Innenminister Seehofer wünscht sich digitale Wanzen im Wohnzimmer

Nach dem Frontalangriff auf die verschlüsselte Kommunikation von WhatsApp & Co. will Innenminister Seehofer nun Sprachassistenten in staatliche Abhörhilfen verwandeln.

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Innenminister Seehofer wünscht sich digitale Wanzen im Wohnzimmer
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Die ohnehin schon ständig lauschenden digitalen Helfer im trauten vernetzten Heim könnten bald schon ihren Datenstrom auch an den Staat liefern. Bei Bundesinnenminister Horst Seehofer und manchem Kollegen auf Länderebene hat das Smart Home Begehrlichkeiten geweckt. Dort sammeln intelligente Sprachassistenten wie Amazons Alexa, Googles Home oder Apples Siri ebenso wertvolle Informationen wie „intelligente“ Fernseher und Kühlschränke.

Der jüngste Vorstoß kam in einer Beschlussvorlage für die Innenministerkonferenz (IMK) von Bund und Ländern, die Mitte Mai in Kiel über die Bühne ging. „Die Spurensicherung in der digitalen Welt“ nimmt demnach eine „immer größere Bedeutung“ ein. Die Strafverfolgungsbehörden müssten daher „in der Lage sein, digitale Spuren zu erkennen, zu sichern und auszuwerten“. Konkrete Handlungsempfehlungen soll ein Arbeitskreis bis Dezember vorlegen.

Der Aufschrei kam prompt: FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann und Vertreter der SPD-Fraktion sprachen vom „Lauschangriff 4.0“. Der Liberale mahnte: die Innenminister sollten „von diesem maßlosen Eingriff in die Privatsphäre des Einzelnen die Finger lassen.“ Der grüne Fraktionsvize Konstantin von Notz betonte, statt „millionenfacher Wanzen in unseren Wohnungen“ brauche Deutschland sichere vernetzte Geräte. Die Digitalisierung des Lebens dürfe nicht dazu führen, dass Bürger den „Ausforschungs- und Kontrollwünschen des Staates“ gerade in der grundrechtlich geschützten Wohnung machtlos ausgeliefert seien.

Die Hersteller smarter Lautsprecher reagieren auf solche Begehrlichkeiten aus der Politik nicht etwa damit, den Datenschutz ihrer Geräte zu verbessern, sondern bauen – im Gegenteil – die Überwachungsmöglichkeiten noch weiter aus. Amazon hat beispielsweise einen Patentantrag gestellt, wonach die in den Echo-Geräten steckende Technik einen Sprachbefehl auch dann ausführen könnte, wenn das Aktivierungswort erst am Satzende gesprochen wird statt schon am Anfang. „Mach das Licht an, Alexa!“, wäre ein solches Beispiel. Dafür müsste das System aber permanent alles Gesprochene in einen Zwischenspeicher legen, der dann beim Stichwort an Amazon geschickt wird. Alexa würde also permanent mithören, um diese Funktion zu ermöglichen.

Die gesetzliche Basis fürs Abhören von Alexa & Co. ist prinzipiell bereits gelegt. Neben breiten Kompetenzen zur „Sicherstellung und Beschlagnahme von Gegenständen zu Beweiszwecken“ sieht die Strafprozessordnung den großen Lauschangriff bereits vor. Für die akustische Wohnraumüberwachung darf zur Bekämpfung schwerer Verbrechen unter recht engen Voraussetzungen zumindest „das nichtöffentlich gesprochene Wort mit technischen Mitteln abgehört und aufgezeichnet werden“. Dazu hat es die große Koalition der Polizei schon gestattet, zur Strafverfolgung und zur Gefahrenabwehr Staatstrojaner in Stellung zu bringen und IT-Systeme zu hacken. Was noch fehlt, ist eine Pflicht für Gerätehersteller, das staatliche Anzapfen direkt zu unterstützen.

