehmen sich viel Zeit, um Menschen zu finden, die Sie porträtieren wollen. Die Suche nach den Jugendlichen, die in Ihrer Videoarbeit "The Krazy House" selbstvergessen tanzen, hat mehrere Monate gedauert.

Dijkstra: Jede Nacht bin ich durch mindestens fünf Clubs gezogen. Das war eine ziemlich harte Arbeit für eine 48-jährige Frau. Einmal war ich so müde, dass mir meine Assistentin anbot, alleine loszugehen. Sie kam mit ein paar Probeaufnahmen von Jugendlichen zurück, und wir luden sie ein – aber es funktionierte überhaupt nicht.

Rineke Dijkstra: Auf der Suche nach der Jugend (8 Bilder)

Nicky I (Bild: Aus der Serie "Krazy House" © MMK Frankfurt /Rineke Dijkstra /Galerie Max Hetzler Berlin)

Warum?

Dijkstra: Dieser Findungsprozess ist immer sehr intuitiv. Ich muss wirklich selbst eine Verbindung zu den Menschen aufnehmen.

Sie haben für diese Serie Leute aus der Clubnacht heraus in eine Studio-Setting gesetzt – warum?

Dijkstra: Ich nehme die Menschen, die ich fotografiere, immer aus ihrem alltäglichen Kontext heraus und isoliere sie sozusagen, damit wir uns anders auf sie beziehen können und andere Dinge sehen. Für die Arbeit "The Buzz Club / Mystery World" von 1996 bis1997 habe ich das Studio in einem Nebenraum des Clubs aufgebaut und nachts bei laufendem Betrieb die Clubber vor einer weißen Studiowand gefilmt. Bei meiner aktuellen Arbeit "The Krazy House" wollte ich mich mehr dem Tanzen widmen und die Persönlichkeiten der Jugendlichen hinterfragen. Ich habe mit ihnen Kaffee getrunken und die Musik rausgesucht. Tanzen vor der Kamera kann ja unheimlich peinlich sein – man muss also eine Atmosphäre schaffen, in der sie sich im Tanzen verlieren können. Alles muss sich richtig anfühlen. Ich habe sie dann tagsüber gefilmt, in einer Studiokulisse, die ich direkt auf den Dancefloor des gleichen Clubs stellte.

Nehmen wir die Schulklasse aus Liverpool, die in Ihrer Videoarbeit "I See a Woman Crying (Weeping Woman)" das Bild "Weinende Frau" von Picasso beschreibt. Was hat Ihr Interesse an diesen Schülern geweckt?

In Dijkstras Videoarbeit "The Krazy House" tanzen Jugendliche selbstvergessen vor der Kamera.

(Bild: Aus der Serie "Krazy House" © MMK Frankfurt /Rineke Dijkstra /Galerie Max Hetzler Berlin/ Axel Schneider)

Dijkstra: Die Idee, eine Videoarbeit über Kinder zu machen, die ein Kunstwerk interpretieren, hatte ich bereits einige Jahre zuvor, und als ich diese Klasse zufällig in der Tate Gallery sah und die Gelegenheit bekam, ein Studio in die Ausstellungsräume zu bauen, kam alles zusammen. Ich war fasziniert von ihren grauen Schuluniformen und ihren außergewöhnlichen Gesichtern. Ich versuche immer, etwas Außergewöhnliches, etwas sehr Spezifisches zu finden.

Sie porträtieren oft Teenager. Stellen sich die Jugendlichen heute selbstbewusster dar?

Dijkstra: Zumindest habe ich festgestellt, dass die Kids Mitte der Neunziger um einiges schüchterner waren! Aber ich nehme das einfach als Tatsache. Grundsätzlich suche ich ohnehin immer nach etwas anderem als dem, was man in den Medien sehen kann. Mir muss es gelingen, sie zu verstehen, darum geht es.

In der Serie "Almerisa" haben Sie die Entwicklung einer Fünfjährigen zur jungen Frau und Mutter dokumentiert. Wer ist sie und wie kam es zu dieser Langzeit-Porträt-Serie?

Dijkstra: Das erste Foto habe ich 1994 in einem Asylbewerber-Aufnahmelager gemacht. Sie kam mit ihrer Familie als Flüchtling aus dem Krieg in Bosnien. Ich habe einige Kinder in diesem Lager fotografiert – und irgendetwas interessierte mich an diesem Mädchen. Nach zwei Jahren fragte ich mich: Wie geht es ihr wohl? Ich habe die Familie wieder besucht, und wir haben uns angefreundet. Von da an fotografierte ich sie über einen Zeitraum von 15 Jahren elfmal. Wir sehen in der Serie, wie sie aufwächst – aber auch, wie sie die westeuropäische Kultur adaptiert. Am Anfang ist ihre Kleidung noch eher altmodisch, dann wächst sie nach und nach in die niederländische Kultur rein. Und sie entwickelt sich vom schüchternen Flüchtlingskind zur selbstbewussten Mutter.

In der Ausstellung "The Krazy House" im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt zeigen Sie diese Serie zusammen mit der Rauminstallation "Umgekippte Möbel" (1971/93) von Reiner Ruthenbeck. Warum?

Fotografin Rineke Dijkstra arbeitet mit einer 4x5-Plattenkamera.

(Bild: Rineke Dijkstra )

Dijkstra: In meiner Fotoserie sitzt Almerisa immer auf einem Stuhl – und in der Zusammenschau mit Ruthenbecks Arbeit fangen diese Stühle an, eine eigene Rolle zu spielen. Wenn man Kunstwerke zusammen zeigt, schafft das immer eine Offenheit, die sich sonst nicht hergestellt hätte – plötzlich entdecken wir Dinge, die wir zuvor nicht gesehen haben.

Was suchen Sie in einem Kunstwerk, was interessiert Sie?

Dijkstra: Wenn ich Kunst mache, versuche ich, alle meine Vorurteile abzubauen und mich mit der Welt zu verbinden. Kunst kommt von Neugier – und ich muss sehr nah dran sein.

Bearbeiten Sie Ihre Bilder in der Postproduktion?

Dijkstra: Ich überwache immer den Druck der Bilder, aber ich arbeite nicht mit digitalen Programmen wie Photoshop.

Wenn Sie fotografieren, arbeiten Sie mit einer 4x5-Plattenkamera – eine im digitalen Zeitalter ganz schön umständliche Technik. Warum machen Sie das so?

Dijkstra: Es ist eben keine Schnappschuss-Kamera. Es ist ein richtiger Akt, mit dieser Kamera zu fotografieren, das gibt der Sache eine Ernsthaftigkeit – auch für die Leute, die ich fotografiere. Aber sie macht eben auch großartige Fotos – die Negative sind so groß wie Postkarten. Das mag heutzutage nicht mehr so viel zählen, weil die neuen digitalen Geräte das auch schaffen. Aber traditionell haben Fotografien mit Plattenkameras eben die beste Bildqualität, die besten Farben und Kontraste. Es wird leider immer schwieriger, dafür Filme zu bekommen. Es ist eine aussterbende Technik.

Das Interview führte Christoph Twickel für das Fotoportal seen.by.

(ssi)