Krisenstimmung: Was die Digitalbranche für das zweite Halbjahr erwartet

Sehr gute Stimmung im ersten Halbjahr, gedämpfte Erwartungen für die Zukunft: Warum laut ITK-Branchenverband Bitkom trotzdem Positives zu erwarten ist.

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Meeting in einer Firma

(Bild: Gorodenkoff / Shutterstock.com)

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Der Digitalbranche ging es im ersten Halbjahr 2022 nicht nur gut, es ging ihr sogar sehr gut: Das besagt der Bitkom-ifo-Digitalindex. Laut dem Branchenverband mit Sitz in Berlin stieg der Index, der auch ein Stimmungsbarometer für die Branche ist, um 2,3 auf 22,8 Punkte. Damit wurde wieder das Niveau vor der Coronapandemie erreicht. Von gelöster Stimmung kann angesichts diverser globaler Krisen dennoch keine Rede sein. Der Ausblick ist entsprechend verhalten – dennoch bleiben die IT- und TK-Unternehmen deutlich zuversichtlicher als die Gesamtwirtschaft.

Neben dem Ukrainekrieg sind es vor allem die weiterhin gestörten Lieferketten, die Inflation und die explodierenden Energiepreise, die der Branche zusetzen. Als "Perfect Storm" bezeichnete Bitkom-Präsident Achim Berg in einer Pressekonferenz die Lage – in Anlehnung an einige US-amerikanische Einschätzungen. Bedauerlicherweise gerieten pressierende Probleme wie Fachkräftemangel, demografischer Wandel und die vielerorts noch fehlende Digitalisierung angesichts der Situation fast schon in Vergessenheit, beklagte er.

Insgesamt stehen die Zeichen aber für das Jahr 2022 dennoch auf Wachstum. Es wird in den Unternehmen der IT, Telekommunikation und Unterhaltungselektronik weiterhin ein Umsatzplus von 4,3 Prozent auf 189,4 Milliarden Euro erwartet. Bis Jahresende sollen 30.000 neue Jobs geschaffen werden. Dann würden 1,3 Millionen Menschen in Deutschland in der Branche arbeiten. Für 2023 werden ähnliche Wachstumsraten erwartet – allerdings in Anbetracht der dynamischen Lage mit einem Fragezeichen. Bemerkenswert ist: Die tatsächliche Geschäftslage und die Stimmung klaffen immer weiter auseinander. So trübte schon der Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine die Erwartungen. Dem Geschäft geschadet hat er bislang nicht.

Zumindest die Lieferkettensituation kann den Haupt-Wachstumsfaktoren in der ITK-Branche nur schwer etwas anhaben: Es sind vorwiegend Software (+ 8,8 Prozent) und IT-Services (+ 5,3 Prozent), die den Ausschlag nach oben geben. Anfälliger ist da schon die IT-Hardware (+ 6,7 Prozent). Heruntergebrochen auf die Hardware-Segmente sind vor allem Infrastructure-as-a-Service (IaaS, + 33,2 Prozent), Workstations (+ 27 Prozent) und Wearables (+ 21,8 Prozent) gefragt.

Schlechtere Stimmung herrscht in der Unterhaltungselektronik. Hier schrumpfen die Umsätze abermals um 2,6 Prozent. Achim Berg sieht hier trotz internationaler Funkausstellung (IFA) schwerlich eine Trendwende am Horizont. Eher schon könnte die Fußball-Weltmeisterschaft dazu bewegen, mal wieder einen neuen Fernseher zu kaufen. Er glaube aber, dass die Unsicherheiten viele von Käufen abhalten. Die Umsatzrückgänge bei Tablets (- 4 Prozent) und Desktop-PCs (- 9,5 Prozent) dürften eher eine Folge von Lieferproblemen sein. Zudem hatten sich viele Menschen zu Beginn der Pandemie mit neuen Geräten eingedeckt.

Bei der Unterhaltungselektronik gibt es zum wiederholten Male einen Umsatzrückgang

(Bild: Bitkom)

Im internationalen Vergleich liegt Deutschland bei der Umsatzentwicklung über der EU (3,5 Prozent). China hat aufgrund von harter Covid-Lockdowns und Isolationspolitik massiv verloren und wächst nur noch um 1,8 Prozent. Gewinner sind Indien (+ 12,6 Prozent) und die USA (+ 6,3 Prozent).

Die ITK-Branche tanzt im gesamtwirtschaftlichen Vergleich traditionell etwas aus der Reihe. Das zeigt sich auch in diesen Zeiten: Der Klimaindex liegt 21 Punkte höher als jener der allgemeinen Wirtschaft. Die positivere Sicht der Dinge schlägt sich auch nieder in einem doppelt so hohen Engagement bei Forschung und Entwicklung. Die Beschäftigten der ITK-Branche arbeiten zu 61 Prozent zumindest teilweise im Homeoffice. In der Gesamtwirtschaft sind es 25 Prozent.

Die ITK-Wirtschaft plagen laut Achim Berg existenzielle Fragen: "Wann können die Unternehmen wieder zuverlässig planen? Nimmt die Pandemie bald ein Ende? Wie lösen wir das Fachkräfteproblem?", nannte er einige Beispiele. Zumindest beim Auffüllen der freien Stellen hat der Bitkom mit einer beschleunigten Zuwanderung von IT-Fachkräften aus Russland und Belarus eine Idee.

Weitere Themen, die der Verband der Digitalpolitik ins Gebetsbuch schreibt, sind die Einführung von ID-Wallets für alle Bürger bis Ende 2022, die Abschaffung der Schriftformerfordernisse bis Ende 2023, die Einführung eines Grundrechts auf digitale Bildung, die Schaffung von nationalen Datenräumen und ein Ausbau- und Beschleunigungspakt für Mobilfunk- und Gigabitnetze.

(mki)