Ministerpräsident Kretschmann: KI macht Fremdsprachenlernen weitgehend unnötig

Ein Knopf im Ohr kann Sprachenlernen überflüssig machen, meint BaWü-Ministerpräsident Kretschmann. Kritiker sprechen von "bildungsfeindlichen Gedankenspielen".

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(Bild: whiteMocca/Shutterstock.com)

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Das "mühselige Fremdsprachenlernen" wird sich künftig dank Künstlicher Intelligenz (KI) immer weiter erübrigen. Davon geht zumindest Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann aus. "In zehn Jahren wird sich jeder einen Knopf ins Ohr setzen - und der übersetzt das simultan, was da gesprochen wird", erklärte der Grüne bewusst provokant Anfang der Woche bei einer Podiumsdiskussion zum 75. Jubiläum des Deutsch-Französischen Instituts (DFI) in Ludwigsburg. "Das wird so kommen."

Zugleich schlug Kretschmann vor, sich beim Erlernen von Fremdsprachen auf Englisch zu konzentrieren und sonst auf die Übersetzungsleistungen der KI zurückzugreifen. Ob jemand Französisch oder Kisuaheli rede, sei egal. Die Maschine übersetze in hoher Qualität simultan. Der Landesvater sprach von einer "Super-Entwicklung, um Sprachbarrieren zu überwinden". Es bringe nichts, etwa nur "ein bisschen Französisch" zu lernen, um damit im Urlaub dann doch nicht einmal ein Eis bestellen zu können.

"Fassungslos" reagierte der Philologenverband Baden-Württemberg (PhV), der die Interessen der Lehrer an den 462 öffentlichen und privaten Gymnasien des Landes vertritt, auf die Äußerungen. "Auf welche gedanklichen Abwege und bildungsfeindlichen Gedankenspiele kann ein Ministerpräsident eigentlich noch kommen?", fragen die stellvertretenden PhV-Landesvorsitzenden Karin Fetzner und Martina Scherer.

Sie sprachen von einer "moralischen Ohrfeige und Abqualifizierung für alle Sprachenlehrkräfte". "Wie sollen die Jugendlichen dann noch lernen, sich auf die Sprache und Kultur eines anderen Landes mit allen seinen Facetten einzulassen, sie zu verstehen, sich mit ihr auseinanderzusetzen?" Das Plädoyer für eine "Übersetzungs-App" sei "die Kapitulation des Humanismus vor der KI, wenn man es weiterdenkt", moniert die PhV-Spitze weiter. Letztlich seien angesichts der heutigen Fähigkeiten der Technik mit dieser Logik etwa auch Deutsch- sowie Kunst- oder Musikunterricht unnötig.

"Wozu eigentlich Kinder mit Rechnen lernen quälen, wenn es doch Taschenrechner gibt?", fragen Fetzner und Scherer. Bestimmt gebe es bald auch eine tolle "Politik-KI", die "unsere Gesetze gestalten und zukünftige Entscheidungen" fürs Ländle fällen solle. Es sei zu befürchten, "dass wir uns der KI komplett ausliefern, wenn wir nicht mehr in der Lage sind, ihre Ratschläge und Produkte zu prüfen und zu kontrollieren".

Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sprach von einem falschen Signal. "Es gibt in der Tat schon heute sehr gute KI-Übersetzungsmaschinen", sagte Frank Baasner, Direktor des DFI gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. "Wenn ich mich als Hotelgast in Paris verständigen will, muss ich kein Französisch sprechen. Aber Sprache hat nicht nur die Ebene der reinen Datenübermittlung." Es gehe beim Erlernen auch darum, ein Land und eine Kultur kennenzulernen, was sich durch KI nicht ersetzen lasse.

Nötig sei es aber, den Sprachunterricht angesichts neuer technischer Möglichkeiten neu zu denken. Er wolle den Französisch-Unterricht nicht abschaffen, lenkte Kretschmann selbst inzwischen ein Stück weit ein. Ihm sei es darum gegangen, eine "muntere" Debatte zu führen und Denkanstöße zu geben. Prinzipiell gehe er davon aus, dass KI das in der Bibel beschriebene "Jerusalemer Pfingstwunder" ermöglichen könne, bei dem jeder den anderen verstehe.

Gegenüber der "FAZ" forderte der Grüne zugleich eine umfassende Reform des Schulsystems. "Das sind Technologien, die in alle Lebensbereiche eindringen und grundsätzliche Fragen aufwerfen", sagte er mit Blick auf generative KI wie ChatGPT. "Wenn ich Tatsachen und Bilder so manipulieren kann, dass nur noch Experten entscheiden können, ob ein echtes Bild vorliegt oder nicht, dann stehen wir auch in der Pädagogik vor völlig neuen Aufgaben: Was ist eine zuverlässige Quelle? Worauf kann ich mich verlassen? Was sind Tatsachen?"

Eine moderne Bildungspolitik darf sich laut Kretschmann deshalb nicht darauf beschränken, Tablets in den Klassen zu verteilen. Der deutsche Bildungskanon sollte dringend überarbeitet werden: "Wir müssen kritisches Denken und Urteilsfähigkeit ganz neu lehren. Muss ich die ganze Zeit für das Erlernen der Rechtschreibung verwenden oder muss ich mich nicht darum kümmern, welche Fotos junge Menschen, möglicherweise zu ihrem lebenslangen Schaden, im Internet posten?"

(dahe)