Konsternation nach französischem Grundsatzurteil zum Urheberrecht

Selbst Produzentenvereinigungen in Frankreich bedauern, dass mit der Entscheidung des Verfassungshofes zur Urheberrechtsnovelle auf Tauschbörsennutzer "massive Repressionen" zukommen könnten.

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Die Grundsatzentscheidung des französischen Verfassungsrates zum Urheberrecht hat bei Beobachtern auf allen Seiten Verwunderung ausgelöst. Während sich Verbände der Rechtehalter und Inhalteproduzenten überrascht zeigen, mit welcher Entschlossenheit die Richter geistige Eigentumsrechte juristisch zu schützen versuchen, empören sich Vereinigungen von Internetnutzern und Verbrauchern über ein ihrer Ansicht nach weltfremdes Urteil. Bei der seit langem umstrittenen französischen Urheberrechtsnovelle handle es sich angesichts des Beschlusses nun "um das härteste Internetgesetz, das jemals in der Welt verabschiedet wurde", beklagt Jean-Baptiste Soufron, Rechtsexperte der Audionauten. Aziz Ridouan, der Präsident des Vereins, der angeklagten Tauschbörsennutzern rechtlichen Beistand erteilt, sieht viel Arbeit auf seine Organisation zukommen. Künftig müssten mehr Leute und Firmen mit strafrechtlicher Verfolgung aufgrund von Urheberrechtsvergehen rechnen als je zuvor.

Verbände wie die Filmproduzenten und -autorenvertretung ARP sowie die Verwertungsgesellschaft SACD begrüßen prinzipiell, dass der Verfassungshof "den Schutz des geistigen Eigentums gestärkt hat". Auch sie "bedauern" allerdings die Abschaffung des abgestuften Strafkatalogs fürs illegale Filesharing, bei dem P2P-Nutzer, die sich nicht lizenzierte Musik zum rein privaten Gebrauch herunterladen, mit einem anfänglichen Bußgeld von 38 Euro davongekommen wären. Das nun drohende System der "massiven Repression", in dem auf die illegale Tauschbörsennutzung im nicht-gewerblichen Umfeld künftig bis zu drei Jahre Haft und Geldbußen bis zu 300.000 Euro steht, schießt ihrer Ansicht nach über das Ziel hinaus. "Zehn Millionen Surfer stehen wieder mit einem Bein im Gefängnis", zeigt sich auch Lionel Thoumyre von der Verwertungsgesellschaft Spedidam "konsterniert" über die potenziellen Folgen des nicht mehr anfechtbaren Urteils.

Der französische Kulturminister Renaud Donnedieu de Vabres schiebt die Schuld am Scheitern der von ihm hauptsächlich vorgeschlagenen Bagatellstrafregelungen dagegen der Opposition in die Schuhe, die vor dem Verfassungsgericht gegen den abschließenden Entwurf für die Gesetzesnovelle geklagt hatte. Die linken und liberalen Fraktionen haben seiner Ansicht nach mit ihrer Beschwerde den Surfern "Schaden zugefügt". Er wolle sich aber beim Justizministerium dafür stark machen, dass die möglichen Haftstrafen nur "in den schwersten Fällen angewendet werden".

Generell hat der Verfassungsrat laut Donnedieu de Vabres das parlamentarische Verfahren trotz der kassierten Passagen "komplett" und "im Sinne der angestrebten Balance bestätigt". Die Privatkopie bleibe im Prinzip genauso erhalten wie die Interoperabilitätsklausel. Der Kulturminister vergaß dabei allerdings zu erwähnen, dass mit dem Gesetz künftig auch in Frankreich das Umgehen von Systemen zum digitalen Rechtekontrollmanagement (DRM) verboten wird. Eine eigenständige Behörde soll zwar nach wie vor über Ausnahmen etwa für Privatkopien entscheiden. Die Zahl der legalen Vervielfältigungen könnte dabei aber insbesondere bei kopiergeschützten DVDs auf Null gesetzt werden. Auch die Bestimmung, dass Nutzer gekaufte digitale Werke notfalls in andere Formate übertragen und nicht nur auf proprietären Playern abspielen können, hat nach dem Urteil endgültig ihren Zahn verloren. Schließlich war den Verfassungsrichtern die Definition des Schlüsselbegriffs Interoperabilität im Gesetz als zu vage erschienen, sodass sie diesen für inoperabel erklärten.

Christian Vanneste, ein Abgeordneter der konservativen Regierungspartei UMP, gibt zu, dass die Internetnutzer "ein paar ihrer Vorteile verloren haben". Gemäß dem Sozialisten Christian Paul hat das Verfassungsgericht das Gesetz dagegen "inakzeptabel und unanwendbar" gemacht. Das Parlament müsse den Fall spätestens nach den Neuwahlen im kommenden Jahr wieder aufmachen und neu verhandeln. Bis dahin hätten die Richter gemeinsam mit der Regierung einen "eisernen Käfig" für die Nutzer gebaut. Man sei letztlich mit der Entscheidung der Richter wieder an den Punkt gelangt, an dem die parlamentarische Debatte begonnen hatte, ergänzt Bruno Ory-Lavollée von der Verwertungsgesellschaft Adami.

Für Christophe Espern von der Informationskampagne EUCD.info ist das Urteil die "logische Fortsetzung der Entgleisung unserer demokratischen Institutionen rund um das Gesetzgebungsverfahren". Gestärkt worden seien allein die Rechtehalter und ihr Kurs, auf proprietäre Verfahren etwa beim legalen Anbieten von Inhalten über Plattformen wie Apples iTunes zu setzen. Ein Reverse Engineering der geschlossenen Formate sei nicht mehr gestattet. Besorgte Anwender freier Software wie des Multimedia-Players VLC haben sich derweil in einem offenen Brief an den französischen Präsidenten Jacques Chirac gewandt. Sie fordern ihn auf, das "absurde" Gesetz nicht zu unterzeichnen. Die Open-Source-Anhänger fürchten, dass Software wie VLC einer besonders umstrittenen Klausel zum Opfer fallen könnte. Demnach soll mit bis zu drei Jahren Haft und Geldstrafen von bis zu 300.000 Euro belegt werden, wer "wissentlich" und öffentlich Software verbreitet, die "offensichtlich darauf ausgerichtet ist", den unautorisierten Zugang zu geschützten Werken oder anderen Objekten zu gestatten.

Zu den Diskussionen um das geistige Eigentum, zu den juristischen Streitigkeiten um das Urheberrecht und zur Novellierung des deutschen Urheberrechtsgesetzes siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den Gesetzesentwürfen und -texten):

(Stefan Krempl) / (jk)