KI überwacht US-Reisewillige

Mit Daten aus dem Netz erstellt Künstliche Intelligenz Profile US-Reisender. ESTA-Antragsteller könnten bald gezwungen sein, ihre Usernamen zu nennen.

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Reisende mit Brille spricht mit einem unformierten Beamten der US Customs and Border Patrol auf einem Flughafen

(Bild: CBP)

Lesezeit: 4 Min.

Das US-Heimatschutzministerium (DHS) setzt seit Jahren Künstliche Intelligenz auf Personen an, die das Land verlassen oder dort einreisen möchten. Eine private Firma namens Fivecast scannt dafür Profile in Sozialen Netzwerken und andere Online-Postings im Auftrag der DHS-Abteilung Zoll und Grenzschutz (CBP). Das mag erklären, warum Antragsteller für ein US-Visum alle Usernamen angeben müssen, die sie in den letzten fünf Jahren in Sozialen Netzen genutzt haben.

Fivecast reichen nach eigenen Angaben wenige Eckpunkte eines Lebenslaufs, um Spuren der Person im Internet zu finden und auszuwerten. Gehackt wird dabei nicht, die Firma nutzt öffentlich verfügbare Daten (OSINT, Open Source Intelligence). Der Computer versucht dann, von den gefundenen Daten auf "Stimmungslage und Gefühle" zu schließen und schlägt gegebenenfalls Alarm. Zu möglichen Einschätzungen zählen unter anderem Angst, Ekel, Freude, Traurigkeit und Überraschung. Eine Kurve soll Ausschläge der von einer Person online geäußerten Angst und Ekel über einen längeren Zeitraum anzeigen. Missverständnisse oder Verwechselungen sind dabei natürlich nicht auszuschließen.

Auch nach bestimmten "Risikobegriffen und Sätzen" in mehreren Sprachen fahndet Fivecast, während eine Objekterkennung über Bilder und Videos läuft. Das hat 404 Media aus Dokumenten erfahren, die das jüngst gegründete Nachrichtenmedium auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes von CBP und anderen US-Strafverfolgungsbehörden erhalten hat.

Gegenüber 404 Media hat die Behörde ausgeführt, dass sie auf diese Weise nach Reisenden sucht, die die öffentliche Sicherheit, Nationale Sicherheit, Handel oder Reiseverkehr bedrohen. Dienstleister Fivecast beschränkt sich keineswegs nur auf die großen Sozialen Netzwerke wie Facebook, Instagram und Reddit, sondern schürft beispielsweise auch bei 4chan, 8kun und Gab, sowie im Darknet. Darüber hinaus kann das Heimatschutzministerium selbst geerntete Datenbestände zur Analyse hochladen.

Zudem wertet Fivecast aus, mit welchen anderen Usern die öffentlichen Profile einer Person in Verbindung stehen. Daraus erstellt die Firma dann eine Karte der sozialen Verbindungen des Reisewilligen. All das kostet natürlich: Soweit 404 Media eruieren konnte, hat CBP im August 2019 fast 350.000 Dollar an Fivecast gezahlt hat, 2020 über 650.000 Dollar sowie 2021 und 2022 jeweils rund 1,2 Millionen Dollar. Im Mai hat derselbe Journalisten veröffentlicht, dass CBP einen KI-Dienst namens Babel-X nutzt, der Online-Postings bei Sozialen Netzwerk auswertet und daraus auf den Aufenthaltsort des Users und oft sogar dessen Sozialversicherungsnummer schließt.

Die Pflicht zur Preisgabe der Profile in Sozialen Netzwerken in Visums-Anträgen haben die USA unter Präsident Donald Trump eingeführt, Die Maßnahme ist umstritten, unter anderem weil bei der Durchsicht der Postings und der Kontakte auch US-Bürger ins Visier der Überwacher gelangen. Wer kein Visum, aber eine Anreisegenehmigung (ESTA) braucht, wird schon seit 2016 gefragt, darf die Frage aber unbeantwortet lassen. Bürgerrechtler erwarteten, dass Trumps Nachfolger Joe Biden diese Überwachungsmethoden schnell abschaffen würde.

Zwar hat Biden das Einreiseverbot für Bürger mehrerer muslimisch dominierter Länder aufgehoben, doch an der Datensammlung des Heimatschutzministerium rüttelt er nicht. Im Gegenteil: Die Behörde plant, die Beantwortung der Frage nach Profilen in Sozialen Netzwerken auch für ESTA-Anträge verpflichtend zu machen.

Das Heimatschutzministerium hat jene Dokumente, die es aufgrund des US-Informationsfreiheitsgesetzes an 404 Media herausgegeben hat, nicht weiter veröffentlicht. Unter Präsident Barack Obama war üblich, dass die Behörde die meisten ausgefolgten Dokumente auf ihre Webseite stellte – nicht zuletzt, um sich Arbeit zu sparen, schließlich interessieren sich viele Bürger für die immer gleichen Dokumente. Dazu kamen wöchentliche und monatliche Berichte über eingegangene Anträge und erteilte Auskünfte. Doch seit Amtsantritt Donald Trumps Anfang 2017 ist dieser Bereich der DHS-Webseite verwaist.

(ds)