KC compact: Der letzte Heimcomputer der DDR

Vor 30 Jahren produziert die DDR ihren letzten Heimcomputer, den KC compact. Er geht im Wendejahr 1989/90 unter, findet kaum Käufer – und ist heute begehrt.

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KC compact: Der letzte Heimcomputer der DDR

Der KC compact des Autors. 1990 erworben. Seriennummer: 001244.

(Bild: heise online/René Meyer)

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Von
  • René Meyer
Inhaltsverzeichnis

In den achtziger Jahren entwickelt die DDR eine ganze Fülle von Computern und Taschenrechnern. Abseits der Bürorechner dominieren zwei Geräte-Serien, die beide KC 85 heißen, obwohl sie von zwei Herstellern kommen: der KC 85/2, 85/3 und 85/4 von Mikroelektronik Mühlhausen und der KC 85/1 und KC 87 von Robotron Dresden. Beide Kleincomputer-Reihen werden Ende der achtziger Jahre abgelöst; beide durch Anweisung von oben: DDR-Betriebe sind staatlich gelenkt und unterstehen einem Ministerium.

Robotron wendet sich dem für Schulen gedachten Bildungscomputer A 5105 zu, netzwerkfähig und CP/M-kompatibel. Er erreicht 1988 Serienreife; zu Beginn des Schuljahres 1989/90 sind erst 1.000 Stück produziert.

Und Mühlhausen wendet sich dem KC compact zu. Gewollt ist das nicht. Gerade hat man für den KC 85 eine Disketten-Erweiterung herausgebracht; ein zweiteiliges Gerät mit einer Basis, die im Prinzip ein eigener CP/M-tauglicher Computer ist, und dem eigentlichen Diskettenlaufwerk. Für die Ingenieure ist es nicht gerade ein Herzensprojekt, statt der bisherigen Kleincomputer-Linie nun einen Westcomputer kopieren zu müssen. Denn während die bisherigen KC-Computer Eigenentwicklungen sind, die keine Vorbilder haben, ist der KC compact ein waschechter Klon des Amstrad CPC, der seit fünf Jahren auf dem Markt ist (in Westdeutschland zunächst als Schneider CPC, bis Amstrad 1988 eine deutsche Niederlassung errichtet).

Der CPC wird als Muster ausgewählt, weil er im Gegensatz etwa zum Commodore 64 und zum Atari 800 mit dem Z80-Prozessor arbeitet. Den produziert die DDR als U 880 seit Jahren und in größeren Stückzahlen. Der U 880 steckt in den allermeisten DDR-Computern, vom einfachen Lernrechner über die Kleincomputer bis zu den CP/M-kompatiblen Bürorechnern wie dem PC 1715. Für westliche Chips müssten teure Devisen gezahlt werden; und die leistungsfähigeren fallen ohnehin unter das Import-Embargo, unter dem alle Länder des Ostblocks leiden. Zudem ist der CPC nicht mit einem raffinierten Grafikchip zum schnellen Bewegen von Sprites (Grafikobjekten, die sich auf den Hintergrund legen) ausgerüstet wie der C64 und somit weniger aufwendig nachzuahmen.

Als der neue Computer Ende Oktober 1989, wenige Tage vor dem Fall der Mauer, zum ersten Mal in größerer Runde auf einer Computer-Tagung vorgestellt wird, ist die Begeisterung verhalten. Zumal der Referent aus Mühlhausen das Gerät noch nicht dabei hat.

Manche haben einen 16-Bit-Computer erwartet. Andere fragen sich, wieso ein weiterer 8-Bit-Computer gebaut werden soll, der nicht zu den vorhandenen der gleichen Leistungsklasse kompatibel ist. Einige sind stolz auf den bisherigen KC 85, weil er gerade nicht ein Klon ist wie die meisten Computer aus dem Ostblock, sondern eine DDR-eigene Entwicklung. Nicht mal im westlichen Nachbarland, in der Bundesrepublik, gibt es einen Heimcomputer aus eigener Produktion.

Dabei ist der KC compact nicht schlecht. Er hat Anschlüsse für Kassettenlaufwerk, Antennenausgang und RGB, Joystick, Drucker, eine Stereo-Buchse und einen Erweiterungsport, für den vor allem ein geplantes Diskettenlaufwerk gedacht ist.

Er ist mit 4 MHz getaktet, flotter als die bisherigen KC-Modelle, und mit 64 KB RAM ausgestattet, von denen 42 KB frei verfügbar sind. Da der Prozessor nur 64 KB Speicher ansprechen kann, müssen die 32 KB ROM je nach Einsatz häppchenweise in den Adressraum eingeblendet werden. Das Betriebssystem samt BASIC ist dem CPC entliehen, schon allein um die gewünschte Kompatibilität zum Westrechner zu gewährleisten.

KC compact: Der letzte Heimcomputer der DDR (10 Bilder)

Der KC compact des Autors. 1990 erworben. Seriennummer: 001244.
(Bild: heise online/René Meyer)

Als Videocontroller verwendet der KC compact den CM 607, einen bulgarischen Nachbau des Originalchips 6845, den verschiedene westliche Hersteller produzieren. In einem Gerät findet ein Sammler stattdessen einen offenbar importierten 6845-Chip; in der DDR ist es nicht ungewöhnlich, dass je nach Verfügbarkeit selbst innerhalb einer Modellserie teilweise aus dem Westen importierte Chips, osteuropäische Nachbauten oder Klone aus DDR-Produktion zum Einsatz kommen. Der KC compact ist gleich dem CPC kein Grafikwunder wie der C64, unterstützt aber eine Auflösung von bis zu 640 x 200 Punkten. Das erlaubt 80 Zeichen pro Zeile und damit eine komfortable Textverarbeitung.

