KI 2019: Argument Mining – Computern das Widersprechen beibringen

Ein britischer Informatiker will Software das Argumentieren beibringen, erste Experimente stimmen ihn zuversichtlich. Das Potenzial ist aber nicht nur positiv.

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KI 2019: Argument Mining – Computern das Widersprechen beibringen

(Bild: charles taylor/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
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Das eigene Verhalten zu ändern ist nicht leicht. Es gibt immer Gründe, warum es jetzt gerade nicht passt, Sport zu treiben oder mit dem Rauchen aufzuhören. Manche Apps bieten Hilfe an, indem sie an Termine erinnern oder die täglich zurückgelegten Schritte zählen. Aber ist das überzeugend genug?

In vielen Fällen wohl eher nicht, vermutet Anthony Hunter (University College London). Bei der Konferenz KI 2019 in Kassel erläuterte der Informatiker, wie er die Überzeugungskraft von Computerprogrammen erhöhen will: Sie sollen lernen zu argumentieren. Im Dialog mit dem Nutzer sollen sie die von ihm vorgebrachten Gründe widerlegen und Alternativen aufzeigen. So könne das System etwa den Einwand, es sei zu peinlich, sich als Übergewichtiger einer Sportgruppe anzuschließen, mit dem Hinweis auf spezielle Gruppen für Übergewichtige kontern.

Neben dem Dialog in natürlicher Sprache gebe es auch die Möglichkeit, so Hunter, dem Nutzer eine Liste mit Argumenten (in diesem Fall: gegen sportliche Aktivität) zu präsentieren, aus der er sich das passendste auswählen kann. Darauf könne das System dann wieder mit einer Entgegnung reagieren.

Damit die Künstliche Intelligenz (KI) überzeugend auftreten kann, müssen zum einen die thematisch denkbaren Argumente in einem Graphen modelliert werden. Die Ecken des Graphen repräsentieren dabei die Argumente, die über die Kanten miteinander verbunden sind, je nachdem, ob sie sich gegenseitig unterstützen oder widersprechen. Neben diesem Domänen-Modell braucht die KI auch ein Modell des Nutzers, das seine Überzeugungen (beliefs) wie auch seine Bedenken (concerns) erfasst und idealerweise während des Dialogs aktualisiert werden kann. Und schließlich muss der Dialog selbst modelliert werden, wozu ein Protokoll gehört, das spezifiziert, welche Schritte jeweils erlaubt sind und welche nicht.

Experimente, die im Rahmen des Forschungsprojekts durchgeführt wurden, hätten die Tauglichkeit des Ansatzes bestätigt, sagte Hunter. Allerdings konnten die Teilnehmer dabei ihre Argumente nicht selbst formulieren, sondern mussten sie aus einem Menü wählen. Für einen argumentierenden Chatbot, der mit natürlicher Sprache zurechtkommt, gebe es erste Ansätze.

Um den möglichst natürlichen, argumentativen Dialog mit Menschen zu lernen, können sich KI-Systeme auf umfangreiches Textmaterial im Internet stützen. Dafür seien bisher vor allem klar strukturierte Texte wie Essays oder juristische Abhandlungen genutzt worden, sagte Robin Schaefer (Uni Potsdam). In sozialen Medien wie Twitter ergebe sich dagegen das Problem, dass Positionen häufig weniger klar formuliert würden. Um aus einer Aussage wie "Die Ungläubigen werden zur Hölle fahren" die Position "Ich bin gegen Atheismus" abzuleiten, stützt sich Schaefer auf Methoden des Word Embedding, bei dem aus der Verteilung von Wörtern und Sätzen und ihren jeweiligen Kontexten inhaltliche Ähnlichkeiten quantifiziert werden.

Anknüpfend an Forschungen von Michael Wojatzki und Torsten Zesch und den von ihnen bereitgestellten Atheism Stance Corpus mit 715 Tweets zum Thema hat Schaefer verschiedene Verfahren getestet, deren Leistung sehr unterschiedlich ausfiel. Die Gründe dafür müssten noch näher untersucht werden. Schaefer vermutet, dass es damit zusammenhängen könne, ob ein System mit Sätzen oder Wörtern trainiert wurde.

Der Argumentations-Suchmaschine args.me, die Yamen Ajjour (Bauhaus-Uni Weimar) vorstellte, ist es egal, ob einzelne Wörter oder Sätze eingegeben werden: Sie listet Argumentationen dafür und dagegen auf. Damit sei sie klassischen Suchmaschinen überlegen, die dazu tendieren, die eingegebene Aussage zu bestätigen, sagte Ajjour. Ein Satz wie "Der Klimawandel ist ein Schwindel" würde bei Google vorrangig Dokumente finden, die genau das behaupten, während args, gestützt auf Debattenportale wie debate.org oder debatepedia.org, Positionen pro und contra präsentiert.

Mit dieser Suchmaschine haben die Weimarer Forscher den mit 387.606 Argumenten bislang größten Corpus zusammengetragen, der die noch in den Anfängen stehenden Forschungen zum Argument Mining voranbringen soll. Nach den Debattenportalen richtet sich das Interesse der Forscher insbesondere auf soziale Medien und Nachrichtenportale, die einen reichhaltigen Schatz an Argumentationen bereithalten, aber sehr viel schwerer zu erschließen sind.

Ausgewogenere Ergebnisse bei der Internetsuche oder Unterstützung bei der Entwicklung einer gesünderen Lebensweise sind Anwendungen von argumentierender KI, gegen die wenig einzuwenden ist. Zur Illustration des Argumentierens und Überzeugens zeigte Anthony Hunter in seinem Vortrag allerdings auch das Foto eines Autoverkäufers im Kundengespräch. Der mögliche Einsatz der Technologie fürs Online-Marketing wurde jedoch weder in Vorträgen noch in den Diskussionen erörtert.

Je nach Standpunkt könnte man die Aussicht, in Zukunft nicht nur mit personalisierten Anzeigen, sondern mit ausgeklügelten, aus den Kundendaten extrahierten Verkaufsargumentationen konfrontiert zu werden, als erschreckend oder verlockend empfinden. Vielleicht ein Thema für zukünftige Argument-Suchmaschinen? Bei args.me gab es jedenfalls zu "Argument Mining" keinen Treffer.

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(mho)