Klimavorkämpferin? Wohl eher Chef-Aussitzerin

Die Bundeskanzlerin findet niedrige Preise für Verschmutzungsrechte nicht besonders schlimm. Jedenfalls nicht so schlimm, dass sie deswegen ihre Blockade gegen Eingriffe in den Markt aufgeben würde

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Bundeskanzlerin Merkel hat es mal wieder versucht. Zur Eröffnung des sogenannten Pertersberger Dialogs, eines Treffens von Umweltministern aus 35 Ländern, spielte sie sich am Montag als Vorkämpferin für den Klimaschutz auf. "Merkel macht Hoffnung auf Reparatur des EU-Emissionshandels", titelte prompt der Öko-Nachrichtendienst BusinessGreen.

Auch bei AFP erscheint die Kanzlerin im besten Licht: Die Europäische Union wolle weiter die Führung im Kampf gegen den Klimawandel übernehmen. Allein dieses Weiter ist natürlich bereits eine ungeheure Anmaßung für eine Staatengemeinschaft, deren Treibhausgasemissionen mit 9,2 Tonnen pro Einwohner und Jahr weit über dem weltweiten Durchschnitt liegen. Derlei unsinnige Aussagen kann eigentlich nur veröffentlichen, wer den Rest der Welt geflissentlich ausblendet. Zum Beispiel Äthiopien, das bis 2025 kohlenstoff-neutral werden will, wie die Irisch Times schreibt (siehe auch Klimakonferenz: Hängt Äthiopien Deutschland ab?).

Der europäische Emissionshandel ist, wie mehrfach berichtet, tatsächlich in ziemlich desolatem Zustand. Der Preis pro Tonne CO2 sackte Ende letzter Woche sogar unter drei Euro, zu Wochenbeginn lag er wieder bei 3,65 bis 3,8 Euro. Weit entfernt also von den 20 bis 30 Euro pro emittierter Tonne Treibhausgas, die für die gewünschte Lenkungsfunktion notwendig wäre. Entsprechend begrüßenswert wäre es, wenn Angela Merkel endlich den Weg für einen bisher von Deutschland blockierten Eingriff in den Markt frei machen würde. Das Angebot an Verschmutzungsrechten könnte dann, wie es die EU-Kommission vorschlägt, begrenzt werden, um ihren Preis zu stützen.

Aber schauen wir, was die Kanzlerin tatsächlich am Montag gesagt hat:

Aufgrund der Krise ging das europäische Wirtschaftswachstum zurück. Damit stiegen die Treibhausgasemissionen nicht wie erwartet an. Das sei zwar gut für das Klima, so die Bundeskanzlerin, aber nicht für den Zertifikatehandel. Wenn ein Instrument, das vor allem auf Wachstumszahlen basiere, wegen einer wirtschaftlichen Stagnation nicht mehr greife, dann dürfe die Frage, ob man es revidieren sollte, kein Tabu sein.

Die Bundeskanzlerin betonte, dass es zunächst wichtig sei, die Rahmenbedingungen für den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu reformieren. Nur so könne die Planungssicherheit für die Wirtschaft und deren Investitionen gewährleistet werden.

Das sei auch in engem Zusammenhang mit den Änderungen im europäischen Emissionshandel zu sehen."Wenn die Reform des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes gelingt, dann können wir uns dem Emissionshandel in Europa nochmal zu wenden", sagte Merkel. Dieser sei ein zentrales Klimaschutzinstrument und müsse angepasst werden.

Pressemitteilung der Bundesregierung

Also Eingriff in den Emissionshandel ja, aber zunächst das Erneuerbare-Energiengesetz umstricken, was natürlich erst nach der Bundestagswahl möglich sein wird. Das ist in mehrerlei Hinsicht frech und perfide. Zum einen fordert die Kanzlerin wieder einmal, dass sich die EU nach der deutschen Innenpolitik zu richten habe. Das findet sie offensichtlich so absolut selbstverständlich, dass sie es ganz unverblümt und undiplomatisch auf einem internationalen Forum ausspricht. Gleichberechtigte Zusammenarbeit in einer demokratischen Union geht anders. Ganz anders.

Zum anderen haben Emissionshandel und EEG-Novelle auch sachlich nichts miteinander zu tun. Letztere reorganisiert die Bedingungen für den Ausbau der erneuerbaren Energieträger, und die Bundesregierung möchte bekannter Weise gerne ein paar weitere Bremsen für alles einbauen, was den großen Energiekonzernen das Geschäft verderben könnte. Der Handel hingegen sollte eigentlich einen Teil der externen Kosten der Umweltverschmutzung in die Energiewirtschaft einpreisen und so Anreize zu mehr Effizienz und zum Umstieg auf emissionsarme oder -freie Energieträger schaffen.

Einen Grund gibt es allerdings doch, beide Dinge in Kombination zu sehen. Der niedrige Preis für die CO2-Zertifikate drückt, wie berichtet, auch den Börsenstrompreis und treibt damit EEG-Umlage und Strompreise in die Höhe. Das wäre allerdings ein Grund, nicht weiter zu verzögern, wie es die Aussitz-Kanzlerin versucht, sondern möglichst rasch einzugreifen. Doch das würde natürlich die Pläne von Bundesumweltminister Peter Altmaier stören, der den Strompreis im Wahlkampf ausgiebig als Keule gegen die Erneuerbaren einsetzen will.