Kritik an Digitalpolitik: Ampel soll Farbe bekennen

Zur Digitalpolitik der Bundesregierung kommt vernichtende Kritik aus der Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Die Ampel solle handeln und nicht nur versprechen.

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Der Bundestag (Mitte) und das Bundeskanzleramt (rechts) in Berlin

(Bild: immodium / Shutterstock.com)

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Inhaltsverzeichnis

Ein Jahr nach Verabschiedung der Digitalstrategie durch die Bundesregierung und fast zwei Jahre nach der Bundestagswahl 2021 haben über 20 zivilgesellschaftliche Organisationen scharfe Kritik an der Bundesregierung geäußert. Die Koalition aus SPD, Grünen und FDP müsse ihren Absichtserklärungen auch Taten folgen lassen. Das Bündnis kritisiert dabei zum einen die Diskrepanz zwischen den Worten des Koalitionsvertrages und dem Handeln der Bundesregierung, zum anderen aber auch ganz konkrete einzelne Aspekte des Regierungshandelns. Ein "digitalpolitisches Scheitern" drohe auch dieser Bundesregierung – und damit ein langfristiger Schaden für Wirtschaft und Gesellschaft.

Zwar sei das digitalpolitische Programm der Bundesregierung durchaus ambitioniert, betont das Bündnis, zu dem unter anderem die Free Software Foundation Europe (FSFE), der AWO Bundesverband, Bits und Bäume, der BUND, der Chaos Computer Club, der Innovationsbund Öffentliche Gesundheit (InÖG) und Wikimedia gehören, ziehen eine negative Halbzeitbilanz. Es sei Zeit für konkrete Maßnahmen statt nur schöne Worte. Doch die Pläne würden nicht ausreichend umgesetzt und die finanzielle Ausstattung wichtiger Digitalvorhaben sei mit der Planung für den Bundeshaushalt 2024 in Gefahr.

Scharfe Kritik kommt vonseiten der Freie-Software-Verbände. Die Free Software Foundation Europe (FSFE) bemängelt zum einen, dass die Bundesregierung bei der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Besserstellung freier Software nicht handele. Sie setze weiterhin größtenteils auf proprietäre Software, allein für die "Oracle Cloud" würden mehr als drei Milliarden Euro Haushaltsmittel verausgabt. Die als "sovereign cloud" über eine Tochterfirma vermarktete Lösung des Anbieters soll alle Sicherheitskriterien erfüllen, um die Nutzung für deutsche Behörden zu ermöglichen.

Auch der "Bundesclient" des Informationstechnikzentrums des Bundes auf Basis von Windows 10 stehe in "eklatantem Widerspruch zum erklärten Ziel der Regierung, Freie Software und damit echte digitale Souveränität zu stärken". Im Koalitionsvertrag hatten die Ampel-Partner versprochen: "Für öffentliche IT-Projekte schreiben wir offene Standards fest. Entwicklungsaufträge werden in der Regel als Open Source beauftragt, die entsprechende Software wird grundsätzlich öffentlich gemacht." Doch vom "Prinzip Public Money, Public Code" sei kaum eine Spur zu sehen, kritisiert auch die Open Source Business Alliance- sollten die jetzigen Haushaltspläne beibehalten werden, bedeute das "die Beerdigung der im Koalitionsvertrag angekündigten Open-Source-Vorhaben."

Auch in der Sicherheitspolitik sparen die Organisationen nicht mit Kritik. Dirk Engling, Sprecher des Chaos Computer Clubs fordert zur Halbzeit die Bundesregierung auf, "dass sie endlich ihr Versprechen einlöst, den Einsatz von Staatstrojanern herunterzufahren und die Schadsoftware-Branche nicht weiter zu bedienen." Auch die mit der europäischen Verordnung zur Bekämpfung von Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs verbundenen Überwachungsideen würde nach wie vor nicht konsequent genug durch die Bundesregierung abgelehnt. "Die Ampel sollte hier endlich Farbe bekennen, ihren europäischen Einfluss nutzen und die Idee, Messenger-Nachrichten massenhaft zu scannen, ad acta legen." Die Bundesregierung vertritt offiziell eine Position gegen die Überwachung von Messengernachrichten, verweist jedoch darauf, dass sie in der EU hierfür bislang keine Mehrheiten finden würde.

