Konferenz AAMAS: COVID-19 beflügelt agentenbasierte Simulationen

Simulierte Menschen verschaffen Einblick, wie man eine Pandemie managen kann. Gute Simulationen übertreffen rein statistische Berechnungen.

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Männer sitzen in einem Restaurant um einen runden Tisch. Am Bildrand ist ein Zettel zu erkennen: "Please be patient, we are currently understaffed."

Wie stark Maßnahmen bei der Gastronmie in einer Pandemie helfen, hängt auch von Wirten und Gästen ab.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske

Wie kriegt man eine Epidemie in den Griff? Welche Maßnahmen können am wirksamsten die Zahl der Infektionen eindämmen und zugleich unerwünschte soziale Konsequenzen so gering wie möglich halten? Eine Entscheidungshilfe können agentenbasierte Simulationen bieten. Zwei Studien wurden jetzt im Rahmen der Konferenz AAMAS (International Conference on Autonomous Agents and Multi-Agent Systems) vorgestellt.

Veronika Kurchyna von der Universität Trier hat mit dem Simulationsmodell SoSAD (Social Simulation for Analysis of Infectious Disease Control) die Effekte verschiedener Strategien zur Organisation des Schulunterrichts auf das Infektionsgeschehen untersucht. Darüber berichtet sie im Workshop zu Multi-Agent-Based Simulation (MABS).

SoSAD wurde auf der Grundlage der Sozialstruktur von Kaiserslautern entwickelt. Das Modell besteht aus 102.798 Agenten, von denen 15.888 Kinder und Jugendliche repräsentieren, 67.169 Erwachsene und 19.741 Rentner. Diese verteilen sich auf 56.663 Haushalte, können unter 175 Freizeitangeboten auswählen und 175 Arbeitsstätten sowie 33 Schulen mit insgesamt 400 Klassen aufsuchen.

Bei der im Rahmen des Projekts Ascore am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) durchgeführten Studie wurden drei verschiedene Maßnahmen simuliert: Fortsetzung des Schulbetriebs wie gewohnt, ergänzt durch Hygienevorkehrungen wie Atemschutzmasken und regelmäßige Lüftung der Unterrichtsräume; komplette Schließung der Schulen; und Teilung der Schulklassen in jeweils zwei Hälften, die im wöchentlichen Rhythmus abwechselnd vor Ort und per Videokonferenz zu Hause unterrichtet werden.

Dabei zeigte sich, dass das Prinzip der geteilten Klassen die Infektionsraten in der Gesamtbevölkerung am stärksten senkte: Nach 60 Tagen hatten sich bei komplett geöffneten Schulen demnach 30.147 Personen mit der Omikron-Variante des Coronavirus infiziert, bei geschlossenen Schulen waren es 23.512 und beim Unterricht in geteilten Klassen lediglich 22.401.

Dieses überraschende Ergebnis lasse sich damit erklären, so Kurchyna, dass bei den geteilten Klassen die Schülerinnen und Schüler weiterhin regelmäßig auf COVID-19 getestet würden, sodass sich infizierte Personen frühzeitig in Quarantäne begeben könnten. Bei geschlossenen Schulen sei das dagegen nicht gewährleistet. Generell, so das Fazit der Studie, habe sich die Überlegenheit agentenbasierter Simulationen gegenüber rein statistischer Modelle gezeigt. Erstere könnten individuelle Aktivitäten und Haushaltsstrukturen besser erfassen.

Ebenfalls von der COVID-19-Pandemie inspiriert sind Forschungen, die Christian Kammler von der schwedischen Universität Umeå präsentierte. Ihm ging es um die Modellierung von Auswirkungen der Beschränkungen in der Gastronomie: Wie reagieren Restaurantbetreiber auf die Verringerung der Anzahl der Gäste, die sie bewirten dürfen? Wie werden die Besucher ihr Verhalten anpassen?

Um solche Effekte modellieren zu können, müssten die Agenten in der Simulation möglichst realistisch menschliches Verhalten zeigen, so Kammler. Dieses Verhalten sei wiederum durch Normen beeinflusst, die gleichermaßen einschränken, wie auch motivieren könnten – und gelegentlich auch bewusst missachtet werden. So könne sich etwa ein Wirt entscheiden, ein paar mehr Gäste zuzulassen als eigentlich erlaubt, statt eine ganze Gruppe abzuweisen.

Auch die Restaurantbesucher können mit den geltenden Normen sehr unterschiedlich umgehen, je nach ihren individuellen Bedürfnissen. So mag manchen das Zusammensein mit Freunden in angenehmer Atmosphäre wichtiger sein als die Qualität des Essens, sodass sie das Lokal weiter besuchen, selbst wenn der Wirt billigere Zutaten verwendet, um Kosten zu reduzieren.

Um all das zu berücksichtigen, haben Kammler und seine Forschungskollegen eine Agentenarchitektur entwickelt, die das komplexe Zusammenspiel von langfristigen und kurzfristigen Zielen, persönlichen Werten und verfügbaren Aktionen modellieren soll. Anders als Kurchyna, die darauf verweisen konnte, dass ihre Simulation Infektionsmuster reproduzierte, die auch in der Realität beobachtet wurden, blieb Kammler diesen empirischen Qualitätstest vorerst noch schuldig.

Vergangenes Jahr haben Forscher auf der AAMAS 2021 Simulationen der Akzeptanz von COVID-19-Maßnahmen präsentiert.

(ds)