Kopierschutz knacken - ganz legal

Kopierschutz und Digital Rights Management sind für die Archivierung elektronischer Werke ein Hindernis. IFPI und Börsenverein haben der Deutschen Bibliothek jetzt die Umgehung technischer Schutzmaßnahmen zugestanden.

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Von
  • Richard Sietmann
Inhaltsverzeichnis

Seit der Novellierung des Urheberrechts vom September 2003 ist die Umgehung technischer Schutzmaßnahmen untersagt. Von dem im Paragrafen 95a UrhG verankerten Verbot, gegen das zu verstoßen zivil- und strafrechtliche Sanktionen nach sich ziehen kann, ist auch Die Deutsche Bibliothek (DDB) als nationale Archivbibliothek der Bundesrepublik betroffen. Denn um die Langzeitarchivierung digitaler Medien zu sichern, muss sie in der Lage sein, diese im Laufe der technischen Entwicklung an die aktuellen Datenformate, Betriebssysteme und Datenträger anpassen zu können. Mit kopiergeschützten Werken lässt sich das nicht bewerkstelligen.

Auch aus diesem Grunde wollte der Gesetzgeber gewisse Einschränkungen der Urheberrechte, die im Bereich der analogen Medien schon lange gelten, auch bei den digitalen Medien gewahrt sehen. In einer Art Balanceakt hat er die Rechteinhaber im Paragrafen 95b deshalb verpflichtet, trotz Kopiersperren bestimmte Werknutzungen, beispielsweise zu wissenschaftlichen und kulturellen Zwecken, weiterhin zuzulassen. Dazu müssen sie den Begünstigten die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen; kommen sie dieser Verpflichtung nicht nach, stellt dies eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einer Geldbuße von bis zu 50 000 Euro geahndet werden kann.

Die technischen Schutzmaßnahmen genießen allerdings Vorrang vor den so genannten Schrankenregelungen des Urheberrechts; so ist insbesondere ein Selbsthilferecht der Begünstigten zur Ausübung ihrer Schrankenrechte ausgeschlossen. Stattdessen sieht der Paragraf 95b zur Umsetzung der Schrankenbestimmungen ausdrücklich Vereinbarungen zwischen Verbänden vor. Eine solche Vereinbarung haben jetzt der Bundesverband der phonographischen Wirtschaft (IFPI) und der Börsenverein des deutschen Buchhandels mit der DDB geschlossen. Sie soll sicherstellen, dass die DDB auch bei kopiergeschützten oder einem digitalen Rechtemanagement (DRM) unterliegenden Werken ihren gesetzlichen Sammel-, Bereitstellungs- und Archivierungsauftrag erfüllen kann.

Nach dem „Gesetz über die Deutsche Bibliothek“ sind Produzenten und Verleger verpflichtet, von jedem in der Bundesrepublik veröffentlichten Werk zwei so genannte Pflichtexemplare kostenlos an die DDB mit ihren Standorten in Frankfurt, Leipzig und Berlin zu übergeben. Der Vereinbarung zufolge darf die DDB nun zur eigenen Archivierung von diesen Pflichtstücken Vervielfältigungen anfertigen sowie einzelne Kopien von DRM-geschützten CDs, CD-ROMs, DVDs oder e-Books an einzelne berechtigte Nutzer herausgeben.

Als berechtigte Nutzung gilt entsprechend den Schrankenregelungen des Urheberrechts, wenn die Kopie für den eigenen wissenschaftlichen Gebrauch benötigt wird, wenn sie zur Aufnahme in eine Sammlung für den Schul- und Unterrichtsgebrauch bestimmt ist oder wenn zu Unterrichts- und Forschungszwecken die Bereitstellung der Vervielfältigung für einen abgegrenzten Personenkreis in einem Intranet erforderlich ist. Darüber hinaus darf die DDB von Ton-, Bildton- oder Datenträgern, die seit mindestens zwei Jahren vergriffen sind, auch Kopien zum privaten oder sonstigen eigenen Gebrauch des Nutzers anfertigen. Die Berechtigung ist jeweils zu prüfen, und an der ausgeliehenen Kopie soll die DDB künftig selbst, „soweit technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar“, ein personalisiertes digitales Wasserzeichen und einen Kopierschutz anbringen.

