Katastrophenschutz: Auf die "schwarzen Schwäne" vorbereiten

Corona, Starkregen, Stromausfälle, Waldbrände, Cyber – General Breuer fordert eine stärkere Kooperation zwischen Militär und Zivil wegen der "unknown unknowns".

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Monreal in der Eifel im Juli 2021

(Bild: M. Volk/Shutterstock.com)

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Angesichts bislang nur schwer vorhersagbarer künftiger hybrider und mehrschichtiger Bedrohungen, Krisen und Katastrophen wirbt Carsten Breuer, Leiter des Corona-Krisenstabs der Bundesregierung und des Kommandos Territoriale Aufgaben (TA) der Bundeswehr, für eine Neuaufstellung des Bevölkerungsschutzes.

Nicht zuletzt wegen zunehmender Cyberangriffe müssten militärische und zivile Kräfte hier "stärker kooperieren", verlangt der Generalmajor. Es reiche nicht mehr aus, sich darauf zu verlassen, dass die andere Seite schon die richtigen Schlüsse ziehen werde.

Mit der Coronapandemie sei die Krise bereits zum Dauerzustand geworden, erklärte Breuer am Dienstag auf dem Digitalen Katastrophenschutzkongress des "Behörden-Spiegel": Jeder Bereich sei mit diesem Gedanken "durch und durch infiziert". Das "fordert uns schon ungemein", räumte er ein. Wenn zur aktuellen Virenlage noch die "üblichen" Katastrophen hinzukämen, "erleben wir, wie das althergebrachte System mehr und mehr unter Druck gerät". Das "Ächzen im Gebälk" sei überall zu hören.

Wenn die Starkregenkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen im Juli mit rund 180 Toten inmitten einer der großen Covid-Wellen geschehen wäre, "hätten wir es noch schwerer gehabt", führte der 57-Jährige aus. Die Auslösung des militärischen Katastrophenalarms habe im Sommer in einer vergleichsweise entspannten Corona-Situation "die verzugslose Versendung von Kräften und Mitteln" der Bundeswehr ermöglicht.

Prinzipiell sieht das Grundgesetz vor, dass sich Länder und Kommunen um den Katastrophenschutz in Friedenszeiten kümmern, während der Bund Vorkehrungen für den Schutz der Bevölkerung im Fall eines militärischen Angriffs trifft. Breuer regte eine gemeinsame Führungsausbildung zwischen beiden Seiten an. Diese müssten etwa "einen gleichen Krisenwortschatz haben", ähnliche Verfahren nutzen und gemeinsam Szenarien bearbeiten. Nur so könnten alle Beteiligten die "schwarzen Schwäne" und die "unknown unknowns" in den Griff bekommen, griff er auf einen Ausdruck des früheren US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld für gänzlich überraschende Ereignisse zurück.

Noch gefährlicher seien aber die "unwanted unknowns", die sich bereits abzeichneten, aber trotzdem ignoriert würden. Davor dürfe man aber "nicht den Kopf in den katastrophischen Treibsand stecken". Mit zunehmender Desinformation und Subversion als Fortführung der klassischen Propagandaschlachten mit neuen Online-Mitteln verschwimme die Grenze zwischen Frieden und Krieg, meinte der Zwei-Sterne-General. Innere und äußere Sicherheit seien damit nicht mehr scharf zu trennen.

Der Föderalismus mache die Bundesrepublik zwar stark und vor allem resilient. Es brauche aber auch einen Austausch von Lösungen über Ländergrenzen hinweg und viele gemeinsame Übungen. Zugleich versicherte er, dass die Bundeswehr bei Gefechtsständen und Standorten mit kritischer Infrastruktur etwa auf Stromausfälle vorbereitet sei und mit Aggregaten arbeiten könne.

Es reiche nicht, aus vergangenen Krisen für die Zukunft zu lernen, ging Armin Schuster, Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), mit Breuer prinzipiell konform. Es sei zwar sinnvoll, etwa die Flut, Covid-19 und die Flüchtlingskrise auszuwerten. "Aber wir müssen uns darauf vorbereiten, überrascht zu werden." Keine Krise habe sich bisher genauso wiederholt, verstärkt gebe es aber solche "von nationaler Tragweite".

Die Gefahrenabwehr konzentriert sich heute laut Schuster im Alltag bei Rettungsdiensten, Feuerwehren und Polizei stark auf regionale Lagen. Diese seien in diesem Bereich "ziemlich gut aufgestellt". Das übergeordnete Lagemanagement müsse aber besser funktionieren, warb er für das geplante Kompetenzzentrum von Bund und Ländern beim BBK. Er erwarte, dass die Innenminister spätestens im Mai den Haken dransetzten. Im Anschluss plane die Behörde, Kontaktbeamte in die Länder zu senden, um besser vernetzt zu sein. "Vorbild ist die Bundeswehr", unterstrich der Ex-Bundespolizist. Diese sei mit ihren Landesverbindungskommandos ein gutes Beispiel. Im Sinne eines Fußballspiels sei der Bund in der Abwehr, das Land bilde das Mittelfeld, den Sturm übernehme die Kommune. Die Basis bleibe verantwortlich und habe den "Blick ins Gelände", die oberen Ebenen sollten zusätzliche Lage-, Informations- und Reservestrukturen vorhalten.

