Kompaktüberraschung und der Fototapeten-Zombie – die Fotonews der Woche 21/2024

Panasonic bringt reichlich überraschend die Lumix S9, Fuji bestätigt künstliche Verknappung – und ein Zombie des Urheberrechts schleicht immer noch herum.

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Die Lumix S9 gibt es in vier Farben.

(Bild: Panasonic)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Nico Ernst
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Leaks gehören auch in der Fotobranche zum Nachrichtenalltag. Kaum eine große Produktvorstellung, erst recht nicht bei heiß erwarteten Kameras, können die Hersteller selber bis zum Stichtag geheim halten. Umso erfrischender ist es, wenn das doch einmal gelingt. Dafür musste Panasonic bei seiner Vorstellung der Lumix S9 aber einigen Aufwand treiben.

Die Kamera wurde nur bei einer Presseveranstaltung im japanischen Kyoto zugänglich gemacht, dort konnte man sie auch ausprobieren, wenn auch nur mit Vorseriengeräten. Uns fehlte die Zeit, aber, mit etwas Abstand betrachtet, ist das Bild noch vollständiger: Die S9 ist eine kompakte Systemkamera, wie es derzeit in diesem Preisfeld keine andere gibt. Aber sie hat auch Einschränkungen.

Da kann Panasonic noch so oft betonen, dass die neue Lumix auch für Fotografen gedacht ist – der Verzicht auf einen mechanischen Verschluss in Verbindung mit einem CMOS-Sensor ohne Dual-Stacking schränkt die Nutzbarkeit ein. Alle Rolling-Shutter-Effekte, Banding, Probleme beim Blitzen – einen elektrischen Blitzschuh gibt es gleich gar nicht, nur einen mechanischen – handelt man sich damit ein. Das gilt vor allem bei kurzen Verschlusszeiten, also auch der Fotografie von Sport und Action ohne Blitz. Ein Video von Petapixel zeigt das.

Der stabilisierte Vollformatsensor mit 24 Megapixeln und der Prozessor der S9 stammen aus der Lumix S5 II, die seit ihrer Vorstellung schon für ihre Videofähigkeiten gelobt wird. Und hier scheint auch der Schwerpunkt der S9 zu liegen: Schnelle Produktion vor Ort für Webvideo-Formate. Aber nicht mit endlosen Takes, denn in 4K sind 15 Minuten und bei 6K 10 Minuten die maximale Länge, sonst wird die Kamera zu heiß. In dem kompakten Gehäuse ohne Sucher war kein Platz für den Lüfter der großen Lumix-Schwestern. Für Content-Creator auch wichtig zu wissen: Einen Kopfhörerausgang gibt es nicht, auch der Umweg über USB-C mit Adapter funktioniert nicht, wie Panasonic Petapixel mitteilte. Immerhin gibt es einen Mikro-HDMI-Port für externe Monitore oder Rekorder.

Ernsthafte Filmer werden auch den Umgang mit Look-up-Tables (LUT) gewohnt sein. Für diese Farbtabellen gibt es eine eigene Taste an der S9, und mitgelieferte LUTs, die bestimmte Looks definieren. Das ersetzt die Filmsimulationen, wie sie andere Kameras gehäuft mitbringen. Aber auch für Fotografen will Panasonic die LUTs jetzt als normales Stilmittel etablieren: Es lassen sich nämlich eigene einstellen, und zwar über die zugehörige App "Lumix Lab". Was sich mit LUTs alles anstellen lässt, nicht nur für die Nachbearbeitung von Videos, würde den Rahmen dieser Kolumne sprengen, daher nur soviel: Man kann darüber, so wie in der analogen Zeit, mit verschiedenen Filmen und Experimenten mit eigenem Entwickeln viel über Fotografie lernen.

In Verbindung mit dem breiten Angebot an L-Mount-Objektiven – obwohl große Teles an der Kompaktkamera kaum Sinn ergeben – ist die S9 also in einem System integriert, mit dem man wachsen kann. Aber dann doch vorwiegend für Webvideo. Dafür ist "Open Gate" das interessanteste Feature: Die Kamera filmt immer mit dem ganzen Sensor, erst danach muss man sich für ein oder mehrere Bildformate entscheiden. Es ist also möglich, in einem Take sowohl ein Hochkant- wie Querformat zu filmen, um das dann auf verschiedenen Plattformen wie TikTok oder YouTube zu verwenden. Dennoch ist die S9 keine günstige Vlogging-Kamera. Der Body kostet 1700 Euro, die Kits mit einem Zoomobjektiv von 20-60 Millimeter oder 28-200 Millimeter kosten 2000 oder 2500 Euro. Manche Händler bieten auch Bundles mit Festbrennweiten an, bei denen es derzeit große Rabatte gibt. Mitte Juni 2024 soll all das auf den Markt kommen, Vorbestellung ist jetzt schon möglich.

