Investorenschreck: EU fühlt sich gegen Gamestop-Fall besser gewappnet

Die EU-Kommission und die Finanzaufsicht ESMA halten die Wahrscheinlichkeit, dass es in Europa zu einer wilden Achterbahnfahrt von Aktien kommt, für gering.

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(Bild: Sebastian Duda/Shutterstock.com)

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Die EU hat seit 2008 viele Regeln geschaffen, um finanzielle Instabilitäten wie die jüngsten Kurskapriolen im Fall der Aktie des Videospielhändlers Gamestop zu verhindern. Dies betonte Ugo Bassi, Leiter der Abteilung Finanzmärkte der EU-Kommission, am Dienstag bei einer Aussprache mit Abgeordneten des Wirtschaftsausschusses des EU-Parlaments. Die Wahrscheinlichkeit, dass es in Europa zu einer vergleichbaren wilden Achterbahnfahrt an den Börsen komme, sei daher sehr viel geringer als in den USA.

Bassi verwies etwa auf striktere Vorgaben für Leerverkäufe, mit denen Hedgefonds auf den Absturz einer Aktie wetten. Solche "Shortseller" waren bei Gamestop vor dem rasanten Kursanstieg besonders aktiv, kamen dann aber rasch ins Hintertreffen. Leerverkäufe müssen in der EU im Unterschied zu den USA offengelegt werden, es gibt dazu eine eigene Richtlinie.

Auch der kommissionsfreie Börsenmarkt, den Online-Broker wie Robinhood und Trade Republic erschließen wollen, ist laut dem Beamten in einigen Mitgliedsstaaten nicht zulässig beziehungsweise "ausdrücklich verboten". Dies liegt an dem dahinterstehenden Geschäftsmodell Payment for Order Flow (PFOF): Börsen-Finanzdienstleister bezahlen hier dafür, dass sie etwa von einer Bank oder einem Zwischenhändler alle Kundenaufträge erhalten und diese mit gewissen Freiheiten abwickeln können. Die 2018 in Kraft getretene neue Finanzmarktrichtlinie (Mifid II) besagt, dass eine Bank bei der Auftragsausführung im besten Interesse des Kunden handeln muss. Direkte "Kickback-Zahlungen", wie sie bei PFOF üblich sind, dürfen nicht mehr fließen.

Die Kommission sei gerade dabei, den PFOF-Ansatz genau zu überprüfen, versicherte Bassi. Eventuell müsse die Politik noch mehr tun, um das Verhalten neuer Broker einzuhegen. "Wir glauben an eine starke Kapitalmarktunion mit höchsten Standards für Integrität", unterstrich er. Auch Kleinanleger, deren Verhalten sich über Robinhood & Co. mittlerweile "auf das ordentliche Funktionieren der Märkte" auswirken könne, sollten daran sicher partizipieren können. Die Kommission werde dazu noch in der ersten Jahreshälfte eine umfassende Strategie vorlegen.

Auch Steven Maijoor, Chef der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA), hob hervor, "wie wichtig es ist, dass Investoren Vertrauen in den Markt haben". Gamestop berühre diverse Kontrollfragen rund um den Schutz der Anleger und den Missbrauch der Position von Akteuren inklusive der erfolgten Einschränkungen auf einzelnen Plattformen. Das US-Aktienhandelsvolumen sei in der zweiten Januarhälfte insgesamt auf einen Wert angestiegen wie zuvor zuletzt im März angesichts der Unsicherheiten der Covid-19-Krise. Auf europäischen Handelsplätzen seien die Bewegungen dagegen "eher marginal" gewesen.

Das Geschehen sei in den USA durch Online-Foren wie Reddit und soziale Medien befeuert worden, führte Maijoor aus. Daraufhin sei es mit der künstlichen Aktienpreisblase zu einem "Short Squeeze" gekommen, die Leerverkäufer seien also quasi ausgequetscht worden. Da Shortseller in der EU deutlich höheren Transparenzauflagen unterlägen, sehe er auf dem alten Kontinent kein geeignetes Umfeld für solche Manöver. Insgesamt seien die Regeln auch für PFOF eher bereits ausreichend, auch die Aufsicht lote aber ein Nachjustieren aus und untersuche den "Null-Gebühren-Handel" genau.

Mehrere Ausschussmitglieder zeigten sich trotzdem besorgt über die Entwicklung. "Neobroker-Anwendungen" wie Robinhood machten es einfach, "Haus und Hof zu verwetten", monierte der CSU-Abgeordnete Markus Ferber. Die "Gamification" des Aktienhandels, mit der Nutzern "eher ein Videospiel" vorgegaukelt werde, sei gefährlich. Bei einer Bank gebe es "riesige Verbraucherschutzregeln", in einer App sei plötzlich alles erlaubt.

Der Grüne Sven Giegold, der die Anhörung initiiert hatte, beklagte Interessenskonflikte bei den neuen Finanzmaklern. Da es auch in Europa sehr viele Leerverkäufe gebe, müsse der Gesetzgeber eventuell nachschärfen. Zuvor hatte er gewarnt, dass "exzessive Spekulation, die Dominanz regelbasierter Investments oder neuerdings auch die Finanz-Flashmobs internetaffiner Kleinanleger" die Ineffizienz der Finanzmärkte aufzeigten. Auch Sozialdemokraten warfen die Frage auf, ob die Instrumente gegen Missbrauch angemessen seien. Ein Rechtskonservativer begrüßte es dagegen, dass die Demokratie nun auch in den Fluren des Kapitalismus Eingang finde.

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Neue Technologien hätten den Zugang für Kleininvestoren gefördert, bergen aber auch "große Risiken", entgegnete Maijoor. Er mahnte zur Vorsicht, rein auf Basis von Social-Media-Informationen zu handeln. Eine bessere Aufklärung der Bevölkerung über das Finanzwesen sei nötig. Prinzipiell gälten die "technologieneutralen" Mifid-Vorgaben auch für Online-Broker, stellte der ESMA-Vorsitzende klar. Bei der Rechtsdurchsetzung müssten die national zuständigen Aufsichtsstellen eventuell aktiver werden. Shortseller nahm er gegen pauschale Kritik in Schutz: Sie hätten etwa bei Wirecard mit dafür gesorgt, dass die Bilanzfälschungen herausgekommen seien.

"Hundertprozentige Leerverkäufe sind verboten", ergänzte Bassi. Bei Kaufaufrufen in sozialen Netzwerken könne man gegebenenfalls mehr tun, um Finanzmakler etwa in geschlossenen Gruppen einzuschränken. Insgesamt sei noch nicht ganz klar, welche Motivation eigentlich hinter der GameStop-Zockerei stecke. Offenbar waren Daytrader wütend über exzessives Shortselling und Investoren wollten den Preis aufblähen zum Schaden von Hedgefonds. Vielleicht sollte die Welt aber auch nur aufmerksam gemacht werden auf die Börsenphänomene. Die Kommission sei in jedem Fall ihrem finanziellem "Alphabetisierungsprogramm" weiter verpflichtet.

(mho)