Parallel will Seehofer Betreiber von Messengern wie WhatsApp, Signal oder Threema verpflichten, auf richterliche Anordnung hin die verschlüsselte Kommunikation ihrer Kunden mitzuschneiden und in lesbarer Form an Sicherheitsbehörden zu schicken. Er feuert eine Breitseite gegen alle beliebten Chat-Dienste, die Nachrichten ihrer Nutzer durchgängig verschlüsseln und deswegen noch nicht einmal selbst einsehen können.

Der Gesetzgeber müsste die Anbieter dann verpflichten, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gezielt abzuschalten oder Hintertüren einzubauen. Das wäre nicht nur verheerend für die IT-Sicherheit, sondern auch unvereinbar mit den seit 20 Jahren geltenden Krypto-Eckpunkten der Bundesregierung, da Backdoors etwa auch von Kriminellen genutzt werden könnten. Stimmen aus der Digitalwirtschaft, Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Opposition und sogar der schwarz-roten Koalition warnten vor einem „abenteuerlichen“ und „fahrlässigen“ Frontalangriff auf die Verschlüsselung.

Doch Seehofer bleibt nicht bei den Messengern stehen und findet weitere Verbündete: So haben die Justizminister der Länder auf ihrer Frühjahrskonferenz einen Beschluss gefasst, wonach der Umstieg auf 5G nicht dazu führen dürfe, dass die technischen Abhörbefugnisse der Ermittler „faktisch eingeschränkt werden oder ins Leere gehen“. Bei der Spezifikation und der Vergabe der Frequenzen für den kommenden Mobilfunkstandard müssten „die Anforderungen der Strafverfolgung berücksichtigt“ und nötige Gesetzesreformen rasch angegangen werden.

Zuvor hatte der Anti-Terror-Beauftragte der EU, Gilles de Kerchove, Alarm geschlagen, dass Fahnder und die Justiz angesichts der „hohen Sicherheitsstandards“ von 5G nebst Erkennung „falscher“ Basisstationen sowie aufgrund der „verteilten und virtuellen Architektur“ der Spezifikation „den Zugang zu wertvollen Daten verlieren könnten“. Zumindest Ende-zu-Ende-Verschlüsselung sei bei der Standardisierung aber kaum ein Thema gewesen, weiß der Münchner Mobilfunkforscher Alf Zugenmaier: „Das Rennen war verloren, bevor es richtig begonnen hat.“

Teil des von Seehofer vorangetriebenen Umbaus der Republik in einen Überwachungsstaat ist auch sein Referentenentwurf für ein „harmonisiertes“ Verfassungsschutzrecht. Damit sollen die Befugnisse der Geheimdienste massiv ausgeweitet werden. Dem Bundesnachrichtendienst (BND) will das Ressort die Lizenz geben, Bundestrojaner gegen Deutsche im Inland einzusetzen und für die Installation der Spähinstrumente auch in Wohnungen einbrechen zu dürfen.

Parallel holte das Innenressort mit einem Entwurf für ein IT-Sicherheitsgesetz 2.0 zu einem weiteren Rundumschlag aus. Vorgesehen sind massive strafrechtliche Verschärfungen, um gegen Darknet-Betreiber, „digitalen Hausfriedensbruch“ und Doxxing vorzugehen. Es droht bis zu sechs Monate Beugehaft, wenn Nutzer sich weigern, ihre Passwörter herauszugeben. Dadurch soll es Staatsanwaltschaft und Polizei erleichtert werden, sich der „virtuellen Identität“ Verdächtiger zu bemächtigen und mit Dritten in Kontakt zu treten.

Seehofer zieht so einen Maximalwunsch nach dem anderen aus der Schublade. Sein Kalkül lautet: Irgendwas wird bei der SPD schon mit den üblichen Bauchschmerzen durchgehen, selbst wenn der Koalitionspartner einen Großteil der ins Spiel gebrachten Vorschriften zunächst ablehnt.

Dieser Artikel stammt aus c't 14/2019. (hag)