Liebesentzug für Handys an der Börse

Die Anleger strafen erfolgreichen Handy-Hersteller ab - Angst um die Zukunft und eine mögliche Sättigung des Mobilfunkmarkts geht um.

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Von
  • Richard Sietmann

Ball paradox. Da meldet der finnische Telekom-Konzern Nokia gestern, dass er im vergangenen Jahr 128 Millionen Handys verkauft habe, 64 Prozent mehr als 1999. Damit schnitt das Unternehmen deutlich besser als der Rest der Branche ab, die "nur" einen Zuwachs von 45 Prozent verzeichnen konnte. Aber die Anteilseigner wissen die gute Nachricht nicht zu würdigen und reagieren mit Liebesentzug. An der Frankfurter Börse verlor Nokia 9,9 Prozent und kostete nur noch 39,50 Euro. Zeitweise gab der Kurs des weltweit unangefochtenen Handy-Marktführers sogar um 12 Prozent nach.

Der negativen Rückkoppelung der Anleger auf Rekordzahlen liegt aber eine gewisse Logik zugrunde. Da an der Börse nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft der Unternehmen gehandelt wird – sprich, die Aussicht auf eine weiterhin positive Geschäftsentwicklung und damit Kurssteigerungen – rückt mit jedem Höhenflug die befürchtete Trendwende näher. Für ein erfolgreiches Unternehmen wird es auf dem Gipfel einsam, wenn die Anleger den Zeitpunkt gekommen sehen und ihm die Gunst entziehen.

Im Falle Nokia kommt neben den Ängsten vor einer von den USA ausgehenden Rezession zudem die um sich greifende Verunsicherung des Mobilfunkmarktes ins Spiel – erkennbar unter anderem daran, dass auch der Kursverlauf von Ericsson in Mitleidenschaft gezogen wurde; in Stockholm sank der Kurs des Konkurrenten voübergehend um 8 Prozent. In den Sog geriet selbst Motorola mit einem Abschlag von 4,9 Prozent an der New York Stock Exchange. Aktionäre und Analysten plagt zunehmend die Frage, ob die fetten Jahre der Mobiltelefonie allmählich zu Ende gehen und die Sättigung des Marktes naht. Da in Europa und Japan bereits die Hälfte der Bevölkerung ein Handy besitzt, können die Zuwachsraten nicht mehr in den Himmel wachsen.

Ein Teil der Reaktion war allerdings auch hausgemacht. Noch am 5. Dezember, als andere Hightech-Unternehmen schon Gewinnwarnungen ausgaben, hatten die Finnen ein überaus positives Bild der Absatzlage gezeichnet und die Vorhersage des jährlichen Umsatzwachstums von 25 bis 30 Prozent um ein weiteres Jahr auf 2003 ausgedehnt – was die Börse seinerzeit mit einem Kurssprung um 28 Prozent honorierte. Jetzt zweifeln etliche Anleger offenbar schon an den Prognosefähigkeiten und strafen das Unternehmen ab, weil es mit dem Rekordabsatz von 128 Millionen Mobiltelefonen nur 5 Prozent unter den angepeilten 135 Millionen Stück geblieben war. Und dass Erhebungen von Gartner zufolge Nokias Marktanteil von 27,5 im zweiten Quartal auf 30,6 Prozent im dritten stieg, zählt anscheinend weniger als der Umstand, dass einige Analysten eben mehr erwartet hatten und sogar mit einem Marktanteil von einem Drittel gerechnet hatten.

Beigetragen zur Verunsicherung haben ernüchternde Marktanalysen zur bevorstehenden Einführung des Mobilfunksystems der dritten Generation. Mit tragbarem Internet-Anschluss, Videoübertragungen und Online-Einkäufen per Breitband-Handy – Features die das Universal Mobile Telecommunications System (UMTS) ermöglichen soll – werde sich kaum viel Geld verdienen lassen, meint die Organisation and Technology Research Group OTR. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt Forrester Research in dem Report "Europe's UMTS Meltdown". Die zurückgeschraubten Erwartungen hinsichtlich der Vermarktung neuer Mobilfunkdienste wirkt sich unmittelbar auf die Netzausrüster und Hersteller der Handys aus. Forrester meint zudem, dass die europäischen Handy-Fabrikanten unter verstärkten Druck der japanischen Konkurrenz geraten werden, die mit kosteneffizienter Produktion im Endkundengeschäft traditionell die Nase vorn haben. Das Vordringen von Sony und Matsushita auf den europäischen Markt werde jedoch vor allem Ericsson und Alcatel in Bedrängnis bringen. Das lässt den Nokia-Aktionären doch immerhin noch etwas Hoffnung ... (Richard Sietmann) (prak)