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"Killerspiele" und Amoklauf-Drohungen: Polizei durchforstet Server-Logs

Stefan Krempl

Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg hat von Providern wegen der "Störung des öffentlichen Friedens" durch einen möglichen Gewalttäter komplette Serverkopien verlangt, während die Jugendschutzdebatte weiter geht.

Das Landeskriminalamt (LKA [1]) Baden-Württemberg hat von Providern aufgrund der "Störung des öffentlichen Friedens" durch die Ankündigung eines Amoklaufs [2] auf eine Schule im Südwesten neben der Herausgabe von Bestandsdaten von Nutzern hinter bestimmter IP-Adressen auch komplette Serverkopien verlangt. Dies geht aus einem im Internet veröffentlichten Auskunftsgesuch [3] hervor, das heise online als eingescanntes Originalschreiben vorliegt. In dem Schreiben ergeht die Bitte, auch "den Server" zu sichern, also ein "Image" des Netzrechners zu erstellen und dem LKA zu übersenden.
Ein betroffener Zugangsanbieter meinte zunächst, es mit einem verfrühten Aprilscherz zu tun zu haben. Bei einer telefonischen Nachfrage zur Prüfung der Authentizität der Anweisung sei "alternativ auch eine Hausdurchsuchung angeboten" worden, falls die Daten nicht freiwillig übersendet würden. Die sichergestellten umfangreichen Logfiles vom 25. November bis zum 6. Dezember werden nun nach Chatnachrichten durchsucht, die mit der baden-württembergischen Ankündigung eines Amoklaufes in Verbindung gebracht werden können, vermutet der Hamburger Anbieter.
Trittbrettfahrer halten derweil die Polizei bundesweit auf Trab. Der baden-württembergische Innenminister Heribert Rech (CDU) lobte die rasche Bestrafung eines jungen Erwachsenen durch das Amtsgericht in Rastatt. Der 19-Jährige wurde in einem Schnellverfahren zu vier Wochen Dauerarrest verurteilt. Er hatte zugegeben, per E-Mail einen Überfall auf eine Berufsschule angekündigt zu haben, um seiner Freundin zu imponieren. Weitere Nachahmer warnte Oberstaatsanwalt Clemens Lückemann: "Das sind keine Scherze, sondern schwerwiegende Straftaten. Wer diese Warnung nicht ernst nimmt, landet schneller hinter Gittern, als er sich vorstellen kann."
Am Donnerstag bereits war in einer Schule in Schleswig ein Zettel an einer Tür eine Warnung vor einem Amoklauf entdeckt worden. Die Polizei in Würzburg nahm am Freitag einen 41-Jährigen fest, der im Internet mit einer Bluttat an einer Schule in Berlin-Spandau gedroht hatte. Er will "aus Spaß" gehandelt haben, weil andere dies ähnlich gemacht hätten, erklärte ein Polizeisprecher. Das Satire-Magazin Titanic hat sich derweil in der ihm eigenen Art dem Phänomen der Trittbrett-Fahrer gewidmet: Es wartet auf seiner Startseite [4] mit einem "Cartoon" in Form einer "Amok-Ankündigung" auf, das zahlreiche vorgegebene Optionen etwa zur Begründung des Motivs anbietet, darunter eine erlittene Abstempelung zum Versager, das Vergessensein an der Käsetheke oder einem Verständnisproblem wegen Artikulationsschwierigkeiten. Das "Formular", bei dem ein Durchschlag an "Spiegel Online", "Polizei" oder den Kriminologen "Christian Pfeiffer" vermerkt werden kann, halten die Scherzkekse auch zum Download [5] bereit (PDF-Datei).
In der Debatte um eine Verschärfung des Jugendmedienschutzes [6] gibt es derweil keine Atempause. Ein Nicht-Verbot von "Killerspielen" trage immer auch den Charakter von Legitimation, warnte der evangelische Bischof von Berlin-Brandenburg im Gespräch mit der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. Man dürfe aber trotzdem "keine übertriebenen Vorstellungen von den praktischen Auswirkungen eines solchen Verbots haben", räumte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland zugleich ein. "Viel wichtiger ist die Bereitschaft von Eltern und Bezugspersonen junger Menschen, genau hinzusehen, was sie machen." Was im schlimmsten Fall Züge der Verwahrlosung annehme, "beginnt immer damit, dass Jugendliche in ihrer virtuellen Welt alleine gelassen werden."