Der ursprünglich aus dem sozialdemokratischen Umfeld gegründete Verein D64 fordert bei der Innenpolitik ebenfalls deutliche Veränderungen: Ihre Gedanken an die Vorratsdatenspeicherung müsse die Bundesregierung endgültig ad acta legen. Das richtet sich vor allem an Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die eine IP-Vorratsdatenspeicherung nach wie vor für sinnvoll erachtet. Der im Koalitionsvertrag vorgesehene und vom Justizministerium unter Marco Buschmann (FDP) ausgearbeitete Alternativvorschlag für eine sogenannte Quick-Freeze-Lösung ist bislang nicht vom Ampelkabinett verabschiedet worden.

Der D64-Verein kritisiert zudem, dass die Bundesregierung die im Koalitionsvertrag genannten Ziele der Verwaltungsdigitalisierung nicht erreiche. Hier müsse mehr Verbindlichkeit und ein klares Regelwerk geschaffen werden - auch bei der Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Beides sieht der Verein mit dem im Juni vom Kabinett auf den Weg gebrachten Onlinezugangsgesetz 2.0 nicht als gegeben an – auch hier ist die Innenministerin Nancy Faeser (SPD) zuständig.

Mehr Engagement bei der Vereinbarkeit von Digitalisierung und Klimaschutz fordern die Organisationen hinter dem Bündnis Bits & Bäume. So seien etwa die Ambitionen im von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) überarbeiteten Energieeffizienzgesetz zur Nutzung der Abwärme von Rechenzentren deutlich hinter dem im Koalitionsvertrag formulierten Anspruch zurückgeblieben. Laut dem Bündnis machen Rechenzentren heute drei Prozent des gesamten Stromverbrauchs in Deutschland aus. Nur die größten Rechenzentren fielen überhaupt unter die Vorgaben, dabei würde der Bedarf an Rechenzentren weiter steigen. "Wir müssen generell dafür sorgen, dass unsere Digitalisierung weniger Ressourcen frisst", fordert Friederike Hildebrandt, Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Digitalisierung beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).

Dies solle etwa in der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie mehr Berücksichtigung finden, für die das grün geführte Bundesumweltministerium federführend zuständig ist. Gemeinsam kritisieren die Organisationen, dass die Einbindung der Zivilgesellschaft auch unter SPD, Grünen und FDP weiterhin nicht gut funktioniere. So seien etwa Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben, insbesondere für ehrenamtliche Strukturen bei den oft sehr kurzen Fristen kaum möglich und die strukturelle Einbindung weiterhin mangelhaft. "Weder bei der Digitalstrategie noch beim Digital-Gipfel im vergangenen Jahr wurde die Zivilgesellschaft nennenswert miteinbezogen", kritisiert Lilli Iliev, Leiterin Politik und öffentlicher Sektor bei Wikimedia Deutschland. Zwar gibt es zur Digitalstrategie einen Beirat beim Bundesministerium für Digitales und Verkehr. Doch die Aufgabe der 19 Mitglieder aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft besteht primär in der Begutachtung der Umsetzung von der Bundesregierung beschlossener Vorhaben, nicht in der Mitberatung digitalpolitischer Entscheidungen.

Kritik an der Herangehensweise der Ampel an Digitalisierungsvorhaben übt auch der Innovationsverbund öffentliche Gesundheit (InÖG). Bürger würden eher "digital verwaltet" als "digital befähigt", schreibt InÖG. Dabei sollten Digitalisierungslösungen Bürger- oder Patienten-zentriert sein. Laut InÖG gebe es etwa bei der Registermodernisierung keine Einbeziehung der Bürger, die Fehlentwicklungen wie zuletzt etwa bei der LucaApp oder der im ersten Anlauf gescheiterten ID-Wallet vorbeugen könnte. Die elektronische Patientenakte, bei der ein Widerspruch notwendig ist, sei zudem eine "digitale Scheinbeteiligungslösung", da sie nicht auf aktive Willensbekundungen der Betroffenen setze.

Die Bundesregierung selbst zeigte sich am Montag zufrieden mit dem bislang digitalpolitisch Erreichten. Der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner erklärte: "Die Einschätzung des Bundeskanzlers ist, dass wir eine sehr gute Digitalstrategie verabredet und verabschiedet haben und dass wir dabei auch gut vorankommen." Bundesverkehrs- und Digitalminister Volker Wissing (FDP) erklärte auf X/Twitter, dass es richtig sei, dass Verbände Druck machten. "Wir haben einiges umgesetzt. Vieles braucht noch mehr Tempo und Konsequenz." Zuvor hatte der Wirtschaftsverband Bitkom ein Monitoring zum Stand der Umsetzung der Digitalvorhaben vorgestellt, in dem der Bundesregierung ebenfalls kein gutes Zeugnis ausgestellt wurde.

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(mack)