"Höllenhamsterrad": Neues digitales Krankenaktensystem in Schweden vor dem Aus
Die EinfĂĽhrung eines neuen, stark kritisierten elektronischen Journalsystems von Oracle in zwei schwedischen Gesundheitsbezirken ist krachend gescheitert.

(Bild: lenetstan/Shutterstock.com)
Gerade im Gesundheitswesen gilt Schweden zusammen mit anderen skandinavischen Ländern als Vorzeigeland der Digitalisierung. Die Software-Suite Millennium von Oracle Health sollte in den beiden südschwedischen Gesundheitsbezirken Västra Götalandsregionen und Region Skåne Dutzende unterschiedlicher und veralteter IT-Systeme ersetzen. Dadurch sollte die Arbeit mit Patientendaten effizienter und einfacher werden. Doch nur drei Tage nachdem das neue System Mitte November in Betrieb genommen worden war, musste es wieder gestoppt und auf die alten Systeme zurückgegriffen werden. Grund dafür waren massive und lautstarke Proteste des Personals, das die Sicherheit der Patienten nicht mehr gewährleistet sah.
Eine Ärztin bezeichnete das neue System in der schwedischen Tageszeitung Göteborgsposten als "Hamsterrad der Hölle". In anderen Medienberichten wird das System auch von mehreren Mitarbeitern als verwirrend und altmodisch beschrieben. Da grundlegende Funktionen nicht funktionierten, sahen sich die Mitarbeiter in einigen Abteilungen gezwungen, auf Papier und Stift zurückzugreifen.
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Schlecht kalkulierter Zeitplan und lĂĽckenhafte Vorbereitungen
Eine externe PrĂĽfung durch die WirtschaftsprĂĽfungsgesellschaft KPMG liefert nun weitere Kritikpunkte an der Umsetzung des neuen Systems (PDF). Die umfassende Untersuchung zeigt, dass die Organisation nicht ausreichend auf die EinfĂĽhrung von Millennium vorbereitet war und es an FĂĽhrung mangelte. Nun wollen auch einige politische Vertreter das Projekt, das bisher umgerechnet 500 Millionen Euro verschlungen hat, ganz beenden.
Dieser Meinung sind auch zwanzig Ärzte aus der Region Skåne. In einem offenen Brief forderten sie im Dezember, die für März 2025 geplante Einführung von Millennium in ihrer Region zu stoppen und die Pläne ganz zu verschrotten. Die Einführung wurde nun vorerst bis nach dem Sommer verschoben.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Einführung von Millennium auf Eis liegt. Das System wurde bereits 2018 angeschafft, und die Region Västra Götaland hatte damals das Ziel, es im Frühjahr 2021 einzuführen. Unter anderem hat die Anpassung des umfangreichen Gesundheitsinformationssystems an das Patientendatengesetz Zeit in Anspruch genommen.
"FlĂĽssigen Zement in die Organisation gieĂźen"
Millenniums Grundidee ist es, ein Informationssystem für alles zu sein. Doch genau dieser zentralistische Ansatz ist auch das Problem, meint Johan Magnusson, Professor für Informationssysteme an der Universität Göteborg. In einem Interview mit der schwedischen Tageszeitung Svenska Dagbladet beschreibt er diesen Ansatz als "flüssigen Zement in die Organisation zu gießen".
Auch andernorts wird das System kritisiert. Bereits 2021 hatten mehrere finnische Gesundheitsbezirke die geplante Einführung von Millennium gestoppt, nachdem Hunderte Ärzte heftige Kritik geübt hatten. Millennium sei für amerikanische und nicht für nordische Verhältnisse entwickelt worden, hieß es.
Auch in den USA gab es Probleme mit Millennium. Das United States Department of Veterans Affairs (VA) betreibt sehr große Gesundheitseinrichtungen und setzt die Software seit einigen Jahren ein. In einer großen Untersuchung im September 2024 wurden über einen Zeitraum von 3,5 Jahren 826 Fälle von "schwerwiegenden Leistungsstörungen" bei der Oracle-Software festgestellt. In Interviews beschrieben Mitarbeiter das neue elektronische Patientendatensystem als "Systemschock", der zu vermehrtem Stress und Burn-out bei den Mitarbeitern geführt habe.
Millennium wurde ursprĂĽnglich in den 1990er Jahren von der amerikanischen Firma Cerner entwickelt. Im Jahr 2022 wurde Cerner von Oracle ĂĽbernommen und in Oracle Health umbenannt.
(mch)