Microsoft will OpenAI wohl fester binden: Neue Finanzierungsrunde steht bevor

OpenAI soll sich in fortgeschrittenen Verhandlungen mit Microsoft befinden. Offenbar plant der Hauptinvestor, seinen KI-Partner noch exklusiver zu vereinnahmen.

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Schachbrett und Figuren aus Marmor in Ausgangsstellung

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Silke Hahn
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Wie Insider zuerst gegenüber dem Wall Street Journal berichteten und wie vereinzelt auf Twitter zu lesen war, befindet sich Microsoft offenbar in fortgeschrittenen Verhandlungen mit dem US-amerikanischen KI-Unternehmen OpenAI für eine neue Finanzierungsrunde. Microsoft war im Sommer 2019 als Hauptinvestor bei dem damaligen KI-Start-up eingestiegen und hatte sich für eine Milliarde US-Dollar exklusive Rechte am großen KI-Sprachmodell GPT-3 gesichert. Während dessen Vorgänger GPT-2 noch frei zugänglich gewesen war, wurde GPT-3 damals zum Closed-Source-Projekt. Der Quellcode ist für Forschung und Community seither unzugänglich. Microsoft hat seither ein Vorzugsrecht für die kommerzielle Nutzung.

Um welche Summen es bei den laufenden Gesprächen geht, ist noch nicht bekannt, allerdings wird der Marktwert von OpenAI zurzeit auf rund 20 Milliarden US-Dollar, etwa 20,28 Milliarden Euro, geschätzt. Im Verborgenen sollen bereits im vergangenen Jahr Anteile den Eigentümer gewechselt haben, wie das Portal The Information.com berichtet hat (der Artikel liegt hinter einer Bezahlschranke, auf Reddit wird darüber diskutiert). Neben Microsoft sind noch Sequoia Capital, Tiger Global Management, Bedrock Capital und Andreessen Horowitz Anteilseigner bei OpenAI. Gerüchte, dass Microsoft eine Übernahme planen könnte, kursieren seit Ende 2021 (der Link führt zu einem öffentlichen LinkedIn-Beitrag, der die Situation mit jener vor DeepMinds Übernahme durch Google vergleicht).

Offenbar laufen die Verhandlungen bereits seit mehreren Wochen. Vor rund zwei Wochen hatte Microsoft im Rahmen seiner Hausmesse Ignite die Integration des KI-Bildgenerators DALL·E 2 in seine Azure OpenAI-Services bekannt gegeben. Microsoft plant laut Ankündigung, den Bildgenerator auch in die Suchmaschine Bing zu integrieren. Für den Microsoft Designer existiert eine Warteliste, ein Termin für den Rollout ist derweil noch nicht bekannt. Microsoft hatte GPT-3 bereits im November 2021 in Azure eingebaut und mit Unternehmensfunktionen kombiniert.

Für OpenAI erklärte CEO Sam Altman damals, man nutze die Integration in Azure, um das hauseigene KI-Sprachmodell so weit wie möglich zu verbreiten. Offenbar lernen die Modelle weiter durch die Daten, die Nutzer beim Verwenden erzeugen – so äußerte Altman im November 2021, dass seine KI-Modelle "umso leistungsfähiger werden, je mehr Menschen in der Lage sind, sie zu nutzen". Seit dem Einkauf von Microsoft ist die Unternehmenskommunikation des KI-Anbieters etwas kryptischer geworden.

Automatisches Code-Generieren mit KI-Unterstützung durch Power-Apps, die in Richtung Low-Code-Anwendung gehen, stellte Microsoft-CEO Satya Nadella bei der aktuellen Ausgabe der Ignite in Aussicht. Hier zog er auch eine Verbindung zu dem von Microsoft erworbenen Code-Repository-Host GitHub und dem Codeassistenten Copilot. Es geht also nicht bloß um synthetische Heidelbeerkuchenfotos für Herbstköche, wie sie in den Reklamevideos für die DALL·E-Integration zu sehen sind. Das wirkt ein wenig wie Selbstverharmlosung. Eher dürfte es dem Anbieter um AI-as-a-Service gehen, aufbauend auf der eigenen Cloud-Plattform, und um die entsprechenden Marktanteile.

In einem Blogeintrag von Microsoft und OpenAI aus November 2021 erläutern die Partner ihre Strategie. Bereits damals war weniger von AGI, also von allgemeiner Künstlicher Intelligenz, die Rede als in der ursprünglichen Ankündigung zur Milliardeninvestition 2019. Damals stellte OpenAI "Beneficial AGI", also wohltätige starke KI als Ziel in das Schaufenster, um Herausforderungen wie dem Klimawandel zu begegnen, bessere medizinische Versorgung bereitzustellen und Bildung zu personalisieren. Satya Nadella hatte sich in ähnlicher Form geäußert. Die aktuelle Beschränkung der Themen auf kommerzielle Unternehmensanwendungen könnte der Ansprache potenzieller Geschäftskunden geschuldet sein. Microsoft und sein KI-Partner sind – zumindest rhetorisch – etwas abgerückt von Gemeinwohlaspekten.

