Kommen Softwarepatente durch die Hintertür?

Die EU-Kommission konstatiert einen mangelnden gewerblichen Rechtsschutz und will 2006 Gegenmaßnahmen vorstellen, während gleichzeitig die Kritik an der geplanten Verschärfung geistiger Eigentumsrechte nicht abreißt.

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Die EU-Kommission will im Frühjahr 2006 eine neue Initiative für Rechte an geistigem Eigentum und gegen Nachahmungen starten. Dies kündigte der für die Wirtschaftspolitik zuständige Kommissar Günter Verheugen an. Das Maßnahmenpaket ist Teil einer umfassenderen Kampagne, mit der Brüssel eine stärker integrierte Industriepolitik lancieren und damit insbesondere das Verarbeitende Gewerbe stärken will. Als ein wesentliches Manko hat Verheugen bei der Vorbereitung der Gesamtinitiative einen mangelnden gewerblichen Rechtsschutz ausgemacht. Gleichzeitig reißt aber die Kritik von Nutzergruppen an einer bereits auf den Weg gebrachten Richtlinie zur Verschärfung von Strafvorschriften im Kampf gegen Verletzungen des geistigen Eigentums nicht ab.

In den Vorschlägen für ein neues industriepolitisches Rahmenwerk konstatiert die Kommission, dass "Unternehmen und ihre Kunden" gewerbliche Eigentumsrechte brauchen, da diese Innovation anregen und die Entwicklung effizienter Geschäftsmodelle befördern würden. Die von der gescheiterten Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" erzeugte Debatte habe aber gezeigt, dass es keineswegs einfach sei, Regeln für den Bereich des geistigen Eigentums aufzustellen, die eine Balance zwischen den Bedürfnissen aller Interessengruppen darstellen. Man werde daher einen Dialog mit der Industrie und anderen Parteien starten, um einen "vernünftigen" gesetzlichen Rahmen zu erarbeiten.

Bei Kritikern der Ausweitung der gewerblichen Schutzrechte im Softwarebereich hat die Ankündigung Alarmglocken schrillen lassen. Sie fürchten, dass Hand in Hand mit dem beim EU-Rat anhängigen Verfahren zur Schaffung eines Gemeinschaftspatentes eine Hintertür für die Softwarepatentierung aufgestoßen werden soll. "So fängt das leider immer an", fürchtet Florian Müller, Gründer der Kampagne NoSoftwarePatents.com. "Man behauptet, es gäbe Bedarf, die Sache in Augenschein zu nehmen. Dann verschütten die Konzernlobbyisten ihre Krokodilstränen vor der Kommission, und schon heißt es, man müsse unbedingt etwas zur Rettung der europäischen Wirtschaft tun." Vorherigen Beteuerungen, dass man keinen neuen Vorschlag zu diesem Thema unterbreiten wolle, würden dann nicht mehr zählen.

Gleichzeitig hinterfragt Müller den Ansatz der Kommission: "Mitunter hat gerade die Einschränkung ausgeuferter Monopolrechte zu Wachstum und Beschäftigung geführt", hält er dagegen. "Diese Chance bestünde jetzt auch, indem man dem Artikel 52 des Europäischen Patentübereinkommens mehr Geltung verschaffen würde." Bisher schließt das grundlegende Regelwerk für die Patenterteilung in Europa den rechtlichen Schutz von Computerprogrammen "als solchen" aus. Diese Klausel wird vom Europäischen Patentamt (EPA) jedoch sehr weit ausgelegt. Müller schwant daher, dass das Gemeinschaftspatent den Charakter eines "trojanischen Pferds" annehmen könnte, "wenn es als Nebenwirkung die Rechtsbeugung des EPA für zulässig erklärt und damit Softwarepatente in Europa legalisiert werden".

Deutlich zu weit geht derweil der Foundation for Information Policy Research (FIPR) der von der Kommission eingeschlagene Weg zur strafrechtlichen Stärkung von Urheberrechts- und Patentrechten. Sollte die umstrittene Durchsetzungsrichtlinie vom EU-Parlament und vom Rat abgenickt werden, hätte die Polizei dem FIPR zufolge "mehr Befugnisse gegen Urheberrechtsverletzer in der Hand als gegen Terroristen". So dürften die Strafverfolger etwa in Abstimmung mit Rechtsanwälten künftig die Konten von Eltern einfrieren, deren Kinder sich illegal Musik im Internet heruntergeladen haben könnten. Sollten Patentverletzungen EU-weit kriminalisiert werden, wäre dies ferner gefährlich für den Innovationsprozess, da das Gründen von Technologiefirmen in Europa riskanter und ein Ausweichen auf die USA attraktiver würde. In einem offenen Brief an die britische Regierung macht der FIPR-Vertreter und Krypto-Experte Ross Anderson zudem auf gravierende weitere Bedrohungen für Forscher, Universitäten und Bibliotheken aufmerksam. (Stefan Krempl) / (pmz)