Maas zur Rezo-Debatte: YouTuber zeigen Potenzial demokratischer Bewegungen

Der Außenminister wirbt bei der Digitalisierung für einen Mittelweg zwischen Totalitarismus und Ultraliberalismus. Das Rezo-Video verteidigt er.

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Maas zum Rezo-Effekt: YouTuber zeigen Potenzial demokratischer Bewegungen

Heiko Maas

(Bild: heise online/Stefan Krempl)

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Bundesaußenminister Heiko Maas hat sich im Streit um "Meinungsmache" im Netz hinter Rezo & Co. gestellt. Vor der Europawahl sei viel über Fake News und Social Media gesprochen worden, resümierte der SPD-Politiker am Mittwoch zum Start der Konferenz "Future Affairs", zu der das Auswärtige Amt gemeinsam mit den Machern des Digitalkongresses re:publica nach Berlin geladen hat. Deren Einfluss sei aber geringer gewesen "als gedacht". Bahn gebrochen hätten sich dagegen etwa mit dem Rezo-Video "junge Menschen, die sich von der alten Politik emanzipiert haben". So sei es ihnen möglich gewesen, sich direkt an die Leute zu wenden.

Rezo und die ihn unterstützenden mehr als 80 YouTuber haben mit ihrem Wahlkampfaufruf den alten Hasen im Politikgeschäft laut Maas das Potenzial demokratischer Bewegungen aufgezeigt. Dies sei umso wichtiger in einer Welt, in der digitale Fertigkeiten und Standards über die nächste Supermacht entscheiden könnten. China und die USA hätten dies seit Langem erkannt und suchten nach Unterstützern für ihr jeweilige Lager. Damit drohe der Welt nach dem Kalten Krieg aber eine neue Form der Teilung.

Die Einführung des Mobilfunkstandards 5G bezeichnete der Minister in diesem Sinne als einen Realitätstest. Sie zeige, wie nahe bereits eine Welt sei, in der nur die Wahl zwischen einer US-amerikanisch oder chinesisch geprägten Technosphäre bleibe. Auf der einen Seite stehe dort das Silicon Valley mit seinem "ultralibertären" Weg, auf dem die Politik und übergeordnete Regeln eher als Störfaktor gesehen würden. Demgegenüber stehe China mit seinen Experimenten etwa für Social Scoring. Ein solches Bewertungssystem für die Bürger könne sich in ein totalitäres Werkzeug verwandeln.

Die Bundesregierung, die EU und viele Partner glaubten an die großen Chancen, die mit der Digitalisierung verknüpft seien, unterstrich Maas. Um sich gegenüber den neuen Blöcken durchzusetzen, sei aber ein Einfluss erforderlich, "den keines unserer Länder allein hat". Nationalismus funktioniere in der vernetzten Welt nicht, die digitale Revolution könne kein Staat im Alleingang kontrollieren.

Deutschland habe daher etwa auf der UN-Ebene seit 2013 nach den Snowden-Enthüllungen Resolutionen mit Brasilien für einen besseren internationalen Datenschutz eingereicht sowie sich mit Mexiko für ein neues Mandat für eine verantwortungsvolle Regulierung des Cyberspace stark gemacht, erläuterte der Ressortchef. Es gelte, multilaterale Lösungen voranzutreiben. Für die erste Future-Affairs-Konferenz habe sich das Auswärtige Amt so bewusst Lateinamerika ins Boot geholt. Ziel der Zusammenkunft ist es unter anderem, den Einfluss der Digitalisierung auf den Wandel der Stabilität von Staaten und der bestehenden internationalen Sicherheitsstrukturen auszuloten.

Den erforderlichen Mittelweg hat die EU laut Maas mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) bereits erfolgreich eingeschlagen. Diese habe sich zum "De-facto-Standard" in vielen Ländern weltweit entwickelt. Einen ähnlichen Ansatz müsse Europa nun bei Regeln für Algorithmen und Künstliche Intelligenz (KI) wählen. Dabei gehe es nicht um generelle Verbote: "Wir sind gegen Mauern", stellte der Minister klar. Diese seien auch in der Vergangenheit keine guten Lösungen gewesen. Nötig sei es vielmehr, den Wind des digitalen Wandels zu nutzen und dafür die geeigneten Mühlen zu bauen.

Der Präsident Costa Ricas, Carlos Alvarado Quesada, verwies darauf, dass sich das lateinamerikanische Land ebenfalls die Chancen der Digitalisierung zunutze machen wolle. So habe man etwa mit einem "Digital Medical Record System" (Edus) eine elektronische Patientenakte eingeführt und so Gesundheitsinformationen über die gesamte Bevölkerung gesammelt. Es handle sich um ein öffentliches Werkzeug, sodass Firmen aus Costa Rica mit den damit ermöglichten Datenanalysen "weltweite Lösungen" anbieten könnten. Der Schutz sensibler personenbezogener Informationen müsse dabei aber gewahrt werden.

Vor allem dank des Wasserkraft nutzenden "Hydroelectrical Reventazon"-Projekts ist es dem Land laut Quesada zudem gelungen, den eigenen Strombedarf zu 99 Prozent aus erneuerbaren Energien zu decken. Damit sei es auch möglich, "grünen Wasserstoff" zu produzieren. Parallel bestehe aber eine "große Ungleichheit" zwischen verschiedenen Bevölkerungsteilen. Der eine erkenne, dass der Klimawandel "eine Bedrohung für alle ist". Für andere Costa Ricaner sei diese Gefahr dagegen nicht greifbar; sie hätten etwa mit Arbeitslosigkeit und wenig Möglichkeiten für Schulbesuche zu kämpfen.

International plädierte der Staatschef dafür, Budgets vor allem aus dem Militärsektor umzuschichten in Qualifikation und neue Technologien: "Wir haben vor 70 Jahren unsere Armee abgeschafft und nutzen das Geld für Bildung." KI, Blockchain und Big Data könnten helfen, eine inklusivere Gesellschaft zu schaffen und den Klimawandel zu bekämpfen. Dies stelle eine Schlüsselfrage gegenwärtiger Demokratien dar.

"Wir müssen erst mal verstehen, dass wir in einer digitalen Gesellschaft leben", warb re:publica-Mitgründer Andreas Gebhard für Aufklärung. Kein guter Ansatz sei es dann, einfach die Strategie großer digitaler Konzerne zu übernehmen, da Europa dieses Wettrennen eh nicht gewinnen könne. Nötig seien offene Plattformen, um die Digitalisierung menschlich zu gestalten und die Meinungsmacht nicht einzelnen Hasspredigern auf Twitter zu überlassen. Eine wichtige Rolle dabei spielten freie Software und Open Source, die nicht einzelnen Firmen gehörten. (mho)