Medica: Medizin macht mobil
Auf der Medizinmesse Medica hat sich ein klarer Trend abgezeichnet: Die personalisierte Diagnostik wandert aufs Smartphone; iPad und Tablet-PC ersetzen Arztkladde und Stethoskop als Insignien auf der Visite.
Heute ist der letzte Tag der weltgrößten Medizinmesse Medica 2011 in Düsseldorf, auf der viele Anwendungen für Smartphones und Tablets gezeigt werden. So genügt ein kleines Stück Software und schon hilft das Smartphone die Gesundheit seines Trägers zu kontrollieren. Blutdruck, Blutzucker und Temperatur werden gemessen und verschickt, je nach Voreinstellung zum iPad oder gleich zum Arzt-Tablet. Ganz plastisch zeigte dies der Gerätehersteller Beurer: Einer seiner Blutzucker-Messgeräte besitzt eine Apfeltaste für den Versand der Messwerte. Die Deutsche Telekom zeigte gleich eine ganze Palette von Zusatzgeräten für das iPhone an, die im Zusammenspiel mit den entsprechenden Apps die Kontrolle von Temperatur oder Blutzucker erleichtern.
Nach eHealth machte das neue Schlagwort der "stealth Health" oder sHealth die Runde durch die Messehallen. Gemeint ist ein begleitendes Monitoring, das niemanden groß aufstößt. Dass dabei die verschiedenen Geräte untereinander kommunizieren können, ist Sache der Continua Health Alliance, einer Brüsseler Industrielobby, die sich in Düsseldorf für das "Ökosystem der personalisierten Medizin" stark machte.
Mobil werden auch die Krankenhaus-Informationssysteme (KIS), in denen das iPad die Arztkladde ersetzt und Laborbefunde dynamisch auf ein iPad oder einen Tablet-PC eingespielt werden. Eine vom Fraunhofer IBMT entwickelte App spielt DICOM-Bildaten aus der Ultraschalluntersuchung so auf ein iPad oder iPhone, dass der Arzt seinen Befund am Bett dem Patienten erläutern kann. Die eigentliche Befundung soll nach wie vor nur an eigens dafür zugelassenen Geräten erfolgen. Dies gilt auch für CT-, MRT- und PET-Daten. Bei der Deutschen Telekom heißt das vergleichbare System CheckPad Med, das in Zusammenarbeit mit dem Healtcare-Spezialisten Lohmann & Birkner entwickelt wurde. Besonders angetan sollen Ärzte von dem Zusammenspiel von CheckPad Med und iPad2 sein, dass es gestattet, etwa die Wundbehandlung eines Patienten zu fotografieren und zur Dokumentation in eine Fallakte zu kopieren. Ein ähnliches System bietet auch Siemens unter dem Namen Syngo.via an.
Abseits der Diskussion um die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte gab es in Düsseldorf wenig zu den Angeboten zu sehen, mit denen der Bürger seine Karte nutzen kann. NCR zeigte den Patientenkiosk, der in 160 AOK-Geschäftsstellen derzeit vor allem zur automatischen Foto-Übermittlung für die neue Karte genutzt wird. Über 200.000 Fotos sollen über diese Selbstbedienungsterminals abgesetzt worden sein. Atos Worldline zeigte das Zusammenspiel von Patientenkiosk und neuem Personalausweis im Rahmen von Pay4Med: Der Versicherte meldet sich zu Hause am Computer mit dem Personalausweis und Lesegerät für den Zahlungsservice an und bekommt eine ID, die er dem Arzt gibt, damit der Patientengebühr und andere Zahlungen mit seiner eigenen ID durchführen kann. Die Plattform sichert die Transaktion nach beiden Seiten ab: Der Arzt erfährt keine Bankdaten, die Bank sieht nicht, für welche ärztlichen Leistungen bezahlt wird.
Nach der "Europa 2020"-Strategie der EU sind alle Mitgliedsstaaten verpflichtet, bis 2015 ihren Bürgern sichere Online-Zugänge zu ihren Gesundheitsdaten anzubieten. Bis 2020 sollen alle EU-Bürger telemedizinische Dienstleistungen europaweit in Anspruch nehmen können. Die österreichische Software-Firma Tiani Spirit zeigte eine Life-Demonstration des epSOS-Projektes (European Patients Smart Open Services): Ein behandelnder Arzt in Österreich rief die Patientenakte eines französischen Patienten ab und erhielt über die jeweiligen nationalen Proxy ein mit Hilfe der ICD-Kennziffern automatisch übersetztes Datenblatt mit allen Diagnosen, Allergien und Krankheiten sowie ein signiertes PDF des französischen Originals. Am epSOS-System arbeiten derzeit 700 Programmierer, die sich mit 40 Standards in 23 Staaten beschäftigen müssen. Wesentlich schwieriger als die semantische Interoperabilität gestalten sich dabei die unterschiedlichen (datenschutz-)rechtlichen Vorgaben der EU-Länder. Geht alles nach Plan, soll epSOS etwa im Jahre 2017 in Betrieb genommen werden. (ad)