Der bayerische Innenminister Günther Beckstein verteidigte seinen Vorschlag für eine Verschärfung [7] des Gewaltdarstellungsparagraphen 131 [8] im Strafgesetzbuch (StGB). Durch ein solches Verbot "ist auch bei Killerspielen eine massive Reduzierung der Verfügbarkeit zu erwarten", behauptete der CSU-Politiker gegenüber der Welt [9]. Erforderlich sei "ein politisches Signal, dass Deutschland Killerspiele ächtet. Jeder muss wissen, dass deren Verbreitung nicht zulässig ist." Verbote hätten "eindeutig eine abschreckende Wirkung", da der Durchschnittsbürger kriminalisiertes Verhalten meide. Alle Erfahrungen der Polizei würden belegen, dass Verbote hälfen.
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries betonte dagegen noch einmal explizit, dass keine Gesetzeslücke bestehe und im StGB der "notwendige Schutz vor Killerspielen gewährleistet" sei. Seit der Novelle des einschlägigen Paragraphen in 2004 könne wirksam gegen die Verbreitung brutaler Spiele vorgegangen werden Voraussetzung sei, dass diese "grausame Gewalttätigkeiten verherrlichend darstellen", stellte die SPD-Politikerin klar. "Datenspeicher" seien dabei generell mit erfasst. Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU), der mit Beckstein parallel eine Bundesratsinitiative für ein Verbot nach bayerischem Muster einbringen will, kritisierte derweil erneut die Arbeit der Unterhaltungssoftware-Selbstkontrolle (USK [10]) scharf. Manche Gewaltspiele seien ab 16 Jahren freigegeben. Das könne "so nicht sein".
Skeptisch zu den Plänen der Länder äußerte sich die Gewerkschaft der Polizei (GdP). Amokläufe oder ähnliche Taten könnten damit nicht verhindert werden, sagte ihr Vorsitzender Konrad Freiberg im rbb. Man dürfe "nicht nur Diskussionen über Verbote führen, denn daran, dass viele Jugendliche Hass empfinden, frustriert und resigniert sind, ändert sich nichts." Die Polizei sei auch gar nicht in der Lage, die Einhaltung eines solchen Verbots im Internet zu kontrollieren, zeigte sich Freiberg realistisch und entschlossen: "Da sage ich ausdrücklich Nein. Das Internet überwachen kann man wirklich nur punktuell. Es ist der freieste Raum dieser Welt, und kontrollieren kann man nur in Ansätzen. Wir sind auf Hinweise durch Leute, die sich im Internet bewegen, angewiesen." Wolfgang Speck von der Deutschen Polizeigewerkschaft hält ebenfalls nicht viel von einem verschärften Verbot. Er forderte eine verstärkte Aufklärungsarbeit an Schulen. Die Polizei könne dabei helfen, Problemschüler bereits im Vorfeld zu identifizieren. Zugleich müsse die Medienkompetenz von Eltern, Lehrern und Schülern gestärkt werden.
Siehe zu dem Thema auch:
  • Warnung vor neuem Amoklauf verschärft "Killerspiele"-Debatte [12]
  • Verbot von "Killerspielen" bleibt heftig umstritten [13]
  • Diskussion um Verbot von "Killerspielen" kocht weiter vor sich hin [14]
  • Beckstein schlägt Formulierung für ein Verbot von "Killerspielen" vor [15]
  • EU-Minister uneins über Verbot von "Killerspielen" [16]
  • ESL Pro Series: "Kein kausaler Zusammenhang zwischen Killerspielen und realer Gewalt" [17]
  • Studien: Computerspiele können aggressiv machen [18]
  • Bundesregierung äußert sich zurückhaltend zu Verbot von Killerspielen [19]
  • Kieler Landtag will keine neuen gesetzlichen Regelungen gegen "Killerspiele" [20]
  • Umfrage: Bundesbürger befürworten "Killerspiele"-Verbot [21]
  • Staatlicher Jugendschützer bricht Lanze für deutsches Jugendschutzsystem [22]
  • Grüne suchen die Diskussion über Spiele [23]
  • Jugendschützer: Lücken beim Jugendschutz im anonymen Internet [24]
  • Nach dem Amoklauf: Rufe nach mehr Netzüberwachung und "hartem Durchgreifen" [25]
  • Politiker und Forscher gegen pauschale Computerspiele-Kritik [26]
  • Statt "Killerspiele"-Verbot: Datei für jugendliche Gewalttäter gefordert [27]
