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Mainframes? Nicht wegzudenken für den Erhalt unserer Infrastruktur

Berthold Wesseler

Legacy ist nur der Ruf: In der ersten Folge der Mainframe-Interviews wirft Christian Daser von IBM einen genauen Blick auf die Zukunft des Großrechners.

In der ersten Folge der iX-Interviews rund um den Mainframe sprechen wir mit Christian Daser – denn wenn jemand weiß, wie im Mainframe-Geschäft der Hase läuft, dann er: Seit November 2021 verantwortet er als zStack-Leader DACH unter anderem Vertrieb und Service für die Z-Hardware und -Software in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Die Mainframe-Interviews, Folge 1: IBM

Im iX-Interview erklärt Christian Daser die IBM-Sicht auf den Mainframe. Als zStack-Leader DACH beschäftigt er sich – ganz konträr zum Ruf – vor allem mit aktuellen Themen: Linux, Docker, OpenShift, KI und Cloud-Integration klingen so gar nicht nach Legacy-Geschäft.

Christian Daser arbeitet seit über 20 Jahren beim Mainframe-Erfinder und hatte diverse technische, vertriebliche sowie managementorientierte Rollen im Bereich IBM Z inne. In seiner Rolle im technischen Vertrieb durfte er diverse Kunden zu Projekten im Umfeld Datenbanken und Transaktionssysteme beraten. Dabei legte er immer einen Fokus auf die Modernisierung von Bestandssystemen und die Integration des Mainframe in heterogene Architekturen.

Herr Daser, Mainframes gelten als die „Oldtimer“ unter den Computersystemen. Zu Recht?

IBM-Mainframes sind seit Jahrzehnten die Backbones der IT zahlreicher Unternehmen. Sie leisten ihre Dienste mit größter Zuverlässigkeit, Performance und Sicherheit. Darüber hinaus hat sich IBM Z immer wieder erneuert und bietet heute – neben den lange etablierten Möglichkeiten – modernste Technologien wie Linux, Containerisierung über Red Hat Openshift, Programmiersprachen wie Java, Python, .NET und moderne Dev-Ops-Prozesse und API-Enablement. Wir haben für IBM Z eine langfristige Roadmap und wollen weiter die IT-Industrie mit innovativen Erweiterungen prägen.

Woher rührt dann dieses Vorurteil?

IBM Z stellt in der Regel die Grundlage für äußerst kritische Anwendungen dar und ist nicht wegzudenken für den Erhalt unserer Infrastruktur in Deutschland, Europa und der ganzen Welt. Der Betrieb wird von relativ kleinen Teams mit tiefem dedizierten Skill sichergestellt. Im Vergleich zu anderen Plattformen wird sicherlich weniger über Mainframe-Projekte in der Öffentlichkeit diskutiert und es gibt weniger Aufmerksamkeit im Marketing oder bei der Lehre.

Solche Vorurteile entstehen vermutlich, weil viele Personen gar nicht wissen, dass sie regelmäßig mit IBM Z arbeiten. Wer denkt schon an Mainframes, wenn er gerade seine Tankfüllung per Kreditkarte bezahlt, eine Online-Überweisung tätigt, im Supermarkt einkauft, seine Versicherungspolice ändert oder ein neues Auto bestellt?

Wo überall kommt man denn hinter den Kulissen mit Mainframes in Berührung?

IBM Z ist aufgrund der Stärken bei der Transaktionsverarbeitung, Ausfallsicherheit und Security/Regulatorik weit verbreitet im Finanzsektor bei Banken, Versicherungen oder Börsen. Auch in der öffentlichen Verwaltung kommen in vielen Fällen Großrechner zum Einsatz. Des Weiteren setzen große Industrieunternehmen in der Automobil-, Luftverkehrs- oder Transportbranche aufgrund der Ausfallsicherheit und Zuverlässigkeit auf Mainframes.

Diese Unternehmen schätzen auch die einzigartigen Möglichkeiten der Auf- und Abwärtskompatibilität. Auch im Umfeld Retail und Logistik setzen viele Unternehmen auf IBM Z. Während der Corona-Pandemie haben diese Unternehmen die Stärken des Mainframes erneut zu schätzen gelernt.

Zum Beispiel gab es bei diversen Banken erhöhte Workload durch Anfragen nach Krediten oder Stundungen – und in Retail gab es bei unseren Kunden mit Onlinehandel hohen Bedarf an IT-Kapazität. Solche Kapazitätssprünge konnten mit IBM Z agil beantwortet werden; auch die aktuellen Engpässe bezüglich IT-Komponenten treffen IBM-Z-Kunden deutlich reduzierter.

Wie viele Mainframe-Kunden hat die IBM – und wie entwickelt sich dieser Markt?

Die Stärken des IBM-Mainframe liegen im effizienten Betrieb sowie der ausgeprägten Möglichkeiten zur Ressourcen-Steuerung und -Kontrolle einzelner Anwendungen. Daher sehen wir im Markt in den letzten Jahren eine Konsolidierung von Z-Kunden, um Synergieeffekte im gemeinsamen Betrieb zu gewinnen.

