Linux: Kein Geld fĂĽr Dokumentation
Um die Linux-Dokumentation sieht es schlecht aus. Doch könnte sich das mit der Post-Torvalds-Ära ändern – zumindest, wenn das Problem endlich erkannt wird.
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(Bild: Bild erstellt mit KI in Bing Image Creator durch heise online / dmk)
- Dr. Udo Seidel
Seit über 30 Jahre ist Linux das Open-Source-Vorzeigeprojekt. Bemerkenswert ist auch, dass der Leiter immer noch dabei ist – und das quasi in seiner ursprünglichen Funktion: Linus Torvalds gibt den Linux-Kernel frei und ist mehr als mitbestimmend, was drin ist. In vielerlei Hinsicht ist dieses Projekt anders als die meisten anderen in der IT. Da ist einmal das Entwicklungsmodell an sich, die Anzahl der Mitarbeiter, die Finanzierung der Arbeit und natürlich die Laufzeit.
Leider gibt es aber auch hier ein Problem, das oft in der Projekt-Welt auftritt: die Wichtigkeit und Wertung von Dokumentation.
Hilferuf und RĂĽcktritt
Kurz vor dem Open Source Summit EU im September 2024 in Wien gab es in diesem Bereich ein kleines Erdbeben. Alejandro Colomar legte sein Amt als Hauptverwalter der Hilfeseiten (Man-Pages) fĂĽr Linux nieder. Der Grund dafĂĽr ist einfach: Er kann sich diese ehrenamtliche Funktion nicht mehr leisten. Anders gesagt: Entweder findet sich ein Geldgeber fĂĽr die Pflege der Hilfeseiten oder Alejandro widmet seine Arbeitskraft und -zeit den Aufgaben, die mit Bezahlung verknĂĽpft sind.
Neu ist dieses Problem nicht, denn Jonathan Corbet, Herausgeber der Linux Weekly News (LWN), wies schon im April 2018 darauf hin. Er meinte: "Niemand möchte für das Schreiben von Dokumentation bezahlen". Corbet ging sogar noch weiter. Seiner Meinung nach ist die Qualität der Kernel-Dokumentation nicht so gut, wie sie sein könnte und sollte und forderte bessere finanzielle Unterstützung. Nun ist Corbet kein unbedeutender Name in der Linux-Welt. Dennoch blieb sein Hilferuf wohl ungehört.
Auf dem Open Source Summit EU 2024 kam das Thema bei einer Podiumsdiskussion wieder zur Sprache – allerdings nur als Nebenaspekt: Eigentlich ging es um die Gemeinschaft der Kernel-Entwickler, die Verwalter der verschiedenen Subsysteme und letztlich auch, wie die Linux-Welt in der Post-Linus-Torvalds-Ära aussieht. Immerhin ist der Finne von Anfang an dabei und hat immer noch das letzte Wort, was den Kernel-Code betrifft.
Interessanterweise hatte Torvalds in den über 30 Jahren mehrere Stellvertreter. Bekannte Namen sind Alan Cox, Andrew Morton und dieser Tage Greg Kroah-Hartman. Die Stellvertreter kamen und gingen – der Projektleiter aber blieb. Ein mögliches Konstrukt der Post-Linus-Torvalds-Ära könnte die Ersetzung des "wohlwollenden Diktators auf Lebenszeit" (Benevolent Dictator for Life – BDFL) durch eine Art Aufsichtsrat sein. Also eine Gruppe von Leuten, die das letzte Wort über den Kernel-Code haben.
Dort ließe sich dann auch eine Art Chefredakteur mit angeschlossener Redaktion implementieren. Es ist ja nicht so, dass die Kernel-Entwickler keine Dokumentation schreiben. Bei einem solchen Mammut-Projekt ist ein einheitliches und konsistentes Konsumgefühl auf der Anwenderseite kein Selbstläufer. Ein redaktionelles Gerüst erhöht die Chancen mehr als deutlich. Das erfordert aber auch eine gesunde Finanzierung.
Bekannte Schwachstelle
Der redaktionelle Ansatz löst auch ein weiteres Problem, das schon mehr als einmal in der Open-Source-Welt sein hässliches Haupt zeigte: die Abhängigkeit eines wichtigen Projekts von einer einzelnen Person. Bekannte Fälle sind OpenSSL mit Stephen Henson, GnuPG mit Werner Koch und NTP mit Harlan Stenn. Doch damit nicht genug, denn auch hier fand die Arbeit quasi ehrenamtlich statt. Die Einnahmen über Spenden lassen sich getrost ignorieren. Mitte der 2010er Jahre kamen deutliche Hilferufe und die Linux Foundation reagierte. Da gab es zunächst die Core Infrastructure Initiative, die inzwischen durch die Open Source Security Foundation (OpenSSF) abgelöst ist. Sie unterstützt – und zwar auch finanziell – die genannten Software-Projekte und inzwischen noch weitere.
Eine ähnliche Lösung könnte auch im Bereich Linux-Dokumentation funktionieren. Ein erster Schritt wäre das Berufen von Alejandro Colomar als bezahlten Verwalter der Hilfeseiten, gefolgt vom Etablieren eines Stellvertreters. So könnte man sich schrittweise einem redaktionellen Gerüst nähern. Das Ganze könnte man auch unter einer LF Dokumentation in die Linux Foundation integrieren. Der subjektive Eindruck während des Open Source Summit EU 2024 war allerdings, dass noch nicht genug Leute mit Entscheidungsgewalt finden, dass die Linux-Dokumentation ein ernsthaftes Problem ist. Damit ist Chance auf ein zeitnahes Anpacken desselben auch eher unwahrscheinlich – doch hoffentlich täuscht der subjektive Eindruck.
(fo)