Kontaktverfolgung: Zwei Drittel der Gesundheitsämter setzen auf Fax & Co.

Nur 111 von 375 Gesundheitsämtern nutzen das Pandemie-Management-System Sormas. Der Rest schwört auf Zettelwirtschaft und Insellösungen.

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(Bild: pook_jun/Shutterstock.com)

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Bis Ende 2020 sollten nach Plänen der Bundesregierung 90 Prozent der 375 Gesundheitsämter in Deutschland das "Surveillance Outbreak Response Management and Analysis System" (Sormas) verwenden, das das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig zur Ebola-Bekämpfung entwickelte und voriges Jahr um ein Sars-Cov-2-spezifisches Modul ergänzte. Mit 111 von 375 der Behörden war es nun zum Jahreswechsel aber nur weniger als ein Drittel.

Dies teilte der parlamentarische Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, Thomas Gebhart (CDU), auf eine Anfrage der gesundheitspolitischen Sprecherin der Grünen im Bundestag, Maria Klein-Schmeink, mit. Sormas ist demnach in etwa 33 Prozent der Gesundheitsämter auch zunächst nur "eingerichtet und betriebsbereit". Alle diese Institutionen seien zum 31. Dezember aber zumindest in der Lage gewesen, das Deutsche Elektronische Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz (Demis) zu nutzen.

Sormas soll dabei helfen, etwa mit dem neuartigen Coronavirus infizierte Personen schneller zu identifizieren und alle beteiligten Gesundheitseinrichtungen über Landkreisgrenzen hinweg in Echtzeit darüber informieren. Das Nachverfolgen von Kontakten und die Dokumentation von Symptomen wird über das per mobiler App und übers Web einsetzbare System vereinfacht. Die Software ist Open Source und so gratis nutzbar. Sie erfüllt die Kriterien des Gradmessers "Global Goods Maturity Matrix for Digital Health Software", wird also in Punkten wie der Integrierbarkeit in eine breite Nutzer- und Programmierer-Community sowie der Datensicherheit als gut bewertet.

Beobachter halten es für problematisch, dass die große Mehrheit der Ämter der Lösung nach wie vor die kalte Schulter zeigt. Würden viele der immer weiter verschärften Corona-Maßnahmen doch damit begründet, dass Infektionsketten kaum oder gar nicht mehr nachverfolgt werden könnten.

"Bei den aktuellen Infektionszahlen können wir uns Steinzeitmethoden wie die händische Erfassung oder das Abtippen von Excel-Tabellen zur Kontaktnachverfolgung nicht mehr leisten", betont Klein-Schmeink. "Es müssen jetzt schnellstmöglich alle Gesundheitsämter an Sormas angeschlossen werden. Auch wenn das einen Kraftakt bedeutet."

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Hagen Reinhold nannte es ein "Desaster", dass die meisten Gesundheitsbehörden "in der Corona-Krise weiterhin nur per Fax und Zettelwirtschaften" kommunizierten. Damit sei der inzwischen in vielen Bundesländern erfolgte Zusammenbruch der Kontaktverfolgungen programmiert gewesen. Gegenwärtig würden Daten und Befunde immer noch händisch gescannt, doppelt abgeglichen und Adressen sowie Telefonnummern abgetippt. Dabei müssten die Informationen "schnell, digital und datenschutzkonform ausgetauscht werden".

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Das Bundesgesundheitsministerium verwies gegenüber der Funke-Mediengruppe darauf, dass die "Verantwortung für die Ausstattung der Gesundheitsämter und damit die Entscheidung über die Verwendung digitaler Hilfsmittel bei den Ländern und den Gesundheitsämtern selbst" liege. Die Bundesregierung könne in diesem Zusammenhang nur unterstützend agieren. Viele Behörden ließen sich den Berichten zufolge bereits im Frühjahr und Sommer eigene Insellösungen entwickeln, die aber nicht miteinander vernetzt seien.

Bund und Länder hatten im September einen "Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst" beschlossen. Sie wollten damit "Interoperabilität über alle Ebenen hinweg" schaffen und das Meldewesen beschleunigen. Für den Betrieb von Sormas sind die jeweiligen Gesundheitsbehörden selbst verantwortlich, sie entscheiden auch über den Zugang zu den gespeicherten Daten. Das System wird für jedes Amt auf einem eigenen virtuellen Server gehostet. Eine offizielle Datenschutz-Folgenabschätzung hat das HZI bislang nicht vorgelegt.

(olb)