Kommentar: Bonpflicht? Ja, bitte! Aber mit moderner Technik für Steuerehrlichkeit
Ein kleiner Shitstorm – und schon ist die Bundesregierung auf dem Rückzug. Es wäre Zeit für etwas Digitalkompetenz – und Konsequenz, sagt Torsten Kleinz.
Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. In drei Wochen sollen die neuen Regeln gegen Steuerhinterziehung an der Registrierkasse in Kraft treten, da rudert die Bundesregierung auch schon wieder zurück. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier will die Bonpflicht kassieren, mit der die neue Kassensicherungsverordnung die leider erstaunlich verbreitete Umsatztrickserei verhindern sollte.
Shitstorm trifft auf Entscheidungsschwäche
Ein kleiner Shitstorm aus einem Bäckerladen im Münsterland hat ausgereicht, um eine Gesetzesänderung ins Wanken zu bringen, die nicht nur 2016 beschlossen wurde, sondern ein gutes Jahrzehnt in Arbeit war. Das Bundesfinanzministerium von Olaf Scholz lässt zwar gegenüber heise online dementieren, dass es konkrete Pläne zur Abschaffung der Bonpflicht gebe – dazu sei ohnehin eine erneute Gesetzesänderung notwendig.
Sich vor die Kameras stellen, um den Deutschen den Sinn der Vorschrift zu erklären, möchte aber auch kein Politiker. Auch nicht, dass für das zu Recht kritisierte Thermopapier ab 2020 auch neue Richtwerte gelten. Wer will sich schon als Bürokratie-Buhmann und Feind der Kleinbäckereien inszenieren? Niemand – und gerade deshalb wäre es dringend nötig. Stattdessen wallfahrten Politiker reihenweise zu einem Bäckermeister als habe der die Steuergesetzgebung neu erfunden.
Ein Umfeld für Cum-Ex
Die Bonpflicht ist trotz allen verständlichen Protesten sinnvoll, ja sogar notwendig. Sie auf den letzten Drücker einkassieren zu wollen, bedeutete schlichtweg, dass der Erfolg des Gesetzes als nicht so wichtig erachtet wird. Was wahrscheinlich auch stimmt. Wer sich durch die Bundestagsprotokolle liest, merkt recht schnell: Die neue Gesetzesregelung war kein Wunschprojekt. Gesetzgeber und Regierung mussten regelrecht zum Jagen getragen werden.
Das Problem war schlichtweg nicht mehr zu leugnen. Mehrere Bundesländer hatten in den vergangenen Jahren trotz des Personalschwunds in den Finanzämtern eigene Steuerfahndergruppen aufgestellt, die sich ganz auf den Registrierkassenbetrug spezialisierten. Als die jedes Jahr Millioneneinträge in die Staatskasse brachten und Hinweise auf viel größere ungesühnte Ausfälle fanden, blieb die Erkenntnis: Steuerehrlichkeit ist deutschen Gewerbetreibenden nicht in die Wiege gelegt.
Weggucken als politische Strategie
Wenn der Staat wegsieht, ziehen die Marktteilnehmer die Lehre daraus. Man will schließlich nicht hinter den Wettbewerber zurückfallen, der vermutlich noch mehr betrügt. Ebenfalls wurde klar: Landesregierungen haben zuweilen eher ein Interesse die Steuerfahnder zu stoppen als die Steuerhinterziehung. Das ist das Klima, in dem Skandale wie der über Jahre geduldete Milliardenbetrug mit den Cum-Ex-Geschäften gedeihen konnte.
Die Wende Altmaiers zeigt auch ein grundsätzliches Unverständnis der Technik. Sichere Speicherelemente mögen einiges können, sie haben jedoch keine magischen Kräfte. Es reicht schon ein Minimum an krimineller Energie, um eine Bon-freie Lösung auszutricksen. Schließlich kann eine Kasse nur registrieren, was tatsächlich eingegeben wird. Tippt ein Kassierer ins Nichts, oder wurden ein paar Informationsströme umgebogen, dann merkt es der Kunde nicht, dann merkt es die Kasse nicht, dann merkt es das Finanzamt nicht. Wie bei Wahlen gilt: Ein Paper Trail ist nicht so einfach zu knacken.