OpenAI dürfte frisches Geld brauchen, um die Rechenleistung zu finanzieren, die das Training neuer Modelle, aber auch das Bereitstellen seiner KI-Produkte auf Microsofts Cloud-Computing-Dienst erfordert. Bekannt ist, dass OpenAI an einer Nachfolgeversion zu GPT-3 arbeitet. Microsoft dürfte mit der Finanzierungsrunde versuchen, die Position seiner Cloud-Plattform Azure für die nächste Generation von KI-Anwendungen zu festigen und hier den Marktanteil auszubauen und einen Vorsprung gegenüber den Mitbewerbern im Cloud-Geschäft Amazon AWS und der Google Cloud herauszuholen. Durch eine entsprechend große Investition ließe sich verhindern, dass Konkurrenten Geschäftsbeziehungen zu OpenAI anbahnen. Exklusive Rechte zur Nutzung von GPT-4 würden klar im Konzerninteresse liegen.

Altman teilte am 25. Oktober 2022 seinen rund eine Million Followern auf Twitter mit, dass Unternehmen, deren Geschäftsmodell große Sprachmodelle (LLM) umfasse, nun vor großen Herausforderungen stünden, da jederzeit ein noch größeres Modell anderer Anbieter erscheinen und den eigenen Aufwand zunichtemachen könne. In seiner Äußerung nennt er proprietäre Modelle als mögliche Lösung, um dennoch profitabel zu sein und Wert zu schöpfen. Der Tweet könnte als Reaktion auf den Erfolg von Stability AI mit dessen Open-Source-Modell Stable Diffusion aufgefasst werden, aber auch andere Lesarten sind möglich.

Start-ups im KI-Bereich hatten zuletzt hohe Finanzierungsrunden abgeschlossen. So erhielten Stability AI und Jasper AI jeweils über 100 Millionen US-Dollar von Investoren. Das von dem OpenAI-Aussteiger Dario Amodei und seiner Schwester Daniela gegründete Start-up Anthropic AI für KI-Sicherheit in zwei Finanzierungsrunden sogar insgesamt rund 700 Millionen US-Dollar (elf ehemalige OpenAI-Mitarbeiter taten sich für die Gründung zusammen). Wenngleich Anthropic sich in Delaware als "Public Benefit Company" (PBC) hat registrieren lassen, handelt es sich auch hier um ein gewinnorientiertes Unternehmen und keine Rückkehr zu den Non-Profit-Wurzeln von OpenAI vor der de-facto-Übernahme durch Microsoft. In den USA kann sich eine gewinnorientierte Unternehmung PBC nennen, solange sie selbst davon überzeugt ist, etwas zum Gemeinwohl beizutragen. Die Bezeichnung ist dort juristisch anders gefasst als hier.

Aber auch in den USA gibt es große Unterschiede zwischen den Bundesstaaten: In Kalifornien dürfen Unternehmen, die sich als "gemeinnützig" registrieren lassen, keine Gewinnbeteiligungen und Dividenden ausschütten. OpenAI war ursprünglich als gemeinnützige Organisation registriert und wurde 2019 gesplittet. Das Unternehmen ist seither gewinnorientiert, daneben gibt es weiterhin eine gleichnamige Non-Profit-Organisation. Laut damaliger Ankündigung wollte OpenAI die unternehmerischen Gewinne deckeln und Überschuss an seinen Non-Profit-Teil abtreten.

Laut inoffiziellen Angaben erzielt OpenAI zurzeit Gewinn im niedrigen zweistelligen Millionenbereich ("in the low tens of millions of dollars this year"). Damit läge sein auf 20 Milliarden US-Dollar geschätzter Marktwert deutlich über den tatsächlich erwirtschafteten Einnahmen (etwa das 500- bis 800-fache). Jasper AI hingegen, ein Start-up, das sich auf das automatisierte Generieren von Marketingtexten spezialisiert hat und GPT-3 dafür nutzt, hat einen Gewinn von 80 Millionen US-Dollar für das laufende Jahr prognostiziert und erwirtschaftete im Vorjahr 30 Millionen. Im Vergleich dazu wirkt die aktuelle Finanzierungsrunde fast konservativ.

Beobachtern fällt auf, dass Microsoft verglichen mit seinen Mitbewerbern selten im Rampenlicht steht und offenbar generell eine andere Geschäftspraxis verfolgt als beispielsweise Apple. Zum Phänomen des "stillen Monopols" gibt es eine kurze Dokumentation auf YouTube. Für weiteren Aufschluss über die Vorhaben mit OpenAI gilt es, auf den Ausgang der Finanzierungsrunde und die offiziellen Mitteilungen zu warten. Der Bericht im Wall Street Journal ist online abrufbar, liegt jedoch hinter einer Bezahlschranke. Zum Einstieg Microsofts bei OpenAI hatte Heise berichtet, auch über den Erwerb der Sprachlizenz für GPT-3.

(sih)