Eine deutliche Verbesserung ist der Sound. Bisherige Computer in der DDR erzeugen einfache Melodien mit einem Piepser. Beim KC compact kommt erstmals ein Soundchip zum Einsatz, ein dreistimmiger AY-3-8910 von General Instrument, der unter anderem im CPC arbeitet. Er soll künftig unter der Bezeichnung U 8912 in der DDR nachgebaut werden.

Das Gehäuse kommt gleich bei vier Geräten von zwei Herstellern zum Einsatz: beim Bildungscomputer A 5105 in Robotron, bei dessen Endkunden-Modell Alba PC (nicht zu sehen), bei der Komfort-Tastatur für den KC 85/4 und beim KC compact.

(Bild: heise online/René Meyer)

Für das Gehäuse erwirbt Mühlhausen die Fertigungstechnik des Bildungscomputers A 5105 von Robotron. Daher sehen beide Computer, abgesehen vom Schriftzug, gleich aus. Die Gussform nutzt Mühlhausen außerdem, um die bescheidene Tastatur der bisherigen KC-Modelle durch ein Komfortmodell zu ersetzen. Da Robotron gleichzeitig versucht, nach der Öffnung der Grenzen den Bildungscomputer in einer abgespeckten Variante unter dem Namen Alba PC Endkunden anzubieten, gibt es vier verschiedene Geräte mit diesem Gehäuse.

Seine Premiere hat der KC compact erst zur Leipziger Frühjahrsmesse im März 1990. Viel Aufmerksamkeit erreicht er nicht. Selbst im Computermagazin MP – Mikroprozessortechnik wird er nur im Rahmen des Messeberichts vorgestellt. Erst in der Juli-Ausgabe der Zeitschrift Radio – Fernsehen – Elektronik erscheint ein dreiseitiger Testbericht.

Den Hersteller ficht das nicht an. Noch im Sommer 1990 gibt Mühlhausen Kunden bereitwillig Auskunft über das Zubehör. Im Angebot sind 12 Tonbandkassetten zu je 38 Mark mit je einer Handvoll Spielen, eine Textverarbeitung für 45 Mark sowie Pascal und Assembler für je 52 Mark.

"Programme von CPC 464 und 664 sind zu 90 % einsetzbar. Wir haben erst eine geringe Zahl von nicht lauffähigen Programmen herausgefunden", weiß Mühlhausen. Um das Angebot an Software zu verstärken, kooperiert der Hersteller mit dem DMV-Verlag aus Eschwege, der ein Amstrad-Magazin herausgibt. DMV nutzt die Vertriebsstrukturen von Mühlhausen, um seine Zeitschriften in der DDR zu verbreiten – und soll die Kunden des KC compact mit CPC-Software versorgen.

Doch zu diesem Zeitpunkt, wenige Wochen nach seiner Markteinführung, wird der Computer bereits verramscht. So erwirbt der Autor auf den Tag genau vor 30 Jahren, am 23. Mai 1990, an einem Straßenstand in Erfurt einen KC compact für 250 Mark der DDR. Auf der Packung steht noch der ursprüngliche EVP, der Einzelhandelsverkaufspreis, von 2300 Mark, bereits durchgestrichen und durch (ebenfalls nicht mehr aktuelle) 999 Mark ersetzt, die einem Monatseinkommen in der DDR entsprechen. Für ein nacktes Gerät ohne Kassettenrekorder und ohne Bildschirm. Die Seriennummer: 001244.

Es ist kein guter Zeitpunkt für einen neuen DDR-Computer. Die Währungsunion steht vor der Tür, zum 1. Juli 1990 wird das DDR-Geld 2:1 in Westmark umgetauscht; und selbst für 2300 Mark geteilt durch zwei könnte man sich einen gleichwertigen Amstrad CPC kaufen, mit eingebautem Kassettendeck. Und man hätte noch genug Geld übrig, um außerdem einen C64 mit Diskettenlaufwerk und Farbmonitor zu erstehen.

Auch die Fachmagazine berichten neuerdings lieber über Westcomputer statt über den DDR-Klon eines Westcomputers. So geht die MP – Mikroprozessortechnik eine redaktionelle Kooperation mit der c't ein.

Überraschenderweise erscheint am Ende sogar das versprochene Diskettenlaufwerk. Es kommt mit einem Controller-Gehäuse, das selbst mit 64 Kilobyte RAM und 8 Kilobyte ROM ausgerüstet ist, und dem eigentlichen 5,25"-Zoll-Laufwerk. Von Diskette lässt sich MicroDOS laden, eine DDR-Variante von CP/M.

Heute ist der KC compact nahezu ausgestorben, zumal er nicht nur Sammler von DDR-Rechnern, sondern auch von CPC-Modellen anzieht. Während man die einzige Spielkonsole der DDR, das Bildschirmspiel 01, häufig zu Preisen um die 100 Euro auf Ebay erwerben kann, obwohl nur 1.000 Geräte existieren, bekommt man den letzten Heimcomputer der DDR sehr selten angeboten. Noch viel rarer ist das Diskettenlaufwerk.

(bme)