„Durch die Vereinbarung mit Der Deutschen Bibliothek sehen wir unsere Verpflichtung zur Einräumung der Schrankenbegünstigungen als erfüllt an“, erklärt IFPI-Sprecher Hartmut Spiesecke. Wem das Urheberrecht die lizenzfreie Nutzung von Werken einräumt, der könne sich nun an die DDB wenden. Einen Missbrauch befürchtet er nicht, weder durch die Mehrfachnutzung der Kopien in Lehrmittelsammlungen der Schulen noch durch die auf vergriffene Werke beschränkte Privatkopie-Regelung. Dem steht schon die Gebührenordnung der DDB entgegen, derzufolge der Interessent für die Kopie eines digitalen Tonträgers fünf Euro pro angefangener Viertelstunde Spielzeit berappen muss, zuzüglich Materialkosten und fünf Euro für den Tagesausweis. „Wer für eine Kopie 30 bis 70 Euro zahlen muss, überlegt sich schon ganz genau, wofür er sie anfordert“, schätzt Spiesecke die Lage ein. Zudem sei es kein Problem, die CD beim Brennen mit einer persönlichen Kennung zu versehen. „Da braucht man nur die Nutzungsnummer zu nehmen, um die unkontrollierte Verbreitung nachvollziehbar zu machen.“

Praktische Regelungen, wie die Produzenten ihre Pflichtstücke abliefern, ob ungeschützt oder mit Lizenzschlüsseln, enthält die Vereinbarung nicht. Notfalls muss die DDB den Kopierschutz also knacken - aber immerhin darf sie es jetzt. „Am einfachsten wäre es natürlich, wenn wir die Pflichtstücke ohne Kopierschutz bekämen“, erklärt DDB-Sprecher Stephan Jockel; „das hieße aber, dass die Werkproduzenten für uns eine gesonderte kopierschutzfreie Version herstellen müssten.“

Besonders bei Tonträgern gilt das als zu aufwendig. Für die Mitglieder des Börsenvereins ist die Vereinbarung ohnehin weniger problematisch, da die allermeisten Verlage geschützte CD-ROMs parallel zur Printausgabe vertreiben. „Da gibt es den Anspruch auf Umgehung des Kopierschutzes nicht, weil der Inhalt ja über die Printausgabe zugänglich ist“, erläutert Börsenverein-Justiziar Christian Sprang. „Bei den paar DVDs und e-Books, die ausschließlich als kopiergeschütztes Produkt auf den Markt kommen, werden die Verlage wohl eine ungeschützte Version abliefern.“

Als Archivbibliothek hat die DDB aber auch ein eigenes Interesse an der originalen Version, wie sie in den Verkehr kommt. „Für uns bildet das Original in seiner gesamten Erscheinungsform einschließlich der bedruckten Seite des Datenträgers, dem Booklet oder Cover eine Einheit des Werkes“, betont Jockel; „deshalb verfilmen wir ja unsere Bestände auch nicht einfach zu einem Mikrofilmarchiv.“

Beim Umkodieren geht die Einheit des Werkes zwar ebenfalls verloren, sie stellt aber auch nur eine Notlösung gegen verfallende Datenträger, veraltende Datenformate oder unverfügbare Wiedergabegeräte dar. „Sonst würden wir das komplette Werk verlieren und nur noch die äußere Erscheinungsform behalten“, beschreibt Jockel das Dilemma. „In diesen Fällen müssen wir deshalb parallel sammeln: einmal das Werk, das wir als Pflichtabgabe bekommen haben, und daneben den Datenstrom, den herauszukopieren uns die Vereinbarung erlaubt“.

Unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Vereinbarung auf dem Heise-Newsticker flatterte der DDB eine Offerte der auf Antigua ansässigen SlySoft, Inc. ins Haus, die die Kopierprogramme AnyDVD, CloneCD und CloneDVD herstellt. Deren Herstellung, Einfuhr, Verbreitung, Verkauf, Vermietung und Bewerbung und der gewerblichen Zwecken dienende Besitz sind seit dem Inkrafttreten der Novelle verboten. Auch der Heise Zeitschriften Verlag sieht sich nach einem Bericht über das SlySoft-Produkt AnyDVD im Newsticker in einen Rechtsstreit mit der Medienindustrie wegen angeblich unzulässiger Berichterstattung verwickelt.

