Erneuerbare allein reichen nicht für stabiles Stromsystem, sagt McKinsey

Durch den Ausstieg aus Atomkraft und fossilen Energien könne in den nächsten Jahren zu Spitzenlastzeiten der Strom nicht ausreichen, meinen Unternehmensberater.

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Umspannwerk in Bremen

(Bild: heise online / anw)

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Die Unternehmensberatung McKinsey warnt davor, dass in Deutschland in den nächsten Jahren der verfügbare Strom nicht ausreichen könnte. Die Leistung zu Spitzenlastzeiten sinke durch den Plan, aus der Atomkraft und aus allen fossilen Energien auszusteigen, von heute 99 GW auf 90 GW im Jahr 2030. Derweil werde die Spitzenlast bis 2030 auf bis zu 120 GW ansteigen, es könne eine Stromlücke von 30 GW auftreten, prognostiziert McKinsey.

Die Erneuerbaren Energien auszubauen reiche allein nicht, um die Spitzenlasten meistern zu können. Es müssten zusätzlich neue Gaskraftwerke gebaut werden, auch müsse erwogen werden, Kohlekraftwerke vorübergehend weiter zu betreiben, heißt es in einer Mitteilung zum Energiewende-Index, den McKinsey halbjährlich erstellt. Auf der Nachfrageseite müsste stärker interveniert werden, um das System zu stabilisieren. Damit meinen die Unternehmensberater Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten für die Industrie und Smart Meter für Privatverbraucher.

In Sachen sichere Stromversorgung sei Deutschland lange Zeit Spitzenreiter gewesen. 2020 mussten hiesige Verbraucher im Schnitt für etwa 15 Minuten mit Stromausfällen rechnen, schreibt McKinsey. Frankreich kam im gleichen Zeitraum auf 21 Minuten, Österreich auf 38 und Bulgarien auf 370 Minuten. Diese gesicherte Leistung, die im Jahr 2010 etwa 105 GW betragen habe, werde nach den Ausstiegsplänen für Atomkraft und Kohle bis 2030 auf 70 GW sinken. Die zusätzliche Kapazität aus Erneuerbaren Energien reiche im Jahr 2030 in Spitzenlastzeiten für 90 GW, falls die ambitionierten Ziele der Bundesregierung erreicht würden.

Daher werde die Wahrscheinlichkeit größer, dass Deutschland Strom importieren müsse. Da aber voraussichtlich auch die Nachbarländer steigende Strombedarfsspitzen haben würden, könnten künftig Importe von etwa 10 GW verfügbar sein. In ebenso großem Umgang sollen laut Netzentwicklungsplan bis 2030 Batteriespeicher für 10 GW installiert sein.

Wenn zudem wie von der Bundesnetzagentur veranschlagt bis 2030 rund 21 GW neue erdgasbetriebene Kraftwerke ans Netz gingen, wäre die berechnete Versorgungslücke geschlossen. Allerdings könnten bis 2025 höchstens die bereits geplanten und im Bau befindlichen 3 GW zur Verfügung stehen, meint McKinsey. Angesichts der langen Planungs-, Genehmigungs- und Bauzeiten sei es mehr als fraglich, ob bis 2030 weitere 18 GW neue Kapazitäten bereitgestellt werden können.

Die dazu nötigen Investitionen seien mit Unsicherheiten verbunden, weil unklar sei, wie lange die Gaskraftwerke laufen und wie günstiger Wasserstoff beschafft werden kann, falls auf Wasserstoff umgestellt werden soll. Deshalb hat McKinsey weitere Gaskraftwerke über die angenommenen 3 GW hinaus in dem berechneten Potenzial nicht berücksichtigt. Auch beziehen die Unternehmensberater nicht die Möglichkeit ein, Kohlekraftwerke länger laufen zu lassen, da dies politisch unwahrscheinlich erscheine. Die für 2030 prognostizierte Stromlücke betrage damit weiter 10 GW.

Die breitflächige Nutzung von Smart Metern in Privathaushalten könnte es ermöglichen, den Stromverbrauch intelligent zu steuern. Auch würden die Haushalte von günstigerem Strom profitieren, beispielsweise wenn sie Elektrogeräte in Zeiten geringer Nachfrage nutzen. Hier sowie mit den abschaltbaren Lasten für die Industrie sieht McKinsey ein Potenzial von 8 GW, wobei die Unternehmensberater potenzielle Beiträge aus Elektromobilität und Wärmepumpen nicht berücksichtigen.

Bei Elektroautos biete es sich an, diese zu laden, wenn relativ mehr Strom bereitstehe. Wäre darüber hinaus bidirektionales Laden flächendeckend möglich, würde sich das Potenzial weiter erhöhen. Das könnten allerdings momentan nur wenige Autos, bis 2030 könnten es etwa ein Viertel der Fahrzeuge sein, die regelmäßig Strom einspeisen könnten. Die Spitzenlast würde dadurch um rund 3 GW reduziert.

Bei Wärmepumpen bestehe die Möglichkeit der Abschaltung in Zeiten von Lastspitzen, allerdings laut Gesetz für höchstens zwei Stunden und auch nur dann, wenn der Strom über einen günstigen Wärmepumpentarif bezogen wird. Der Tarif werde für rund 60 Prozent der installierten Wärmepumpen genutzt. Würden diese bei einem akuten Engpass alle abgeschaltet, ließe sich die Spitzenlast um rund 20 GW senken. "Dies dürfte in der Praxis allerdings wenig wahrscheinlich sein; vielmehr gehen wir von einer Abschaltung im Rotationsprinzip aus. Damit würde die Spitzenlast um rund 5 GW gesenkt", folgert McKinsey.

Die deutsche Legislative arbeitet momentan an einem "Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende", damit mehr Smart Meter eingesetzt werden. Dazu hatte die Bundesregierung einen Entwurf vorgelegt, in dem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck einen "wichtigen Baustein der Energiewende" sieht. Weiter verfolgt die Bundesregierung den Plan, dass Strom dynamisch rationiert werden könnte, dafür kommen "intelligente Verbraucher" wie Elektroautos oder Wärmepumpen in Frage. Dagegen wird Widerstand laut. RWE-Vorstandvorsitzender Markus Krebbe warnte vor Kurzem davor, die Zivilisation könne Schaden nehmen, wenn die Nutzung der Energie aus Öl, Gas und Kohle heute eingestellt würde.

(anw)