Leichtathletik-WM: IT-Tour durch die "Katakomben" des Olympiastadions

Das diesjährige Sport-Großereignis wird mit Hilfe aufwändiger Technik wie Systemen für scheinbar allwissende Kommentatoren und zur Messung von Sportleistungen für die rund 6,5 Milliarden TV-Zuschauer maßgeschneidert.

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Mehrere hundert Millionen Zuschauer verfolgten am gestrigen Sonntagabend am Fernseher das Hauptduell der 12. IAAF Leichtathletik-WM Berlin 2009: Usain Bolt aus Jamaika gegen US-Titelverteidiger Tyson Gay im 100-Meter-Lauf der Herren. Die Kommentatoren an den Bildschirmen überschlugen sich bei dem "Fabel-Weltrekord" in der Zeit von 9,58 Sekunden des "Raketenmannes" nicht nur mit Lobeshymnen über den Sprinter, in Sekundenschnelle wussten sie auch zu berichten, dass der Goldmedaillengewinner bald seinen 23. Geburtstag feiert und mit 1,93 Metern bei 76 Kilogramm geradezu Idealmaße für einen Schnellläufer mit sich bringt. Dass der vorige Weltrekord über 100 Meter ebenfalls am 16. August – damals in Peking mit 9,69 Sekunden – gelaufen wurde, ging den Kommentatoren ebenfalls wie selbstverständlich über die Lippen.

IT-Tour zu Leichtathletik-WM (7 Bilder)

Blick in den Innenraum des Berliner Olympiastadions.

Viele Beobachter der WM und vergleichbarer Sportspektakel wundern sich über dieses Detailwissen. Wirkt der Redefluss der Kommentatoren doch so, als ob sie Tausende Informationen zu jedem einzelnen Athleten im Kopf hätten. In Wirklichkeit setzen sie für ihre Live-Berichterstattung größtenteils auf die Hilfe modernster Informationstechnik: Vor Augen haben sie allein auf der Berichterstattertribüne im Olympiastadion 400 berührungsempfindliche Multimedia-Bildschirme, auf denen das Commentator Information System (CIS) läuft. Die Touchscreens geben über alle Zeitpläne, Ergebnislisten und ehemaligen Erfolge von Sportlern genauso Auskunft wie über Statistiken und Biographien. Ein Fingerdruck auf den Bildschirm reicht, um dem Kommentar seinen Wissensvorsprung zu sichern.

Auf dem Stadiongelände in Berlin sind insgesamt 700 der hintergründigen IT-Systeme aufgestellt. Auch Aufnahmeleiter arbeiten im Pressezentrum etwa damit, um vorab ideale Kamerapositionen auszuwählen. Dahinter steht ein mit 622 Mbit/s verknüpftes Breitbandnetz, das lichtstarke LCD-Terminals in Echtzeit miteinander verbindet. Es läuft zusammen und wird gefüttert von einem Serverzentrum in den "Katakomben" der historischen, zuletzt vor der Fußball-WM 2006 komplett umgemodelten Sportstätte. "Wir empfangen hier alle Daten, unabhängig davon, ob es sich um Fotos, Zielmessungen, Grafiken oder Porträts handelt", erläutert Gianluca Bertone von Epson, dem offiziellen IT-Partner der IAAF (International Association of Athletics Federations) in dem klimatisierten unterirdischen Raum. Darunter seien in diesem Jahr auch acht Videoströme in HD (High Definition).

Der Italiener verrät auch, dass Internetnutzer bei Interesse große Teile des CIS über die IAAF-Webseite selbst in Anspruch nehmen und so die Wissenskluft zu den Kommentaren schließen können. Der Zugang zu den Informationen über die gut 2100 Athleten aus den 213 Mitgliedsverbänden des Sportlerweltverbands findet sich beispielsweise auf dieser Übersichtsseite. Im Einsatz befindet sich das Kommentatorensystem bereits seit zehn Jahren, neue Funktionen wie etwa Video-Feeds kommen aber immer wieder dazu. Mit dem Aufbau und Testen der Client-Server-Anlage haben Bertone und rund 40 weitere Epson-Techniker in Berlin elf Tage vor dem größten Sportereignis des Jahres begonnen.

Wenige Meter außerhalb des Südtors zur Stätte der Siege und Niederlagen knattern unterdessen im "International Broadcast Center" (IBC) die Aggregate zur Stromerzeugung für die Aussendung der bunten Bilder für die TV-Stationen in der Sommerhitze. 180 Containerkabinen und 800 Kilometer Kabel erstrecken sich dort auf einer Fläche von über sechs Fußballfeldern. Alle Länder der Welt zeigen den Kampf um die 47 Titel. 21 Sender – einschließlich ARD und ZDF – schicken HDTV-Signale in zehn Nationen. Selbst Nordkorea hat in letzter Minute ein Übertragungsabkommen mit der IAAF abgeschlossen. Im Stadion selbst sind 72 Fernsehkameras fest installiert, dazu kommen 80 flexibel vor Ort einsetzbare Crews. Sie produzieren 63 Stunden Material jeden Tag, da neun unterschiedliche Bilderströme angeboten werden. Einzelne Stationen können sich daraus ihre "eigenen" Lieblingsaufnahmen auswählen. Nach hierzulande strengen "Zuverlässigkeitsprüfungen" akkreditiert worden sind insgesamt 800 Journalisten für die noch eine knappe Woche laufende Veranstaltung, darunter 300 Fotografen.

Die Nachbearbeitung und Vorbereitung künftiger Übertragungen finden auf jeden Fall auch mit viel Technik statt. Epson hat dafür ein optisches System zur Performance Evaluation (EPE) entwickelt, das eigentlich hauptsächlich der Messung von Sportleistungen dient. Es besteht aus mindestens zwei Kameras, deren Bildinformationen parallel über einen Hochleistungsrechner verarbeitet werden. Die Daten lassen dabei eine recht verlässliche und angeblich millimetergenau Aussage zu, wo sich ein Sportler in einem dreidimensionalen Raum bewegt. Für die offizielle Wertung der Wettkämpfe dürfen die Ergebnisse der Analysen zwar nicht verwendet werden. Sie gehören aber trotzdem zu den Standardauswertungen der Sportler und ihrer Trainer. Zugleich sind sie aus dem "Infotainment"-Angebot für die TV-Zuschauer nicht mehr wegzudenken. Gezeigt wird dabei aus ungewöhnlichen Blickwinkeln im Detail etwa, ob ein Weitspringer übertritt, in welchem Winkel ein Speerwerfer sein Sportgerät schleudert oder welcher Bewegungsablauf einen Hochspringer am weitesten bringt. (Stefan Krempl) / (anw)