Klimaforscher zur Energiewende: Dezentrale Energiegewinnung besser als lange Leitung

Der Klimaforscher Mojib Latif bemängelt das Fehlen einer Strategie für die Energiewende in Deutschland. Den Windstrom in der Nordsee zu erzeugen und nach Bayern zu leiten, hält er für unsinnig.

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  • AndrĂ© Klohn
  • dpa

Mojib Latif "Die Energiewende hat ja eigentlich noch gar nicht so richtig begonnen. Es fehlt eine langfristige Strategie auf allen Ebenen."

(Bild: Björn Láczay (Moosburg, Deutschland), Lizenz: Creative Commons Attribution 2.0 Generic)

Der Klimaforscher Mojib Latif bemängelt das Fehlen einer Strategie für die Energiewende in Deutschland. Dabei sind Auswirkungen des Klimawandels seiner Ansicht nach auch bei uns schon zu spüren. Woran es hapert, erklärt der Leiter des Forschungsbereiches Ozeanzirkulation und Klimadynamik am Kieler Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung im Interview:

Ist das Tempo der Energiewende in Deutschland zu gering?

Mojib Latif: Es hat ja eigentlich noch gar nicht so richtig begonnen. Es fehlt eine langfristige Strategie auf allen Ebenen. Man hat zwar beschlossen, dass man es machen will. Aber letzten Endes fehlt die große Linie. Wir brauchen ein parteiübergreifendes Konzept, das von Bundestagswahl-Kämpfen unberührt bleibt.

Einigen geht der Ausbau der Windenergie zu schnell. Teilen Sie diese Einschätzung?

Latif: Ich halte nichts davon, den Windstrom in der Nordsee zu erzeugen und über riesige Leitungen nach Bayern zu transportieren. Wir brauchen eine dezentrale Energieversorgung. Dabei spielt Wind eine ganz wichtige Rolle. Aber es gibt auch Sonne, Erdwärme, Wasserkraft etc. Wir müssen weg vom Gedanken der zentralistischen Versorgung hin zu kleinen, standortangepassten Lösungen. Das erfordert mehr Bürgerbeteiligung.

Woran hapert es noch?

Latif: Mit den jetzigen Netzen können wir keine Energiewende betreiben. Ungeklärt ist, was wir mit der überschüssigen Windenergie machen, wie wir sie speichern. Notwendig sind mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung. Da ist noch so viel möglich. Energiesparen und -effizienz dürfen wir dabei nicht aus dem Auge verlieren.

Wie viel Zeit haben wir noch?

Latif: Das Zeitfenster liegt im Bereich von 20 bis 30 Jahren. Bis dahin müssen wir es schaffen, dass der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen beginnt, drastisch zu fallen. Das Klima interessiert sich nur für den globalen Ausstoß. Gefordert sind zunächst die Industrienationen. Wir können den Chinesen nicht sagen: Ok, wir haben die Luft verpestet, ihr dürft nicht mehr. Wenn wir das anvisierte Ziel, einer Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf zwei Grad bis 2100 schaffen wollen, muss es Glaubwürdigkeit geben. Und die fehlt noch. Die Politiker kennen die notwendigen Fakten. Fragen muss man sich deshalb, wie unabhängig die Politik ist - insbesondere vor dem Hintergrund, dass fast alle Chef-Lobbyisten ehemalige Spitzenpolitiker sind.

Kann man den Anteil Deutschlands am Klimawandel beziffern?

Latif: Ja, Deutschland steht weltweit auf Platz sechs beim CO2-Ausstoß. Das ist kein Ruhmesblatt, wenn man bedenkt, wie klein das Land ist. In absoluten Zahlen ist das aber natürlich wenig. Wenn Deutschland als Industrieland die Energiewende schaffen würde, hätte es Signalwirkung. Ich glaube, dass die nächste industrielle Revolution mit den erneuerbaren Energien zu tun hat.

Welche Auswirkungen des Klimawandels merken wir hier bereits?

Latif: Ein Menschenleben reicht kaum, um die globale Erwärmung zu bemerken. Hier in Deutschland merken wir aber bereits die Veränderungen an den kleinräumigen Extremen. Heftige Gewitter, Tornados, Starkregen und Überschwemmungen nehmen zu. Das sind die Auswirkungen der globalen Erwärmung. (jk)