KI-Radiotag in der Schweiz: "Gebt uns unsere Menschen zurück!"

Im öffentlich-rechtlichen Hörfunk der Schweiz gestalteten KI-Anwendungen einen Tag lang das Programm – inklusive Moderatoren-Stimmen und Interviews.

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(Bild: BrAt82/shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Tom Sperlich
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Der öffentlich-rechtliche Westschweizer Radiosender Couleur 3, einer der Radiokanäle von Radio Télévision Suisse (RTS), strahlte den größten Teil des Donnerstags ein Programm aus, das von verschiedenen KI-Anwendungen generiert wurde. Das Experiment dauerte von 6 Uhr bis 19 Uhr. Das Einzige, was an diesem Radiotag nicht künstlich war oder von einer künstlichen Intelligenz beeinflusst wurde, waren die Kurznachrichten. Ansonsten lief morgens Musik, die komplett von einer KI-Software generiert wurde, später am Tag wurden "echte" Songs von Playlists ausgestrahlt, zusammengestellt von einer anderen KI.

ChatGPT und weitere KI-Programme verfassten die Texte der Moderatorinnen und Moderatoren. Sie trugen diese jedoch nicht selbst vor, sondern ihre Stimmen wurden dafür mit Stimmsynthese-Software der ukrainischen Firma Respeecher geklont, die vorwiegend für die Filmindustrie tätig ist. Die synthetischen Moderatoren-Stimmen führten per ChatGPT und Text-to-Speech-Tools generierte Interviews mit den ebenfalls geklonten Stimmen von Ex-US-Präsidenten Obama und Trump. Behandelt wurden darin unter anderem humoristische Schweiz-Stereotype: Der Obama-Stimmklon sprach über Schweizer und amerikanische Schokolade; Trumps Fake-Stimme lobte ebenfalls in Französisch die Schweizer Politik – sie sei genial, aber wie die Schweizer Uhren verstehe jedoch niemand genau, wie sie funktioniere.

Der Radiosender sei kein Nachrichtensender, erläutert der Leiter von Couleur 3, Antoine Multone, gegenüber Heise Online, "sondern konzentriert sich auf Kultur, Musik und Humor". Dass es in Deutschland kürzlich Aufsehen um ein ebenfalls von KI gefaktes Interview mit Michael Schumacher gegeben hatte, sei der Redaktion von Couleur 3 bewusst gewesen, ergänzt Multone. Der Chefredakteurin der Zeitung mit dem erfundenen Interview hatte das schließlich den Posten gekostet.

Doch um niemanden allzu sehr in die Irre zu führen, wurde das Publikum des Radiosenders alle 20 Minuten von einer ebenfalls geklonten Stimme über das Experiment informiert. Der Radiosender nimmt im Bereich der neuen Technologien innerhalb der Sendergruppe RTS oft eine Vorreiterrolle ein. Die Information war umso notwendiger, weil Hörer von Couleur 3 im Vorfeld nicht über das Projekt unterrichtet wurden. Am Tag des Experiments ließ ein Fernsehteam aus der RTS-Gruppe Passanten auf der Straße ins laufende Programm hineinhören und wollte wissen, ob ihnen etwas Besonderes aufgefallen sei. Nein, antworteten diese zumeist.

Die Hörer wurden ebenfalls aufgefordert, ihre Eindrücke via WhatsApp ans Studio zu schicken. Die Text- und Audionachrichten flossen am Freitag ins Programm ein, um die Diskussion fortzuführen, welche in drei Sondersendungen von Couleur 3 mündete. Allein im Laufe des Vormittags gingen mehrere hundert Nachrichten aus dem Publikum ein. Die Reaktionen reichten von "Ich habe keinen großen Unterschied gehört" bis zu "Es gibt Menschen, die leichter zu ersetzen sind als andere." Andere waren "verblüfft, was man mit diesem Werkzeug erreichen kann". Manche fielen "manchmal darauf rein, aber es ist etwas komisch und die Witze sind flach". Doch die meisten fanden: "Definitiv kein Ersatz für den Menschen", und auch: "Gebt uns unsere Menschen zurück!"

Laut Couleur 3 Chef Antoine Multone ist diese Radioaktion eine Premiere weltweit. Es gibt zwar bereits den KI-basierenden Radiosender "RadioGPT", der jedoch komplett künstliche Stimmen verwendet und nicht wie Couleur 3 reale menschliche Stimmen klont.

Couleur 3 hatte sich drei Monate lang auf diesen speziellen Tag vorbereitet. "Zwei für Recherchen und die Konzeption und ein Monat für die Produktion der Inhalte", sagt Multone. Der Sender hatte dabei ein Dutzend verschiedene KI-Lösungen getestet und fünf ausgewählt. Pascal Crittin, Direktor der Sendergruppe RTS, ergänzt: "Die KI hilft uns, indem sie bestimmte Aufgaben erleichtert, uns Zeit spart und umfangreichere und tiefere Recherchen ermöglicht". "Sie ersetzt aber keinesfalls den Menschen, seine Kreativität, seine Emotionen, seine Fähigkeit, Brüche und Verschiebungen zu erzeugen, die bei Couleur 3 so wichtig sind. Umso mehr, als die Teams diesen Tag drei Monate lang vorbereitet haben". Aber, so Crittin: "RTS und die SRG (Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft) im Allgemeinen wollen KI innerhalb eines anspruchsvollen berufsethischen Rahmens einsetzen".

Doch RTS/SRG "werde eine Insel geprüfter Informationen bleiben und darauf achten, dem Publikum einen zuverlässigen Schutzschild gegen Fake News zu bieten." Es sei zwar nicht leicht gewesen zu unterscheiden, wer sprach, ein Mensch oder die KI, meint Antoine Multone, Chef d'antenne von Couleur 3. "Andererseits zeigt uns diese Erfahrung auch, dass Kreativität, Überraschung und Humor eine sehr menschliche Eigenschaft bleiben – und das beruhigt uns." Man wollte aber die "Stärken und Schwächen der künstlichen Intelligenz erforschen", heißt es in einer Hausmitteilung des Senders. "Damit wir in Zukunft besser mit ihr umgehen können. Die erste Bilanz zeigt, dass die menschliche Intelligenz unersetzlich bleibt."

(tiw)