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Jahresendlisten: "Maskenfick" ist nicht dabei

Mindestens jedes Jahr im Dezember geben Internetdienstleister wie Google, Spotify, Netflix und viele andere Hitlisten heraus. Wen kümmert's?

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Ein Internetdienstleister treibt die Schweine 2021 durchs weltweite Dorf. Symbolbild aus Bremen.

(Bild: gemeinfrei, über wikimedia.org)

Lesezeit: 3 Min.

Warum Suchmaschinen und andere uns unermüdlich zu Dienst stehende Leister zum Ende jedes Jahres Meistsuch-, -klick-, -schau- und -hörlisten veröffentlichen? Keine Ahnung, vielleicht wollen sie belegen, dass ihre Angebote benutzt werden oder zeigen, dass sie fein ordentlich unsere Daten horten und auswerten können. Oder sie wollen uns sagen, was alle längst wissen, dass zum Beispiel EM und Wahlen waren und Corona ist's. So oder so, die Leserschaft interessiert es höchstens marginal, das haben uns Daten gezeigt, die wir horten lassen.

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Das Internet ist voll von heißen IT-News und abgestandenem Pr0n. Dazwischen finden sich auch immer wieder Perlen, die zu schade sind für /dev/null.

Auf Google sind es aber bestimmt nicht "Bundestagswahl 2021" oder "Corona", die oben auf die Rangliste gehören, wie uns Google weismachen will. Der Suchmaschinist sortiert geflissentlich die eigentlich wahren und vordringlichen Gelüste des Internetvolks wie "Porno" oder "Sex" aus, mit allen libidinösen Varianten, womöglich auch "Bomben gegen Impfpflicht", und meint uns unter die Nase reiben zu können, "EM 2021" sei das Topergebnis unter "allgemeine Suchbegriffe".

Dabei ist doch klar, dass am meisten bei Google immer noch nach "Google" gesucht wird. Vielleicht hat sich unter der Internetnutzerschaft auch ein Trend entwickelt, der wirklich brandzeitgeistig wäre: "Maskenfick". Wir werden es nie erfahren, außer ein Googler whistleblowt.

Warum sollte es uns also interessieren, dass Theophilus Bestelmeyer 2021 auf Tiktok voll der Renner ist? Hier kommt mir just dieser Tage die Süddeutsche Zeitung zu Hilfe. Eigentlich geht es in dem Artikel "Vermessung der Kunst" darum, warum Netflix, Spotify und die anderen ständig neue heiße Schweine durchs weitweite Dorf treiben, die Ausführungen darin lassen sich aber auch auf die ominösen Jahresbestenlisten anwenden: Es geht um Aufmerksamkeit und darum, dass unser Begehren nicht uns gehört, sondern immer das Begehren anderer ist.

So hat die Süddeutsche eine plausible Erklärung dafür parat, warum Spotify seine Nutzer diesen Monat mit den persönlichen Jahreshitlisten nervt, die sie an andere sharen können. Die Playlisten seien ein geschickter Werbecoup, der die gesammelten Nutzerdaten zweitverwertet, die ursprünglich zum Weiterverkauf an Werbekunden gedacht waren. Die Songs selbst, Musik, Text und Künstler, gerieten dabei in den Hintergrund, stattdessen sei die wichtigste Botschaft: Es gibt eine neue Liste oder eine meistgesehene Serie. "Das Kunstwerk selbst ist im Zeitalter seiner technischen Vermessbarkeit zur Nebensache geworden."

Ja, auch die Redakteure der Süddeutschen lesen Walter Benjamin. Der hatte schon vor 86 Jahren postuliert: "Was im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verkümmert, das ist seine Aura."

(anw)