  • Bundestagsgutachten sieht Chancen für "Killerspiele-Verbot" [28]
  • Kritik an "naiver Scheindebatte" um das Verbot von "Killerspielen" [29]
  • Niedersachsens Innenminister startet Bundesratsinitiative gegen "Killerspiele" [30]
  • Neue Forderungen nach Verbot von "Killerspielen" [31]
  • "Ich hasse es, überflüssig zu sein" [32]: die erwartbaren Reaktionen und Verdächtigen - einmal wieder wird die Ursache des Amoklaufs in Emsdetten bei den "Killerspielen" gesucht; Artikel in Telepolis
  • "Ich will R.A.C.H.E" [33]: der vollständige Abschiedsbrief, den Bastian B. im Internet hinterlassen hat, bevor er auf seinen suizidalen Rachefeldzug in seiner Schule in Emsdetten zog; Artikel in Telepolis
  • Bundesregierung sieht keinen Bedarf für Verbot von "Killerspielen" [34]
  • Michigan: Gesetz gegen Gewaltspiele ist verfassungswidrig [35]
  • FDP-Medienkommission gegen "populistisches" Verbot von "Killerspielen" [36]
  • Clash of Realities: Die Computerspieler und die "Killerspiele" [37]
  • Niedersachsens Kultusminister fordert Verbot von "Killerspielen" [38]
  • Expertenstreit über Auswirkungen von "Killerspielen" auf Jugendliche [39]
  • Kriminologe Pfeiffer fordert rigides Vorgehen gegen "Killerspiele" [40]
  • Spielehersteller warnt vor überhastetem Verbot von "Killerspielen" [41]
  • CDU-Innenminister fordern Verbot von "Killerspielen" [42]
  • Grüne gegen Verbot von "Killerspielen" [43]
  • NRW-Minister fordert "sachgerechte Diskussion" über Computerspiele [44]
  • Rege Debatte um "Killerspiel"-Verbot [45]
  • CDU-Politikerin verteidigt geplantes Verbot von "Killerspielen" [46]
  • "Unsere Forderung ist nicht populistisch" [47], ein Gespräch mit der CSU-Abgeordneten Maria Eichhorn in Telepolis
  • Schwarz-rote Koalition will Verbot von "Killerspielen" [48]
  • Hightech-Strategie mit Hindernissen im schwarz-roten Koalitionsvertrag [49] in c't aktuell
  • Jugendmedienwächter zwischen Startschwierigkeiten und Beschwerdeflut [50]
  • Zwei Jahre neuer Jugendmedienschutz: Prophylaktisches Modell [51]
  • Nach Erfurt: Spieler gegen Kritiker von Computerspielen [52]
  • Diskussion um Wirkung von Gewaltdarstellungen geht weiter [53]
  • Stoiber will Gewalt in Computerspielen verbieten [54]
  • (Stefan Krempl) /

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    [1] http://www.lka-bw.de/
    [2] https://www.heise.de/news/Warnung-vor-neuem-Amoklauf-verschaerft-Killerspiele-Debatte-124471.html
    [3] http://www.kifferstuebchen.de/index.php?action=kfs_module;item=10;news=202
    [4] http://www.titanic-magazin.de/index.php
    [5] http://www.titanic-magazin.de/fileadmin/content/Newsticker/amokformular.pdf
    [6] https://www.heise.de/news/Niedersachsen-sieht-Mehrheit-fuer-Killerspiele-Verbot-gesichert-124990.html
    [7] https://www.heise.de/news/Beckstein-schlaegt-Formulierung-fuer-ein-Verbot-von-Killerspielen-vor-123774.html
    [8] http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__131.html
    [9] http://www.welt.de/data/2006/12/09/1139440.html
    [10] http://www.usk.de/
    [11] https://www.heise.de/news/Niedersachsen-sieht-Mehrheit-fuer-Killerspiele-Verbot-gesichert-124990.html
    [12] https://www.heise.de/news/Warnung-vor-neuem-Amoklauf-verschaerft-Killerspiele-Debatte-124471.html
    [13] https://www.heise.de/news/Verbot-von-Killerspielen-bleibt-heftig-umstritten-124127.html
    [14] https://www.heise.de/news/Diskussion-um-Verbot-von-Killerspielen-kocht-weiter-vor-sich-hin-123887.html
    [15] https://www.heise.de/news/Beckstein-schlaegt-Formulierung-fuer-ein-Verbot-von-Killerspielen-vor-123774.html
    [16] https://www.heise.de/news/EU-Minister-uneins-ueber-Verbot-von-Killerspielen-123691.html
    [17] https://www.heise.de/news/ESL-Pro-Series-Kein-kausaler-Zusammenhang-zwischen-Killerspielen-und-realer-Gewalt-123266.html