An der Nutzung solcher Programme sieht man sich bei der DDB indes nicht gehindert. „Das ist für uns vollkommen unproblematisch, weil wir ja berechtigt sind, Vervielfältigungen herzustellen“, erklärt DDB-Sprecher Jockel; „damit haben wir quasi einen Waffenschein.“

IFPI-Sprecher Spiesecke mochte sich zu dem Verfahren, wie die Archivare an die benötigten Tools zur Umgehung des technischen Kopierschutz gelangen - make or buy - nicht äußern. Die Vereinbarung selbst lässt das offen, und beim Börsenverein sieht man das Problem gelassen. „Wo die DDB das Werkzeug her hat“, meint Justiziar Sprang, „muss den Verlag ja nicht interessieren.“

Die Deutsche Bibliothek (DDB) stellt so etwas wie ein kollektives Gedächtnis des Landes dar: Als öffentlich-rechtliche Einrichtung hat sie den Auftrag zur vollständigen Sammlung, Erschließung und dauerhaften Sicherung deutschsprachiger und in Deutschland erschienener Publikationen. Nach dem „Gesetz über die Deutsche Bibliothek“ (DBiblG) sind Produzenten und Verleger verpflichtet, von jedem in der Bundesrepublik veröffentlichten Werk zwei Exemplare kostenlos an die DDB mit ihren Standorten in Frankfurt, Leipzig und Berlin zu übergeben. Mit der Ablieferung der Pflichtstücke werden die Werke in die Deutsche Nationalbibliographie aufgenommen und sind dann im Online Public Access Catalogue (OPAC) der DDB auch über das Internet recherchierbar (http://dnb.ddb.de).

Zu der mittlerweile auf 19,2 Millionen Bestandseinheiten angeschwollenen Sammlung gehören die in und über Deutschland erschienene Literatur, die an den DDB-Standorten Frankfurt und Leipzig erschlossen und aufbewahrt wird, sowie Tonträger und Notendrucke im Deutschen Musikarchiv in Berlin (http://dma-opac.ddb.de). Ausgenommen sind Filme und Videos - in diesem Bereich gibt es eine Depotpflicht nur für mit Bundesmitteln geförderte Produktionen, und für deren Sammlung ist das Bundesfilmarchiv zuständig.

Die Aufgabenstellung der DDB bezieht auch digitale Werke mit ein, sofern sie auf physischen Trägern verbreitet werden; für so genannte Netzpublikationen, also beispielsweise elektronische Zeitschriften oder Websites, gibt es noch keinen gesetzlichen Archivierungsauftrag. Da Online-Zeitschriften ebenso einen Bestandteil des kulturellen Erbes bilden, wird derzeit eine Novellierung des DBiblG vorbereitet.

Seit 1998 sammelt die DDB auf ihrem Archivserver bereits Online-Dissertationen und -Habilitationen der deutschen Hochschulen, und in einer mehrjährigen Testphase hat sie gemeinsam mit Verlegern und Produzenten die Ablieferung, Sammlung und Langzeitarchivierung von Online-Publikationen erprobt. Die IFPI und der Börsenverein haben mit der DDB jetzt auch vereinbart, dass ihre Mitglieder diese Publikationen frei von technischen Schutzausstattungen oder mit den nötigen Zugangscodes zur Verfügung stellen.

Die DDB ist eine reine Präsenzbibliothek: „Die Bestände der Bibliothek werden allen natürlichen und juristischen Personen, die ein berechtigtes, insbesondere wissenschaftliches, berufliches, fachliches oder dienstliches Interesse nachweisen können, in den Lesesälen zur Verfügung gestellt“, heißt es in der Benutzungsordnung. „Sie dürfen jedoch auf Grund des Archivcharakters und der nationalbiographischen Aufgabenstellung nicht außer Haus genutzt werden.“ Möglich ist aber, nach Prüfung durch die DDB, die kostenpflichtige Anfertigung von Kopien. (jk)