Insgesamt spürt Schuster eine "ungeheure Aufbruchsstimmung im Bevölkerungsschutz". Auch die Ampel-Koalition sei dafür, das BBK zur Zentralstelle weiterzuentwickeln. Dazu komme Cell Broadcasting als weiteres Warnsystem, wofür er schon vor über einem Jahr im Bundestag geworben habe. Es handle sich zwar um eine "relativ altmodische Technik", die aber auf dem Erfolg der Corona-Warn-App aufbauen könnte. In puncto Sirene habe das BBK Deutschland parallel auch "schon länger wieder fitter machen" wollen.

Das BBK müsse vor allen in Großschadenslagen das Zepter übernehmen, wofür es die Politik ertüchtigen müsse, betonte die FDP-Bundestagsabgeordnete Sandra Bubendorfer-Licht. Mit Wetterkapriolen, Stromausfällen und großen Waldbränden "werden wir ganz andere Herausforderungen haben", auf die die Gemeinden zu wenig vorbereitet seien.

Im Gegensatz zu Landräten seien Bürgermeister mit dem Katastrophenschutz bislang kaum konfrontiert, ergänzte der Grüne Leon Eckert. Hier gelte es, Abläufe zu proben und für mehr Resilienz zu sorgen. Auch bei der Standardsetzung im Warnmix hält Eckert eine koordinierende Rolle des Bundes für wichtig. Bisher hätten alle Länder etwa eigene Sirenenförderprogramme. So bleibe offen, ob man die Anlagen mit dem Tetra-Behördenfunk nachrüsten, manuell bleiben oder zusätzliche Durchsagen einführen wolle.

"Wir waren verwöhnt", meinte die CDU-Abgeordnete Nina Warken. Daher hätten viele Gemeinden Sirenen abgebaut. Empfehlungen, Notvorräte anzulegen, würden noch immer belächelt. Heute werde man zudem "schon übers Handy gewarnt, wenn es mal etwas heftiger windet". Hier müsse die Bevölkerung besser befähigt werden, Warnungen richtig zu deuten. Auch technische Lösungen, um verlässliche Lageinformationen in Echtzeit zu bekommen, spielten auf dem Kongress eine Rolle.

Nikolaus Erbach vom Cyber Innovation Hub der Bundeswehr stellte das auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Warnsystem Prometheus vor, das das Zentrum mit dem Startup Traversals entwickelte. Damit ließen sich automatisiert Ticker, Tweets und andere offene Nachrichtenkanäle von Redaktionen, Polizeien und Krisenstäben nach festgelegten Themen und Schlagwörtern untersuchen. Die KI werte zehntausend Einzelmeldungen pro Tag aus und breche sie auf 50 relevante runter. Die Ergebnisse könne man sich auch auf einer Karte anzeigen lassen und so einen Überblick über ein größeres Gebiet oder eine dynamische Entwicklung bekommen, berichtete Erbach.

Die zivile Lage im Inneren bewerte die Bundeswehr dabei, um schneller etwa über einen Amoklauf oder einen Chemieunfall im Bilde zu sein und auf potenzielle Hilfsersuchen schneller reagieren zu können. Früher experimentierten die Streitkräfte dazu auch bereits, etwa mit der IBM-Wissensdatenbank Watson. Das Bundeswirtschaftsministerium fördert derweil eine Semantische Plattform zur intelligenten Entscheidungs- und Einsatzunterstützung in Leitstellen und beim Lagemanagement (Spell).

Mit EmergencyEye hat die Firma Corevas derweil eine Anwendung zur Lageerkundung vor Ort erstellt. Eine spezielle App sei dafür nicht nötig, sagte der Unternehmensvertreter Rupert Heege: Für einen möglichst schnellen Zugriff auf Smartphones "rufen wir einen Partner an, der öffnet einen Link in einer SMS" und öffne damit eine Ende-zu-Ende-verschlüsselte Verbindung. Über die Plattform erfolge dann eine permanente Ortung, ein Live-Video über die Handy-Kameras könne zusammen mit HD-Fotos dokumentiert werden. Eingebaut sei auch ein Chat mit Übersetzung in 15 Sprachen. Künftig wolle man etwa auch Bodycams und Drohnen einbinden.

Ein Hochwasserfrühwarnsystem präsentierte die Firma ACS Control-System, die anfangs für Kraftwerkskunden Sensoren in Flüssen verbaute. Dann seien Gemeinden an sie herangetreten mit der Frage, ob sich darüber nicht ein Alarm über Pegelstände auslösen lasse, erinnerte sich Produktionsleiter Christian Eder. Die Niederschlagsmessung sei dazugekommen. Die fünf bis zehn Jahre laufenden Geräte seien akkugespeist oder verfügten über ein Solarpanel, ergänzte Vertriebsleiter Martin Halbinger. Der Alarm gehe über Funkmodule von 2G bis LTE und künftig 5G an den PC oder aufs Handy.

(kbe)