Millionenbetrug mit gefaelschten Pentium-Prozessoren

Einen Schaden in Höhe von vermutlich 500 Millionen Mark soll eine international tätige Bande angerichtet haben, die am 26.

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Von
  • Frank Möcke

Einen Schaden in Höhe von vermutlich 500 Millionen Mark soll eine international tätige Bande angerichtet haben, die am 26. November in einer beispiellosen europaweiten Polizeiaktion zerschlagen wurde. Auf einer Pressekonferenz in München nannten die Ermittler zwei Bereiche krimineller Aktivitäten, die der Bande zur Last gelegt werden: Zum einen Steuer-, Zoll- und Geldwäschedelikte, zum anderen die Fälschung von Computer-Komponenten. Beide Bereiche seien "etwa gleichwertig", sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft.

Nach c't-Recherchen war die Bande darauf spezialisiert, Intel-Prozessoren umzuetikettieren. In letzter Zeit handelte es sich vornehmlich um Pentium-133-Prozessoren, die in 166-MHz-Exemplare umgemünzt wurden. Ein Teil der Chips wurde in Europa gekauft und zunächst auf legalem Weg nach Hongkong und Taiwan exportiert; dabei kassierte die Bande eine Mehrwertsteuererstattung. Die Prozessoren wurden in Fernost umgearbeitet und anschließend als Schmuggelgut wieder nach Europa zurückgebracht. Hier wurden sie als angeblich echte 166-MHz-Prozessoren zum Marktpreis verkauft - also etwa 300 DM über ihrem realen Wert.

In der Polizeiaktion unter dem Decknamen "Aktion Goldfisch" hatten Staatsanwälte, Polizei, Zoll- und Steuerbehörden aus zehn Ländern mit rund 2000 Beamten 400 Geschäftsräume und Wohnungen in Deutschland, Süd- und Westeuropa durchsucht. Hierzulande lagen die Schwerpunkte in den Großräumen Essen und Düsseldorf mit etwa 40 und im Großraum München mit rund 30 Durchsuchungen. Zwölf Verdächtige seien festgenommen worden, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Längst nicht alle Aktionen richteten sich gegen Verdächtige, zum Teil habe man auch Geschäftsräume von Zeugen auf richterlichen Beschluß durchsucht, um Aufschluß über die Geschäftsbeziehungen zu gewinnen.

Ein von der Polizeiaktion betroffener Geschäftsführer schildert die Vorgehensweise folgendermaßen:

"Pünktlich am 26. 11. um 9.00 Uhr erscheinen 30 Beamte und besetzen alle Räume und Telefone. Bis 14.00 ruht jeder Geschäftsbetrieb. Fünf Beamte begeben sich zusammen mit einem Mitarbeiter der Firma Intel ins Lager und kratzen - lupenbewaffnet - an den Pentium-Prozessoren herum. Sie haben offensichtlich Mühe, eventuelle Fälschungen auszumachen. Sie schauen sich in einem zweiten Durchlauf auch Festplatten an."

Aufgeflogen ist die Bande durch die Verdachtsanzeige einer Bank nach dem Geldwäschegesetz. Sie betraf einen Mann, der 1993 Opfer eines Raubüberfalls geworden war. Die Ermittlungen führten zu Nachforschungen wegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche, außerdem ergaben sich Anhaltspunkte auf verdächtige Geldtransaktionen des Überfallenen. Bei dem aus Südostasien stammenden Mann soll es sich um den Geschäftsführer der Münchener Suntech GmbH handeln. Gegen ihn und andere ermittelt die Staatsanwaltschaft nun wegen "Urkundenfälschung, Steuerhinterziehung, Betrug u. a.". Seine Firma soll die Fälschungen ausgeliefert haben. Eine vor zwei Monaten in Konkurs gegangene Firma aus dem Großraum Düsseldorf wird gleichfalls verdächtigt. Das Hamburger Abendblatt berichtete unterdessen, auch ein Hamburger Geschäftsmann gehöre dem Führungszirkel der Bande an. Er sei auf der Flucht. Bislang sind gegen 24 Personen internationale Haftbefehle ergangen. Wegen des Charakters und Umfangs der Betrügereien spricht die Staatsanwaltschaft von "organisierter Kriminalität".

Die Firma des Münchener Hauptverdächtigen wurde 1992 gegründet. Die jetzt laufenden Ermittlungen betreffen einen Zeitraum von mehreren Jahren und erstrecken sich damit offensichtlich auch auf die früheren Fälle von Prozessor- und Chip-Betrug, die c't in mehreren Artikeln seit Mai 1994 aufgedeckt hat: darunter das Umetikettieren von Cyrix- und AMD-Prozessoren in teurere Intel-CPUs, den Betrug mit leeren Cache-RAMs und immer wieder das "Aufwerten" von Intel-Chips durch "Remarking" mit den Kennzeichen der nächsthöheren Taktfrequenzklasse.

Die Fälscher bedienen sich dazu ähnlicher industrieller Produktionsmittel, wie sie auch der Hersteller benutzt. Die falschen Prozessoren sind auch für den Fachmann kaum als solche zu identifizieren. Mit folgendem Verfahren läßt sich ein Pentium-133 optisch in einen Pentium-166 verwandeln: Von der Oberseite des Keramikkörpers werden etwa 0,2mm abgeschliffen, damit die Originalbeschriftung verschwindet. Anschließend druckt man den Schriftzug "Intel Pentium" in weißer Farbe auf und versieht den Chip mit Hilfe eines Lasers mit der für einen Pentium-166 typischen Beschriftung. Die Prozessorunterseite wird entweder mit schwarzer Farbe überstrichen oder poliert und neu beschriftet.

Wenn es überhaupt möglich ist, einen gefälschten Prozessor durch Augenschein zu erkennen, dann am ehesten anhang kleiner Details: Beim Original sind die Kanten an der Ober- und der Unterseite mit etwa gleich breiten Abschrägungen versehen. Beim Abschleifen des Chips wird die Schräge an der Oberseite schmaler, was sich mit geübtem Auge erkennen läßt. Ein anderes Indiz ist eine ungleichmäßige Abschrägung, die durch ungenaues Ausrichten des Chips vor dem Abschleifen entstehen kann. Bei den gefälschten P-166 der letzten Welle läßt sich außerdem die scharze Farbe an der Unterseite relativ leicht abkratzen.

Seit Mai 1994 hat c´t den Chip-Hersteller Intel immer wieder dazu aufgefordert, Kunden und Händler endlich durch eine per Software lesbare Kennung vor solchen Betrügereien zu schützen. Diese wäre mit geringem Aufwand zu realisieren und praktisch fälschungssicher. Intel lehnte die Forderung mit der Begründung ab, die Umstellung der Produktion würde mehrere Millionen Dollar kosten. Intels Nettogewinn pro Quartal liegt regelmäßig über 1 Milliarde Dollar.

Erst unter dem Druck der negativen Schlagzeilen über eine Welle von gefälschten Pentium-90-CPUs kündigte Intel im Sommer 1995 einen elektrischen Übertaktungsschutz an. Diese Maßnahme wendete der Chipgigant aber nur so lange an, bis sich die Aufregung um den Skandal gelegt hatte. Beim Pentium-133, der Kriminellen wiederum ideales Ausgangsmaterial bietet, war für Manipulationen erneut Tür und Tor geöffnet. (fm)