Im deutschsprachigen Raum sehen wir auch viel Aktivität seitens der Service-Provider, die sich auf IBM Z spezialisiert haben. Die Nachfrage nach Mainframe-Prozessorleistung steigt stetig; die installierte Hardware-Kapazität wächst kontinuierlich, da die Kunden ihre Anwendungen weiterentwickeln oder modernisieren, um Mainframe-Services in einer Hybrid-Cloud-Architektur einzubinden.

Auch wenn bei Unternehmen neue Anwendungen im Public-Cloud-Umfeld entstehen, werden weiterhin die Kernprozesse auf IBM Z angebunden. Daher entstehen immer weitere Use-Cases und Einsatzzwecke.

Wie begegnet IBM dem schwelenden Problem „Fachkräftemangel“ für Spezialthemen wie CICS oder COBOL?

Durch ein breites Schulungskonzept, das wir gemeinsam mit Schulungspartnern anbieten. Hierzu gehören etwa Ingram Micro, Lernquest, Tech Data, Arrow und Global Knowledge, die offizielle IBM-Schulungen zu diesen Themen anbieten. Darüber hinaus bieten freie Schulungsanbieter wie die European Mainframe Academy, Interskill und Victory ganze Ausbildungszüge an, in denen man sich parallel zum Job ausbilden lassen kann. Und last but not least arbeiten wir im Rahmen der Academic-Initiative mit vielen Hochschulen zusammen, an denen Vorlesungen zu IBM Z gehalten werden.

Das Angebot ist vielfältig, aber es liegt auch in der Hand unserer Kunden, bewusst in den Skill-Aufbau zu investieren und Entwicklungsmöglichkeiten anzubieten. Wir sehen, dass die Kunden, die dies gezielt tun, sehr erfolgreich damit sind und sich so eine langfristige Perspektive für IBM Z schaffen.

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Gibt es Neukunden? Falls ja, können Sie Referenzen nennen?

Neukunden für IBM Z sehen wir im Umfeld Linux On Z / Linux One sowie in unserer eigenen Cloud. Wer in der IBM Public Cloud sicherheitsrelevante Services nutzt – Stichwort Hyper Protect – landet automatisch auf einer IBM-Z-Infrastruktur.

Vor allem im Finanzsektor wählen Neukunden zum Beispiel im Bereich „Digital Assets“ die IBM-Z- oder Linux-One-Technologie. Beispiele im deutschsprachigen Raum sind Metaco und DIA (IBM Cloud) oder Phoenix Systems (On-Premises).

Durch das Thema Nachhaltigkeit sehen wir auch vermehrt Interesse an Serverkonsolidierung auf Linux One. Viele Unternehmen müssen aufgrund neuer Verordnungen den Energieverbrauch beziehungsweise CO₂-Footprint senken, was mit unserer Technologie durch Konsolidierung diverser x86-Server möglich ist.

Seit 2019 vermarktet IBM die Mainframes der Baureihe z15. Können Sie uns hier einige technische Eckdaten nennen, gerne im Vergleich handelsüblichen Linux- und/oder Windows-Servern?

Die z15 bietet bis zu 190 Cores mit 5,2 GHz Taktrate, die für Kundenanwendungen genutzt werden können. Zusätzlich stehen weitere Prozessoren für I/O, interne Virtualisierung und Reservezwecke zur Verfügung. Im Gegensatz zu anderen Servern haben IBM-Z-Systeme [2] eine vierstufige Cache-Hierarchie, dank der sich viele Daten über Core-Grenzen hinweg effizient teilen lassen.

Ein System kann bis zu 40 TByte Hauptspeicher nutzen. Durch den Einsatz logischer Partitionen – kurz LPARs – können mehrere Instanzen verschiedener Betriebssysteme effizient auf einem physikalischen System laufen. Die EAL-5-Zertifizierung bescheinigt dabei den gleichen Sicherheits-Level wie bei Verwendung separater physikalischer Systeme.

Die Plattform kann bis zu 1 Billionen sicherer Webzugriffe an einem Tag bedienen. Zudem ist das redundante Design von IBM Z auf höchste Ausfallsicherheit ausgelegt und kann damit die meisten Fehlersituationen ausgleichen.

Telum, die nächste Generation des Mainframe-Prozessors, wurde im August vorgestellt. Was sind die wichtigsten Neuerungen?

Die nächste Generation [3] hat große Redesigns erfahren, wie zum Beispiel die Einführung der 7nm-Technologie bei den Chipstrukturen und eine neue virtuelle Cache-Hierarchie. Vor allem von dem jetzt eingebauten Accelerator für KI erhoffen wir uns große Vorteile und neue Use-Cases für unsere Kunden. Diese Hardware-basierte Beschleunigung erlaubt es, AI-Inferencing in laufende Business-Transaktionen zu bringen, ohne dass es zu Perfomance-Einbußen bei der Transaktionsverarbeitung kommt. Die weiteren Neuerungen sind am besten in folgendem Video zusammengefasst.

