Kabelnetze -- Mauerblümchen im Breitbandmarkt

Eine aktuelle Fraunhofer-Studie setzt sich mit den zahlreichen Hürden bei der Digitalisierung des deutschen TV-Kabelnetzes auseinander.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Richard Sietmann

Warum das deutsche Kabelfernsehnetz -- mit 22 Millionen Haushalten das zweitgrößte nach den USA -- im Breitbandmarkt nicht aus den Startlöchern kommt, gibt Experten wie Beobachtern immer wieder Rätsel auf. Mit seiner hohen Kapazität könnte es nicht nur hunderte digitale TV-Programme übertragen, sondern vor allem das Highspeed-Internet oder die Internettelefonie voranbringen. Doch die digitale Revolution ist am Kabel bisher vorbeigegangen und die neuen Angebote sind heute nur in wenigen Netzen verfügbar. Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe und des Hans-Bredow-Instituts für Medienforschung an der Universität Hamburg haben jetzt im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums die Misere analysiert und dabei sechs Knackpunkte identifiziert.

Der erste betrifft die Settop-Box, mit der die digitalen TV-Programme in die Haushalte gelangen sollen. Je nachdem, ob es sich um eine Zapping-Box für frei empfangbare Programme, eine CA-Box mit embedded Conditional Access und voreingestellter Verschlüsselung oder eine CI-Box mit einer gemeinsamen Schnittstelle (Common Interface) in Gestalt eines Steckplatzes für verschiedene Verschlüsselungssysteme handelt, ist das mögliche Nutzungsspektrum für den Verbraucher festgelegt.

Im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Streit um die Funktionalität des Zugangsendgerätes sehen die Wissenschaftler die Verschlüsselungsfrage selbst. Wenn sich der Marktführer Kabel Deutschland GmbH (KDG) und die Privatsender auf eine Verschlüsselung einigen, ließe sich relativ rasch eine Bezahlinfrastruktur mit CA-fähigen Boxen in den deutschen Kabelhaushalten aufbauen. "Sollten sich die KDG und die Privatsender allerdings darauf verständigen, dass ihre Programme unverschlüsselt eingespeist werden, würde der Pay-TV-Bereich zunächst weiterhin ein Nischenmarkt bleiben", heißt es in der Studie. Dann würde die analoge Programmwelt lediglich eins zu eins auf die digitale übertragen und bezahlfähige Boxen wären dann nur noch mit hohem Marketingaufwand in den Markt zu bringen.

Eine weitere Schlüsselfrage betrifft den Netzausbau. Erfolgt er nicht Internet- sondern TV-orientiert, um mit neuen Fernsehangeboten zusätzliche Umsätze zu generieren, würde dies zu Lasten der bidirektionalen Aufrüstung gehen. Insbesondere im Hinblick auf den Wettbewerb zu DSL und zur Internettelefonie halten die Wissenschaftler die Konzentration auf den Bereich der interaktiven Dienste strategisch für wichtiger. Auf der Netzebene vier müssten sich die lokalen Betreiber von Kabelverteilanlagen entscheiden, ob sie sich aktiv an der Vermarktung von Angeboten der großen Player wie der KDG und anderen beteiligen wollen oder ihre Rolle weiterhin auf die reine Durchleitung und den Betrieb der Infrastruktur beschränken. Und bei den Inhalten stellt sich die Frage, ob eine Vervielfachung des Bekannten oder das Entstehen einer neuen Vielfalt das vorrangige Ziel sein soll.

Der letzte Knackpunkt schließlich betrifft den Zeitplan der Umstellung. Anders als beim terrestrischen Digitalfernsehen DVB-T ist im Kabel der forcierte Umstieg mit einem festen Abschalttermin nicht aus Gründen der Frequenzknappheit zwingend notwendig, ein endloser Parallelbetrieb (Simulcast) von Analog- und Digital-TV jedoch aus Kostengründen auch nicht erwünscht, so dass sich alle Beteiligten auf einen Umstiegszeitpunkt verständigen sollten.

Insgesamt kritisieren die Autoren deutlich das "ordnungspolitische Flickwerk" in der Bundesrepublik. In den Novellierungen des TKG, den Rundfunkänderungsstaatsverträgen und den Einzelentscheidungen von Landesmedienanstalten, RegTP und Bundeskartellamt sei derzeit nicht erkennbar, "dass Gesetzgeber und Behörden auf Bundes- und Landesebene ihre Handlungsspielräume im Hinblick auf das Ziel der Digitalisierung koordinieren".

Die vollständige Studie soll noch in diesem Monat unter dem Titel Die Zukunft des deutschen Kabelfernsehnetzes -- sechs Schritte zur Digitalisierung als Buch erscheinen. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse ist bereits online verfügbar (PDF). (Richard Sietmann) / (anw)