Von zahlreichen Vorbestellungen und monatelangen Lieferfristen wissen seit Jahren auch die Kunden von Fujifilm zu berichten. Die X100VI ist wie ihr Vorgänger kaum zu bekommen, und Fuji ist sich dieser Situation bewusst: "Es wäre ziemlich ungeschickt, zu viel zu produzieren und den Preis zu senken" sagte CEO Teiichi Goto bei Vorstellung der jüngsten Quartalszahlen (PDF). Auf die ausdrückliche Nachfrage, ob er die gegenwärtige Liefersituation für normal halte, antwortete Goto mit einem schlichten: "Ja." Wichtig, so führte er davor und danach breiter aus, sei für Fuji die Markenbindung der Kunden. Solange der Hype anhält, kann man sich das wohl noch leisten, riskant ist so eine Strategie aber schon.

Wer sich ganz auf seine Marke verlassen kann, ist Leica. Und da ist es dann auch möglich, die Kunden auf das Nachfolgemodell einer Kamera ganze sechs Jahre warten zu lassen. So lange ist es tatsächlich schon her, seit die Leica D-Lux 7 vorgestellt wurde. Am 2. Juli 2024 soll nun die D-Lux 8 kommen, eine Ultrakompakte mit MFT-Sensor von 17 Megapixeln und festem Objektiv von KB-äquivalent von 24-75 mm. Die größte Neuerung ist das Raw-Format DNG, womit sich dann auch endlich wirklich die Fähigkeiten des Sensors ausreizen und natürlich auch überprüfen lassen. Weil Leica draufsteht, kann auch eine solche Winzkamera 1600 Euro kosten.

Wie man den Bogen kräftig überspannt, hat in dieser Woche Adobe gezeigt, oder vielmehr: Eine Reaktion auf die KI-Funktionen, die immer mehr in Photoshop und auch in Lightroom einziehen. Mit seinen Social-Media-Posts zog das Unternehmen den Ärger von Fotografen auf sich. Für die, zugegeben beeindruckende und flexible Funktion, automatisch Hintergründe zu generieren, warb Adobe mit "Überspringen sie das Shooting". Der Fotograf Clayton Cubitt bedankte sich zynisch auf der Plattform X: "Ich bin so froh, dass ich Adobe Zehntausende Dollar gegeben habe." Er spielt damit darauf an, dass man über die Jahre als Profi, und erst recht mit dem Abo-Modell von Adobe, wirklich große Summen ausgeben kann und eine solche Behandlung nicht verdient hat. In die gleiche Kerbe schlug auch der US-Berufsverband ASMP, der Adobes Kampagne scharf kritisierte.

Nur noch den Kopf schütteln kann man auch über das noch immer nicht gelöste Problem von Fotos einer Fototapete. Wem das jahrelange Gezerre vor Gericht nicht bekannt ist: Manche Kammern urteilen auf Urheberrechtsverletzung, wenn beispielsweise eine Ferienwohnung mit Fotos beworben wird, auf der eine Fototapete an der Wand klebt. Jetzt gab es wieder ein Urteil, bei dem der Fotograf des ursprünglichen Bildes recht bekam. Unser Kollege Daniel AJ Sokolov, seines Zeichens auch Jurist, hat die ganze Problematik und den aktuellen Fall auseinandergenommen. Immerhin, so schreibt er, weist das Landgericht Köln, auch ganz leise auf eine vielleicht nicht ganz eindeutige Rechtslage hin. Das Stück "Keine Gnade für Omas Fototapete" ist folglich auch unsere Empfehlung für einen Long Read zum Wochenende.

Wie schon bei der immer wiederkehrenden Debatte um die Vorratsdatenspeicherung, die auch als "Zombie der Netzpolitik" bezeichnet wird, ist die sehr deutsche Juristerei rund um Fototapeten ein immer wiederkehrender Untoter. Bis das alles endgültig, vielleicht sogar vor dem EuGH, entschieden ist, gilt aus Vorsicht: Keine Fototapeten fotografieren und veröffentlichen. Sonst klagt vielleicht der Fototapetenfotograf.

(nie)