Microsofts Live-Dienste sind primär Werbeplattformen

Den Schritt zum Office-Paket im Webbrowser wagt Microsoft noch nicht; die Verknüpfung mit dem Internet soll gegen Google und Yahoo punkten. Das Anzeigen-Maklersystem sieht CTO Ray Ozzie als eigentliches Herzstück der Strategie.

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Von
  • Erich Bonnert

Nicht nur, dass bei Microsofts Ankündigung der neuen Online-Softwaredienste Windows Live und Office Live einige Pannen passierten (der Live-Server war just beim ersten öffentlichen Aufruf fast 10 Minuten nicht erreichbar) – die genauen Pläne und Vorhaben sind zudem noch etwas unklar. Ab Dezember (für Windows) und Januar (für Office) können Interessierte mit den Beta-Versionen erste Erfahrungen machen. Anmeldungen werden ab sofort angenommen. Eine Zielgruppe aber haben Bill Gates und Ray Ozzie bei der Pressedemonstration gleich ganz klar definiert: die Werbetreibenden.

Die Bezeichnungen der neuen Angebote sind allerdings etwas irreführend. So handelt es sich bei Windows Live nicht, wie der Name vermuten ließe, um eine "Online-Version des Betriebssystems". Vielmehr ist Windows Live ein neues Online-Portal, das im Prinzip die gleichen Dienste wie die etablierten Microsoft Network (MSN) und Hotmail mit einigen Erweiterungen anbietet, sowie andere bereits vorhandende Microsoft-Services integriert. So liefert Windows Live die bekannten Nachrichten, Wetter- und Börseninformationen, die gefiltert und per RSS abonniert werden können. Neu sind eigens für die Live-Plattform entwickelte Webmail- und Instant-Messaging-Dienste sowie Datei- und Foto-Sharing. Dazu kommen noch ein Online-Virenscanner und automatische Update-Funktionen, wie sie etwa von Watson und Windows Update bekannt sind. All diese Funktionen sollen kostenlos sein und über Werbung finanziert werden. Eine Aufrüstmöglichkeit auf den Sicherheitsdienst Windows Onecare kann gegen Entgelt abonniert werden. MSN und Hotmail existieren aber in der bisherigen Form weiter. Die Hotmail-Anwender sollen mit der Zeit auf den neuen Service migrieren, erklärte Ray Ozzie, der die Federführung des gesamten Live-Projekts inne hat.

Wie Windows Live kann auch der Name Office Live für einige Verwirrung bei den (potenziellen) Interessenten sorgen: Es handelt sich nicht um eine Browser-Version der Office-Produktivitätssuite – ein mögliches Vorhaben von Microsoft, über das die Branche schon lange spekuliert. Der neue Service, mit dem Microsoft die Office-Suite besser für kleinere und mittelständische Unternehmen nutzbar machen möchte, ist vielmehr primär eine Webhosting-Plattform mit Office-Integration und webbasierten Zusatzanwendungen für Kleinunternehmen. Ein eigener Domain-Name, 30 MByte Webspeicher und fünf E-Mail-Konten stehen hier kostenlos zur Verfügung. Microsoft hat einfache Design-Werkzeuge und Templates zur leichteren Gestaltung der eigenen Web-Präsenz eingerichtet. Darüber hinaus stehen aber auch netzbasierte Geschäftsanwendungen zur Verfügung. Dazu gehören betriebliche Alltagsfunktionen wie Mitarbeiter- und Kundendatenverwaltung, Ausgabenverbuchung, Arbeitszeiterfassung und -abrechnung, Erstellung von Verkaufs- und Marketing-Material oder Projektmanagement. Auch eine Funktion zur Zusammenarbeit im Team für das gemeinsame Bearbeiten von Dateien ist vorgesehen, ohne dass wie in Microsofts Produkten für größere Anwender ein eigener Sharepoint-Server vorhanden sein muss. Auch diese Angebote sollen über Anzeigen finanziert werden.

Leistungsfähigere Versionen von Office Live will Microsoft als kostenpflichtige Monatsabonnements oder per Lizenzvertrag anbieten, sagte Bill Gates. Noch mehr aber interessiert die Branchenbeobachter, ob Microsoft auch hochprofitable Programme wie Word, Excel, Powerpoint und Access als Services nutzbar machen will. Bill Gates verneinte dies zwar nicht explizit, ließ aber erkennen, dass dies auf absehbare Zeit wohl nicht geplant sei: "Ein tragfähiges Anzeigenmodell für diese Art Software haben wir bisher noch nicht gesehen", gab Microsofts Chef-Softwarearchitekt zur Antwort.

Immerhin aber scheint Microsoft großen Gefallen an der Online-Werbung zu finden. Rund 10 Prozent des gesamten Web-Anzeigenmarktes (2005: rund 15 Milliarden Dollar) vereinnahmt der Softwareriese für sich, rechnete CTO Ozzie vor. Dieser Einnahmestrom soll in den nächsten vier Jahren nach übereinstimmenden Prognosen großer Finanzinstitute auf über 35 Milliarden ansteigen. Projektionen für das Jahr 2015 reichen sogar bis 150 Milliarden. Microsoft will seine Basis verbreitern, indem auch externe Softwarefirmen die Plattform für ihre Angebote nutzen können. Die vorhandenen Dienste und Inhalte sollen über Programmierschnittstellen zu beliebigen Angeboten gebündelt und kombiniert sowie um eigene Funktionen erweitert werden können.

Doch scheint dieses Potenzial inbesondere im Wettbewerb mit Yahoo und Google noch nicht zu genügen. Denn wenn all diese Dienste – hinzu kommt noch die Online-Spielplattform Xbox Live – im eigenen Haus vorhanden sind, warum würde Microsoft dann noch mit einer Beteiligung an AOL liebäugeln? Offenbar liegt der Reiz der schwächelnden Provider-Portal-Kombination in den multimedialen Inhalten. Denn was wäre besser, um seine Reichweite bei den werbefinanzierten Services mit Endanwendern auszubauen, als Funktion gepaart mit Infotainment anzubieten ... Und über das AdCenter, ein mächtiges Anzeigen-Maklersystem, gewinnt Microsoft in relativ kurzer Zeit empirische Daten über die Software- und Datennutzung der Portal-Anwender. "AdCenter ist das Kernstück unserer gesamten Software-Service-Strategie", betonte Ozzie dann auch, der erst seit März durch die Übernahme seiner Firma Groove Microsoft-Mitarbeiter ist.

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(Erich Bonnert) / (jk)