Keine Akzeptanz für Big Brother

Datenschützer, Kriminologen, Polizei- und Wirtschaftsvertreter diskutierten in Schwerin über Theorie und Praxis der Videoüberwachung.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 110 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Detlef Borchers
  • Christian Rabanus

Auf einer zweitägigen Konferenz zur Theorie und Praxis der Videoüberwachung in Schwerin, die der Landesbeauftragte für den Datenschutz in Mecklenburg-Vorpommern durchführte, waren sich Datenschützer, Kriminologen und Polzeivertreter darüber einig, dass sich Videoüberwachung nur für punktuelle Maßnahmen eigne und dass dabei anfallende Daten nicht über längere Zeiträume gespeichert werden dürften. Die angereisten Vertreter der Zuliefer-Industrie wollten allerdings etwas mehr die tollen Möglichkeiten der Technik im Einsatz sehen, bei denen der Schutzmann mit einer Art Joystick auf Videostreife geht.

Auf der Konferenz wurden die im Betrieb befindlichen polizeilichen Videoüberwachungssysteme aus Regensburg und Leipzig vorgestellt, desgleichen die Planung für die Videoüberwachung des Hardenberg- und Breitscheidplatzes in Berlin. Mit drei (Leipzig) und neun Kameras (Regensburg, von den Verkehrsbetrieben geliehen) erreichen die deutschen Projekte bei weitem nicht den Umfang vergleichbarer Projekte in Großbritannien, wo die Zahl der Kameras im öffentlichen Raum längst die Millionengrenze überschritten hat und riesige Datenhalden erzeugt. Die Göttinger Kriminologin Marianne Gras berichtete, dass allein in Glasgow täglich 768 Stunden Videobänder produziert werden, die 69 Millionen Einzelbilder enthalten.

Vor dieser Form von Big Brother warnte der Kieler Datenschützer Helmut Bäumler. Es dürfe nicht sein, dass aus einzelnen Kamerainstallationen ein ganzes System entstehe und "dass wir den Break Even Point beim Umschlagen von einzelnen vertretbaren Videokameras zu einer inakzeptablen Überwachungsstruktur gar nicht mitbekommen". Wie der Break Even aussehen könnte, darüber wurde in Schwerin heftig debattiert. Gegen die drei öffentlichen Kameras der Leipziger Polizei stehen beispielsweise 140 versteckte Kameras allein am Leiziger Hauptbahnhof, die von der Bahnsicherheit und dem BGS bedient werden. Würden sie mit den Kameras der "Grünen" vernetzt, wäre das der Eintritt in die Flächendeckung.

Die Experten der Industrie erläuterten die technische Seite der Videoüberwachung: 3D-Dome-Kameras (als kleine lampenähnliche Glasküppelchen getarnt), könnten mittlerweile definierte Bereiche ausblenden, wenn etwa der Innenstadtschwenk den Eingang eines Beate-Uhse Geschäftes streift. Norbert Wendt von der Bochumer Firma ZN AG stellte das von der Polizei genutzte Phantomas-System vor, eine automatische Gesichtserkennung von Personen, die in einer Lichtbilddatenbank gespeichert sind. Es erzielt vor allem bei Rolltreppenfahrten auf Flughäfen beste Ergebnisse. Der Systembiophysiker Professor Christoph von der Malsburg verwies auf intelligente Verfahren, die Handlungstypen erkennen können, etwa einen Schlag oder einen Stich. Solche Verfahren, gefiltert durch entsprechend leistungsfähige Rechner, alarmieren dann den menschlichen Operator und fangen selbsttätig mit der Datenaufzeichnung an. Sie bilden die nächste Stufe der Videoüberwachung, in der der Rechner die öffentliche Ordnung kontrolliert.

Offen blieb auf der Tagung, ob die Videoüberwachung überhaupt die Kriminalität senkt oder doch nur zu einer Verlagerung der Brennpunkte führt. Die Datenschützer forderten die Einführung eines farblich kodierten Systems, aus dem ersichtlich ist, ob Kameras installiert sind, ob sie nur überwachen oder ob sie auch Daten speichern, und zwar bei polizeilichen wie bei privatwirtschaftlichen Installationen. (Detlef Borchers)/ (chr)