Eine Kasse ist keine X-Box
Wenn die neuen Kassen einige Jahre in den Läden stehen, werden auch die Tüftler wieder tätig. Die raffiniertesten und aufwändigsten Verschlüsselungscodes der Welt wurden extrahiert, um unlizenzierte Software auf Spielekonsolen zu installieren oder um DVDs auf Linux gucken zu können. Wie lange besteht wohl eine Lösung in einem Umfeld, indem mal eben zwei Männer ohne nennenswerte IT-Expertise mit ein wenig Unternehmergeist vermutlich eine Milliarde Euro Schaden anrichten konnten? In einem Umfeld, wo Kassenhersteller ein aktives Interesse haben, ihrer Kundschaft kleine Hintertüren zu eröffnen?
Dass sich die Bundesregierung so überhaupt nicht hinter ihr eigenes Digitalvorhaben stellt, ist peinlich. Warum stellt man eine Blockchain-Strategie auf, wenn die bisher einzige wirklich praktische Anwendung dieser Hash-Technologie nicht verfolgt werden soll? Ehrliche Registrierkassenhersteller könnten etwas der Begeisterung vertragen, die bisher nur für Flugtaxis und digitale Investitionsruinen vorbehalten ist.
Reale Beschwerden
Auch wenn viele Beschwerden aus Krokodilstränen und Theaterdonner bestehen, haben die Kritiker valide Gründe. Dass das Gesetz in Kraft tritt, aber die dafür notwendige Hardware noch nicht breit im Handel erhältlich ist, ist peinlich. Hätte man Gesetz und Spezifikationen nicht auf den letzten Drücker verabschiedet, hätten sich die Gewerbetreibenden viel besser drauf einstellen können und die Updates in die normalen Wartungszyklen integrieren können. So hingegen müssen sie Hunderte oder Tausende für etwas ausgeben, das nach ihrer Erfahrung keinerlei Nutzen bringen wird.
Der Handel ist freilich nicht ganz unschuldig. Filialbetriebe nutzen die Registrierkassen selbstverständlich, um ihren Warennachschub zu organisieren oder die eigenen Angestellten zu überwachen. Wer mit wachen Augen durch Filialgeschäfte geht, entdeckt zuweilen kleine Kameras, die auf die Kasse gerichtet sind. Nicht um Überfälle zu vermeiden -- sondern damit die eigenen Angestellten nicht unbemerkt in die Kassen greifen. Natürlich will der Staat diese Infrastruktur ebenfalls nutzen, um zu kontrollieren, ob ihm jemand in die Staatskasse greift.
Der Bon als Chance
Während der Handel bereits über den E-Euro fantasiert – wie wäre es, wenn wir endlich eine E-Quittung bekämen? Nicht nur von Payback und Rewe, mit deren E-Bon das Ausdrucken des Kassenzettels unnötig wird. Wie wäre es mit einer Lösung von unserer Regierung selbst? Eine kleine App etwa, die Quittungen per Kamera, NFC oder E-Mail einsammelt und uns zur Verfügung stellt. Ordentlich formatiert, in einem offenen Format, mit performanten und flexiblen Schnittstellen. Damit könnten wir nicht nur Milliarden Bons einsparen, sondern unser Ausgaben direkt in ELSTER importieren, unsere Einkäufe organisieren oder die Reisekostenabrechnung automatisieren. Ein Schritt vorwärts statt planlos zurückzustraucheln.
Zugegeben: Es ist keine Einhorn-Technologie, die Deutschland auf den KI-Olymp über China und die USA stellt. Aber es würde Steuerehrlichkeit etwas einfacher machen als den Steuerbetrug. Wer das nicht als staatliches Ziel erkennt, und wer dafür nicht die IT-Kompetenz und Ressourcen aufbringt, der bleibt halt auf ewig abgehängt. (mho)