Linux-Gemeinde: EU-Patentkurs untergräbt Kartellverfahren gegen Microsoft

Verfechter freier Software beklagen, dass die EU-Kommission mit ihrer softwarepatentfreundlichen Strategie die eigene harte Wettbewerbslinie gegenüber den Redmondern unterläuft und den Standort Europa gefährdet.

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Verfechter freier Software beklagen im Vorfeld der am Montag startenden Anhörungen im Kartellrechtsverfahren zwischen der EU und Microsoft vor dem EU-Gericht Erster Instanz, dass die EU-Kommission mit ihrem softwarepatentfreundlichen Kurs die eigene harte Wettbewerbslinie unterläuft. Sie sehen damit die Zukunftsfähigkeit der Softwarewirtschaft in Europa gefährdet. "Die Freiheit der Anwender verteidigen" – mit diesem Ziel hätten die Wettbewerbshüter in Brüssel ihren langwierigen Kartellrechtsstreit bislang durchgefochten, schreibt die Free Software Foundation Europe (FSFE) in einem Kommentar. Andererseits sei die Binnenmarktkommission aber dabei, mit ihrem Streben zur besseren rechtlichen Durchsetzbarkeit von Softwarepatenten den gewünschten Wettbewerb im Softwaremarkt massiv zu behindern.

Die EU-Kommission hatte Microsoft vor rund zwei Jahren wegen Wettbewerbsverletzungen zu einer Strafe von 497 Millionen Euro verurteilt. Gleichzeitig ordnete sie die Auslieferung einer Windows-Version ohne Media Player und die Offenlegung der Schnittstellen für die Kommunikation mit Windows-Servern an. Microsoft zahlte die Rekordstrafe, klagte aber gegen die Entscheidung der Brüsseler Wettbewerbswächter. Um die Einhaltung der Auflagen gerade bei der für Konkurrenten wichtigen Dokumentation der Protokollschnittstellen geht es nun nicht nur in den Anhörungen der kommenden Woche. Darüber hinaus gibt es in dieser Frage der Umsetzung der Anordnungen auch auf anderen Ebenen einen heftigen Streit zwischen der Kommission und Microsoft.

Laut der FSFE geht es in der Auseinandersetzung um die Vernetzungsinformationen zwischen Windows und dem Rest der Computerwelt für die Redmonder ums Ganze. Mit dem Prozess stehe "das gesamte Microsoft-Geschäftsmodell auf dem Prüfstand". Schließlich sei "das Einsperren der Kunden und ihre Abhängigkeit gegenüber Windows der Dreh- und Angelpunkt für den künftigen Erfolg des Konzerns". Deswegen setze Microsoft derart stark auf den gewerblichen Rechtsschutz der Betriebssystem-Schnittstellen und anderer Softwareverfahren mit Hilfe von Patenten. Die FSFE verwundert es in diesem Zusammenhang nicht, dass Microsoft-Chef Steve Ballmer jüngst das wachsende Portfolio der Redmonder im Zusammenhang mit möglichen Klagen gegen die verstärkt spürbar werdende Konkurrenz aus dem Lager der freien Software ins Spiel brachte.

Selbst die gerichtlich erzwungene Herausgabe der Schnittstellendokumentationen könnte sich demnach für die streitbare Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes als Pyrrhussieg erweisen, fürchtet die FSFE. Denn mit Unterstützung von Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy, der während seiner Zeit als irischer Finanzminister Microsoft in seiner Heimat gefördert habe, könne der Konzern seine Monopole im Softwarebereich doch noch zu bewahren hoffen. Die FSFE wirft dem Iren in diesem Zusammenhang vor, die rechtliche Absicherung von Softwarepatenten in der EU momentan unter dem Deckmantel des Gemeinschaftspatents im Rahmen ihrer Konsultation zur Neuausrichtung der europäischen Patentstrategie erneut auf die Agenda gesetzt zu haben. Die große Sorge des Vereins: Letztlich dürften selbst im Fall einer Veröffentlichung der Schnittstelleninformationen diese nicht verwendet werden, weil die Kommission den Anwendern gleichzeitig die Möglichkeit genommen habe, die höchst wichtige, aber patentierte Technik anzuwenden.

Ins gleich Horn stößt Elmar Geese, Vorsitzender des Linux-Verbandes. "Die geforderte und strafbewehrte Offenlegung der Schnittstellen ist leider nicht einmal die halbe Miete", erklärte der Lobbyist gegenüber heise online. "Sie bringt dem Wettbewerb nichts, wenn die Nutzung der Schnittstellen patentbewehrt wird. Wir können geheime Schnittstellen wie bisher auch selbst erforschen und implementieren. Wenn wir aber digitalen Wegezoll an Microsoft zahlen müssten, ist das ein großer Schaden für den Wettbewerb weltweit". Der Standort Europa mit seiner immer stärkeren Tendenz zum Einsatz der "unabhängigen Technologie" Linux, würde im IT-Bereich so zurückgeworfen. Die Strafe für Microsoft mache zwar Mut, das Kernproblem seien aber nach wie vor die von Teilen der Industrielobby forcierten "mittelstands- und standortfeindlichen Softwarepatente".

Microsoft selbst hat angekündigt, im Rahmen der anstehenden Verhandlungen das eigene "wertvolle geistige Eigentum" verteidigen und nicht sang- und klanglos an Wettbewerber herausgeben zu wollen. Es gehe um die Fähigkeiten einer "erfolgreichen Firma", ihre Produkte durch neue Funktionen anreichern zu können. Die Interessensvertretung ECIS (European Committee for Interoperable Systems) stärkte der Kommission derweil den Rücken. Es gebe keine Grundlage, die Entscheidung der EU-Behörde vom März 2004 zu kippen, erklärte die Lobbygruppe, der Firmen wie Corel, IBM, Nokia, Opera, Oracle, RealNetworks oder Sun Microsystems angehören. Die Redmonder hätten ihre beherrschende Stellung bei PC-Betriebssystemen genutzt, um Wettbewerb auf angrenzenden Märkten zu verhindern. ECIS-Chef Simon Awde gab seiner Zuversicht Ausdruck, "dass das Gericht am Ende der Beratungen die Entscheidung der Kommission bestätigen wird". (Stefan Krempl) (je)