Im August zeigte IBM seinen neuen KI-Prozessor, genannt Telum, für die nächste Mainframe-Generation.

(Bild: IBM)

Früher liefen Mainframes ausschließlich unter proprietären Betriebssysteme mit Sprachen wie COBOL, PL/1 & Co. Heute sind sie mit dem Betriebssystem Linux und modernen Programmiersprachen wie Python, Java/JavaScript und C++ zu betreiben. Nutzen die Kunden diese Option aus Ihrer Sicht ausreichend? Was tut IBM, um hier die Akzeptanz zu fördern?

Wir haben ein großes Interesse daran, dass Kunden ihre Anwendungen kontinuierlich modernisieren und neue Technologien und Programmiersprachen einsetzen. Dies gilt sowohl für das Betriebssystem z/OS als auch für VSE oder Linux. Nur durch Innovationen ist gewährleistet, dass es ausreichend IT-Experten gibt und die Verfahren auf lange Zeit nutzbar, wartbar und effizient erweiterbar bleiben.

Es gibt wie immer einige Kunden, die hier mit gutem Beispiel vorangehen, die für sich selbst eine wirkliche Mainframe-Strategie definiert haben und ihre Belegschaft auf diese Reise mitnehmen. Leider ist dies nicht überall der Fall. Daher versuchen wir diese Optionen gemeinsam mit den Kunden, den Z-Partnern und dem ganzen Ecosystem zu stärken. Mit diversen Veranstaltungen und Serviceangeboten legen wir und unsere Partner daher einen großen Fokus auf die Modernisierung von Mainframe-Anwendungen.

Die „Mehrsprachigkeit“ ermöglicht es Mainframe-Kunden theoretisch auch Tools zu nutzen, die ursprünglich für die x86-Serverwelt entwickelt wurden. Klappt das auch in der Praxis? Wie viel Mainframe-Know-how benötigen die Linux- bzw. Windows-Experten dafür?

Die Nutzung von Software, die nicht originär für die Z-Plattform geschrieben wurde, ist seit vielen Jahren bewährte Praxis. Dies gilt sowohl für Java-Workloads, die architekturbedingt in der JVM laufen, als auch für Software in anderen Programmiersprachen, die für Z kompiliert wurden. Dies gilt nicht nur für Linux auf IBM Z, sondern auch für z/OS-Applikationen.

Mit z/OS 2.4 können auch Docker-Container nativ unter z/OS betrieben werden. Ein weiteres Beispiel ist die neue Unterstützung von .NET-Applikationen unter Linux auf IBM Z. Viele Kunden profitieren von diesen Möglichkeiten schon heute. Immer mehr Kunden betrachten die Plattform nicht mehr als eine abgeschlossene Einheit, sondern lassen die Welten zusammenwachsen.

Wenn wir in die Glaskugel schauen: Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft des Mainframe aus? Welche Stärken werden ausgebaut – und welche Schwächen will IBM verschwinden lassen?

Wir wollen die Z-Umgebung bei unseren Kunden weiter in Richtung einer Hybrid-Cloud-Architektur entwickeln. Das bedeutet, dass wir die Nutzung etablierter Z-Services und den Zugriff auf die Daten in Db2 und IMS weiter vereinfachen werden, ohne auf die bewährten Stärken von Hochverfügbarkeit, Performance und Sicherheit zu verzichten.

So wird es beispielsweise mit noch weniger Aufwand möglich sein, containerisierte Anwendungen näher an die Z-Daten zu bringen, zum Beispiel mittels OpenShift on Z oder mit den z/OS Container Extensions. Ebenso sollen aber auch Anwendungen aus Public Cloud unterschiedlichster Provider einfacher mit Z-Daten arbeiten können, ohne dass die Nutzer tiefen Z-Skill benötigen.

Um auf Ihre erste Frage zurückzukommen: Damit wir auch nach weiteren 25 Jahren IBM Z nicht als einen Oldtimer ansehen, müssen wir als Z Community weiter daran arbeiten, die Skills bei unseren Kunden und Partnern zu halten und weiter auszubauen. Wir werden als Hersteller die Administratoren und Entwickler mit neuen Tools und Werkzeugen ausstatten, um den Betrieb weiter zu vereinfachen – vor allem für neue Mitarbeitende und Nutzer.

Mein Appell an alle Anwendungsentwickler und -verantwortliche: Gehen Sie die Modernisierung der Mainframe-Anwendungen zeitnah und kontinuierlich an! Nur so schaffen Sie eine zukunftsfähige Basis und schützen Ihre jahrzehntelangen Investments. Gerne unterstützen wir Sie gemeinsam mit unseren Partnern und dem ganzen Ecosystem bei solchen Projekten.

Herr Daser, vielen Dank für das Interview.

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(fo [5])


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