Männer weich wie Stahl: Von Gendered Technology und Normkörpern

Smartphones sehen wie Smartphones aus, weil Männer sie designt haben. Und das Schmieden haben sie auch erfunden. Oder war es doch anders?

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Smartphone

(Bild: TU Braunschweig)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske

Das Smartphone, das Prof. Dr. Sigrid Schmitz während ihres Gastvortrags beim Kick-Off Meeting des Promotionskollegs KoMMa.G (Konfigurationen von Mensch, Maschine und Geschlecht) in Braunschweig in die Hand nahm, sah zunächst einmal unverdächtig aus: ein schwarz glänzender, flacher Quader mit abgerundeten Ecken, wie diese Dinger halt heute gestaltet sind. Inwieweit dieses Gerät wohl geschlechtlich geformt sei, fragte die Biologin, die derzeit an Philosophischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin lehrt, ihre Zuhörer und gab gleich darauf selbst die Antwort: Es passt perfekt in die Brusttaschen von Männerjacketts. Frauen haben es dagegen etwas schwerer, dafür einen passenden Platz zu finden.

Schmitz musste freilich eine Weile suchen, bis sie im Publikum jemanden mit Jackett fand. Das widerlegt jedoch nicht unbedingt ihre These von der „gendered technology“. Zum Einen kommt so ein Hightech-Schmuckstück in der Anzugjacke ästhetisch einfach besser zur Geltung als im Kuddelmuddel einer Frauenhandtasche. Zum Anderen geht es in der feministischen Forschung und in Gender Studies ja gerade darum, die binären und häufig stereotypischen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit in Frage zu stellen und Ideen von Diversität und Vielfalt dagegen zu setzen. Ein Ziel dabei ist es, die soziale Konstruktion von Technologie zu verstehen, die „co-construction of gender and technology“, wie Schmitz unter Berufung auf Wendy Faulkner zitierte.

Indiz für Gendered Technology: Smartphones passen gut in Hemd- oder Anzugtaschen von Männern und sind deshalb flache, schwarze Quader mit gerundeten Ecken.

Jennifer Müller, die in ihrer Dissertation Planungsprozesse im Stahlbau untersuchen will, wollte denn auch auf den Gender-Begriff lieber ganz verzichten und ihn gleich durch Diversität ersetzen. Schließlich sind bei großen Bauprojekten stets eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Akteure beteiligt, deren Kommunikation untereinander nicht leicht zu organisieren ist. Der Geschlechtsunterschied ist dabei nur eine, wenn auch zentrale, Verschiedenheit unter vielen.

Mit dem Werkstoff Stahl und seiner geschlechtlichen Konfiguration beschäftigt sich auch Jan Büssers. Die naheliegende Vermutung, dass dieses Material männlich besetzt sei, zog Büssers mit Verweisen auf Mythologie und Literatur in Zweifel: Hephaistos, der Gott der Schmiedekunst, habe dieses Handwerk von Nymphen erlernt, denen er im Austausch dafür Schmuckstücke herstellen sollte.

In einem Gedicht Goethes über Prometheus heißt es zwar, er sei „zum Manne geschmiedet“ worden. Doch in „Romeo und Julia“ lässt Shakespeare Romeo erklären, dass Julia sein „stählernes Herz“ erweicht hat und ihn hat weiblicher werden lassen. Stahl könne eben beides sein, so Büssers: im kalten Zustand hart, aber weich, wenn er erhitzt wird. Auf diese Doppelnatur habe auch der islamische Gelehrte al-Biruni schon im 11. Jahrhundert hingewiesen. Auch der Koran erkläre in der Sure 57:25 über das Eisen, dass dessen Kraft zum Schaden und Nutzen des Menschen eingesetzt werden könne. Dieser Aspekt des „dual use“ begleite den Stahl bis heute.

Eine Technologie, bei der überraschend wenig über geschlechtliche Aspekte gesprochen wird, obwohl sie unmittelbar mit dem menschlichen Körper verbunden ist, sind Prothesen. Der Boom dieser Technologie setzte nach dem Ersten Weltkrieg ein, erklärte Myriam Raboldt, die ihre Dissertation zu diesem Thema verfassen will. Damals sei es zunächst darum gegangen, die Arbeitsfähigkeit verletzter und verstümmelter Männer wiederherzustellen, damit zugleich aber wohl auch deren Männlichkeit. Das habe durchaus auch Genitalverletzungen betroffen.

Neben dinglich-apparathaften Implantaten zählen für Raboldt zum Themenfeld der Prothesen auch chemische Eingriffe wie Hormontherapien oder Medikamente wie Viagra sowie Organtransplantationen und Gewebezüchtungen. Es ist offensichtlich, dass hier Vorstellungen von Männlichkeit und Sexualität einfließen. Sie würden aber kaum reflektiert, so Raboldt. Der Männerkörper gelte in der Medizin als „quasi geschlechtsloser Normkörper“, zitierte sie Torsten Wöllmann und beklagte, dass die medizinisch-technischen Möglichkeiten bislang nur zur Reproduktion hegemonialer Geschlechtskörpernormen genutzt würden, statt zu deren Unterwanderung und Auflösung.

Genau das ist aber ein zentrales Anliegen feministischer Wissenschaft. Wer mit deren Vokabular und Methodik nicht vertraut ist, hatte bei einigen Vorträgen des zweitägigen Kolloquiums gewiss Mühe, den Gedankengängen zu folgen. Eine Botschaft jedoch dürfte bei allen hängengeblieben sein. Sigrid Schmitz formulierte sie am Ende ihres Vortrags unter Berufung auf Karen Barad klar und unmissverständlich: It could be otherwise. Frei übersetzt: Es geht auch anders. (ea)