Law-and-Order-Parolen zum Internet unter Beschuss

Der Ruf nach verstärkter Netzüberwachung durch die Polizei im "Ländle" löst eine neue Debatte über die Befugnisse der Ermittler aus.

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Die Forderung des baden-württembergischen Landespolizeichefs Erwin Hetger, die Provider zur stärkeren Überwachung des Internetverkehrs zu verpflichten, stößt selbst in seinem Bundesland auf wenig Gegenliebe. Ulrich Goll, Justizminister im "Ländle", äußerte gegenüber heise online die Befürchtung, dass die von Hetger angeregte Speicherung der digitalen Datenspuren der Surfer für zwei Jahre die Netzbürger unter einen pauschalen Kriminalitätsverdacht stellen und ihre freiheitlichen Grundrechte zu sehr beschränken würde. Noch eine Prise schärfer ist die Kritik der Jungen Liberalen in Baden-Württemberg: Ihr Landesvorsitzender, Jörg Brehmer, wirft Hetger die Verbreitung von "abgedroschenen Law-and-Order-Parolen ohne Nutzwert" vor.

Strafverfolger drängen angesichts Statistiken, die einen rasanten Anstieg im Bereich Netzkriminalität ausweisen, seit langem eine auf längere Aufbewahrungsfrist von Inhalts- und Verbindungsdaten im Bereich der Telekommunikation einschließlich des Internets. Die Vorgaben werden in Europa vor allem von der Enfopol-Arbeitsgruppe erstellt, die eng mit dem FBI sowie amerikanischen Geheimdiensten zusammenarbeitet und beim Europäischen Rat angesiedelt ist. Zahlreiche Medienpolitiker, Datenschützer und die Provider protestieren allerdings gegen die geforderte Rund-um-Überwachung der Surfer.

Goll sieht in der seit Jahren geführten Auseinandersetzung inzwischen ein Konfliktfeld, das mittelfristig noch für mehr Spannungen sorgen könnte als der Streit um die Volkszählung. Das Internet ist für den FDP-Politiker eine "Herausforderung für die Strafverfolgung und zugleich eine Herausforderung für den Gesetzgeber, hier einen vernünftigen Ausgleich zwischen Strafverfolgung und dem Schutz der Bürgerrechte zu suchen". Entgegen den Äußerungen Hetgers betont der Justizminister allerdings, dass das Netz keineswegs ein "rechtsfreier Raum" sei und die geltenden Gesetze auch im Cyberspace Anwendung finden würden. Eine vorsorgliche Speicherung aller Verbindungsdaten sei unverhältnismäßig und würde einen unzumutbaren Überwachungsdruck für die Nutzer erzeugen.

Bei der Entscheidung über den künftigen Umfang der Kommunikationsüberwachung, so Goll, habe der Gesetzgeber neben dem Strafverfolgungsinteresse auch wirtschaftliche Interessen, beispielsweise von mittelständischen Unternehmen, zu berücksichtigen. So beklagt der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco, dass durch die ganzen Auflagen für die Provider und die dadurch entstehenden Kosten gerade kleinere Unternehmen der Branche in den Ruin getrieben würden. Dem baden-württembergischen Polizeipräsidenten wirft eco-Geschäftsführer Harald Summa nun vor, sich über das Internet und seine Datenflüsse falsche Vorstellungen zu machen. Schon heute liege der nationale Traffic bei 3,3 Gigabit in der Sekunde, wobei sich das zu speichernde Datenvolumen in der Stunde auf 30 Plattenlaufwerke á 48 Gigabyte belaufe. Ginge es Hetger allein um die Verbindungsdaten, seien das immer noch rund fünf Prozent des Durchsatzes, womit in der Stunde ein Laufwerk gefüllt würde.

Pro Jahr geht Summa zudem von einer Verdopplung des Netz-Traffics auf Grund von weiteren Streaming-Angeboten oder Voice over IP aus. "Selbst wenn diese Daten gespeichert werden sollten, wer will diese Menge auswerten?", fragt der Providervertreter. Schon heute seien die Justiz und ihre Ermittlungsgehilfen nicht auf dem Stand der Technik. Doch "das eigene Problem auf die Provider zu wälzen", empfindet Summa "als schlicht arrogant und von Unwissen geprägt."

Brehmer von den Jungen Liberalen bot dem Polizeichef nach seinen umstrittenen Äußerungen eine "Erläuterung" von Ermittlungsmethoden rund ums Internet an, die einen wesentlich schonenderen Ausgleich zwischen den Interessen der Strafverfolger und den Bürgerrechten ermöglichten. Beim "Freeze and Preserve"-Konzept, so Brehmer mit einem Beispiel, genüge zunächst ein Anruf der Ermittler, damit die Zugangsanbeiter die Daten eines Verdächtigen für eine gewissen Zeitraum gleichsam auf Eis legen. Zugriff hätten die Behörden auf das Material aber erst mit einem richterlichem Beschluss. "Dies garantiert nicht nur einen zielgenaueren Zugriff, sondern macht auch eine teure Überwachungs-Blackbox beim Provider überflüssig", meint Brehmer. Die eingeforderte jahrlange Speicherung aller personenbezogenen Daten der Nutzer treffe dagegen letztlich nur unbescholtene Bürger, so der Vorwurf der "Julis". Kriminelle wüssten sich über verschlüsselte Netzwerke schließlich gut zu tarnen und der "erkennungsdienstlichen Behandlung" der unbekümmerten Surfer zu entziehen.

Brehmer rügte in diesem Zusammenhang auch die bisherige Praxis in Bund und Ländern bei der Durchführung so genannter Internetstreifen. "Die Überwachung des Internet steht rechtlich auf sehr wackeligen Füßen", erläutert der Chef der Jungliberalen im Südwesten. Während der Einsatz technischer Mittel, wie beispielsweise Videokameras, ausführlich gesetzlich geregelt sei, fehle für das Internet eine klare Beschreibung dessen, was der Polizei erlaubt sei und - vor allem - was nicht. Die Jungen Liberalen lehnen "anlassunabhängige" Ermittlungen im Internet, deren Verstärkung Hetger forderte, prinzipiell ab. (Stefan Krempl) / (jk)