    [18] https://www.heise.de/news/Studien-Computerspiele-koennen-aggressiv-machen-123018.html
    [19] https://www.heise.de/news/Bundesregierung-aeussert-sich-zurueckhaltend-zu-Verbot-von-Killerspielen-122696.html
    [20] https://www.heise.de/news/Kieler-Landtag-will-keine-neuen-gesetzlichen-Regelungen-gegen-Killerspiele-122068.html
    [21] https://www.heise.de/news/Umfrage-Bundesbuerger-befuerworten-Killerspiele-Verbot-121996.html
    [22] https://www.heise.de/news/Staatlicher-Jugendschuetzer-bricht-Lanze-fuer-deutsches-Jugendschutzsystem-121963.html
    [23] https://www.heise.de/news/Gruene-suchen-die-Diskussion-ueber-Spiele-121570.html
    [24] https://www.heise.de/news/Jugendschuetzer-Luecken-beim-Jugendschutz-im-anonymen-Internet-120773.html
    [25] https://www.heise.de/news/Nach-dem-Amoklauf-Rufe-nach-mehr-Netzueberwachung-und-hartem-Durchgreifen-120724.html
    [26] https://www.heise.de/news/Politiker-und-Forscher-gegen-pauschale-Computerspiele-Kritik-120361.html
    [27] https://www.heise.de/news/Statt-Killerspiele-Verbot-Datei-fuer-jugendliche-Gewalttaeter-gefordert-120313.html
    [28] https://www.heise.de/news/Bundestagsgutachten-sieht-Chancen-fuer-Killerspiele-Verbot-120161.html
    [29] https://www.heise.de/news/Kritik-an-naiver-Scheindebatte-um-das-Verbot-von-Killerspielen-119920.html
    [30] https://www.heise.de/news/Niedersachsens-Innenminister-startet-Bundesratsinitiative-gegen-Killerspiele-119683.html
    [31] https://www.heise.de/news/Neue-Forderungen-nach-Verbot-von-Killerspielen-119599.html
    [32] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24030/1.html
    [33] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24032/1.html
    [34] https://www.heise.de/news/Bundesregierung-sieht-keinen-Bedarf-fuer-Verbot-von-Killerspielen-149567.html
    [35] https://www.heise.de/news/Michigan-Gesetz-gegen-Gewaltspiele-ist-verfassungswidrig-115587.html
    [36] https://www.heise.de/news/FDP-Medienkommission-gegen-populistisches-Verbot-von-Killerspielen-112231.html
    [37] https://www.heise.de/news/Clash-of-Realities-Die-Computerspieler-und-die-Killerspiele-112143.html
    [38] https://www.heise.de/news/Niedersachsens-Kultusminister-fordert-Verbot-von-Killerspielen-110612.html
    [39] https://www.heise.de/news/Expertenstreit-ueber-Auswirkungen-von-Killerspielen-auf-Jugendliche-110366.html
    [40] https://www.heise.de/news/Kriminologe-Pfeiffer-fordert-rigides-Vorgehen-gegen-Killerspiele-109659.html
    [41] https://www.heise.de/news/Spielehersteller-warnt-vor-ueberhastetem-Verbot-von-Killerspielen-109508.html
    [42] https://www.heise.de/news/CDU-Innenminister-fordern-Verbot-von-Killerspielen-108759.html
    [43] https://www.heise.de/news/Gruene-gegen-Verbot-von-Killerspielen-168944.html
    [44] https://www.heise.de/news/NRW-Minister-fordert-sachgerechte-Diskussion-ueber-Computerspiele-153742.html
    [45] https://www.heise.de/news/Rege-Debatte-um-Killerspiel-Verbot-149810.html
    [46] https://www.heise.de/news/CDU-Politikerin-verteidigt-geplantes-Verbot-von-Killerspielen-149251.html
    [47] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/21/21368/1.html
    [48] https://www.heise.de/news/Schwarz-rote-Koalition-will-Verbot-von-Killerspielen-147979.html
    [49] http://www.heise.de/ct/aktuell/meldung/66081
    [50] https://www.heise.de/news/Jugendmedienwaechter-zwischen-Startschwierigkeiten-und-Beschwerdeflut-112192.html
    [51] https://www.heise.de/news/Zwei-Jahre-neuer-Jugendmedienschutz-Prophylaktisches-Modell-150776.html
    [52] https://www.heise.de/news/Nach-Erfurt-Spieler-gegen-Kritiker-von-Computerspielen-Update-57031.html
    [53] https://www.heise.de/news/Diskussion-um-Wirkung-von-Gewaltdarstellungen-geht-weiter-56559.html
    [54] https://www.heise.de/news/Stoiber-will-Gewalt-in-Computerspielen-verbieten-64658.html