Missing Link: Papierlos in Berlin

Als erste überregionale deutsche Zeitung stellt die taz im Herbst 2025 werktags ihre Printausgabe ein. Das weckt auch besondere Erinnerungen an die taz-Domain.

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(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Detlef Borchers

Am 17. Oktober 2025 wird die letzte auf Papier gedruckte "tageszeitung", allgemein taz genannt, erscheinen. Nur die Wochenendausgabe "Wochentaz" wird noch mit korrekt raschelndem Papier geliefert. Wer unter der Woche die Berichterstattung der taz verfolgen will, ist auf das Web oder eine App angewiesen, die mit einem gesampelten Raschelton startet.. Die "Seitenwende", wie der erste Papier-Abschied einer überregionalen deutschen Tageszeitung von Redaktion und Verlag genannt wird, wirft etliche Fragen und eine Erinnerung auf.

Die 1978 gegründete "tageszeitung" ist die erste überregionale Zeitung in Deutschland, die diesen Schritt wagt. Vorbild ist der Seattle Post-Intelligencer, der nach 149 Jahren als Papierausgabe seit März 2009 nur noch online erscheint. Die taz gibt sich visionär: "Es ist 2034, die demokratische Vertrauenskrise und anhaltende Flut von Fake News hat dem Journalismus ungeahnten Aufschwung beschert. Paywalls zur Monetarisierung journalistischer Inhalte haben sich inzwischen auf den Websites aller Medienhäusern durchgesetzt. Alle Medienhäusern? Nein. Die taz ist dem Grundsatz des kostenfreien Zugangs zu Journalismus treu geblieben." Abgesehen von dem falschen Plural darf man der taz zu dieser optimistischen Vorstellung gratulieren. Hinter ihr steht eine ebenso optimistische Sicht auf die Leserinnen und Leser in der nahen Zukunft: "Mehr denn je bewegen sich Nutzende spielerisch zwischen Kanälen – egal ob gedruckte wochentaz, Podcast, Social Media, taz-KI oder News-App. Schöne neue Welt!"

Schalten wir spielerisch zurück in das Jahr 2024. Nach Angaben von Statista hatte die taz eine verkaufte Auflage von 44.300 Exemplaren, von denen 25.900 als E-Paper ausgeliefert wurden. Eine Tageszeitung in 18.400 Exemplare zu drucken und zu vertreiben, ist ein teures Vergnügen, zumal in einem Betrieb, der kaum über andere Projekte quersubventioniert werden kann und in der Hand einer Genossenschaft liegt, die von Leserinnen und Lesern gebildet wird. Diese stimmten am 14. September bei der Generalversammlung der Genossenschaft über die Zukunft der taz ab. Soll man in Schönheit sterben oder die Digitalisierung durchziehen? 77 Prozent der rund 800 versammelten Genossen votierten für die Digitalisierung, 13 Prozent waren dagegen, 10 Prozent enthielten sich. Es spricht für die taz, dass mit der Nachricht auch die Kritik eines Genossen am Beschluss veröffentlicht wurde: "Wir halten Genossenschaftsanteile, damit eine linke Tageszeitung gedruckt werden kann, und wir bezahlen hohe Abogebühren, damit wir sie auch kriegen. Aber das einzige Signal ist: Wann hört ihr endlich auf mit dem Zeitunglesen?"

In der so besinnlichen Vorweihnachtszeit, in der aus "taz zahl ich!" der Slogan "Ihr Kinderlein leset!" wurde, kam noch einmal Kritik auf. Anlass war der Artikel eines Webredakteurs von taz.de, der als "Young Adult" über den Kurs der Zeitung in der "tazlage" -- einer Print-Kolumne -- schrieb: "Dass Menschen immer noch Printzeitungen lesen, freut mich, auch wenn ich es nicht komplett verstehe." Schließlich habe die taz eine neue aufgeräumte Website, die 10 Millionen Besucher im November 2024 verzeichnete. Durchschnittlich verweilten diese Besucher 136 Sekunden bei der taz. Die Aufgabe des "Young Adult" ist es, diese Verweildauer zu erhöhen, indem schlecht laufende Titel besser angeteasert werden. "Der gängigste Workflow ist, wenn uns solche Texte auffallen, die Dachzeile und den Titel zu ändern und 30 Minuten abzuwarten, ob sich die Zahlen nach der Änderung verbessern: try, fail, learn." Das geht natürlich nicht mit einer gedruckten Zeitung. Die ablehnende Antwort mancher Leserinnen und Leser veröffentlichte die taz unter der Überschrift Liebe Leser:innen, seid alle umscrollt!

Laut der Schnellberatung von Adresso ist die Domain taz.de 7.400-8.600 Euro wert. Wenn die taz unter der Woche nur noch online zu lesen ist, dürfte der Wert sicher steigen. Tatsächlich war er schon einmal höher. Als sich der Rechtsanwalt Günter Freiherr von Gravenreuth mit der taz anlegte und versuchte, vermeintlich ausstehende Geldbeträge einzuklagen, beantragte er im Juli 2006 beim Amtsgericht Tempelhof/Kreuzberg als Vollstreckungsgericht die Pfändung und Versteigerung der Domain taz.de, für die er einen Streitwert von 10.000 Euro angab. Hilfsweise sollte die Domain auf Ebay versteigert werden. Gegen dieses Ansehen legte der taz-Anwalt Jony Eisenberg sofort einen Einspruch ein, dem stattgegeben wurde. Der gesamte Vorgang war ohnehin eigentlich gegenstandslos, da die taz den geforderten Geldbetrag fristgerecht bezahlt hatte.

Das wiederum verneinte der Anwalt, der gegenüber heise online im Jahre 2007 von einem "unklaren Zahlungseingang" sprach. Das sah das Gericht in der entscheidenden Verhandlung anders: "Trotz der klarstellenden Schreiben seitens der taz GmbH hat er seine ihm bekannte falsche Rechtsansicht mit Vehemenz betrieben, weil er mit aller Gewalt die Internetdomain der taz GmbH versteigern wollte, um der taz GmbH wirtschaftlich zu schaden." Von Gravenreuth scheiterte auch im Berufungsverfahren im Jahre 2008, in dem obendrein sein Kanzleipartner als wichtigster Zeuge wegen eines defekten Weckers den Flug nach Berlin verpasste. Die ohne Bewährung verhängte Gefängnisstrafe trat von Gravenreuth nicht an.

Für die Zukunft der taz dürfte die Geschichte von der drohenden Domainpfändung eine Margininalie sein und genauso vergessen wie die lange Liste aller Domain-Namen, die der Münchener Anwalt damals pfänden wollte. Sie ist verschwunden, genau wie "Er hat einfach nicht aufgehört", ein Interview mit dem taz-Anwalt Jony Eisenberg, in dem dieser erzählt, wie von Gravenreuth flexibel den Wert der Domain nach unten korrigierte, um den Schaden seiner Finte zu verkleinern. Vielleicht hätte es auf Papier überlebt, aber auch das ist bekanntlich nicht immer geduldig. Um im Strom der laufend zirkulierenden Nachrichten mitzukommen, helfe es eben wenig, meinte mal ein tazler und schrieb dann zum Abschied vom Papier: "So lieb es mir immer war, inzwischen ist es auch schlicht zu teuer, um es täglich zu verwenden. Unersetzbar ist eigentlich nur noch Klopapier."

(nen)