Mit dem Bioadapter in eine andere Welt: Zum Tode von Oswald Wiener

Am Donnerstag ist der Künstler und Kybernetiker Oswald Wiener an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben. Er wurde 86 Jahre alt.

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(Bild: Andrey Suslov/Shutterstock.com)

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Von
  • Detlef Borchers

Er war ein Wiener Avantgardepoet, Berliner Kneipenbesitzer und Düsseldorfer Kunstprofessor. Als Jazztrompeter spielte er bei "Jesus Christbaum", als Computerverkäufer arbeitete er von 1958 bis 1966 bei Olivetti. Vor allem aber beschäftigte sich Oswald Wiener unter dem Einfluss der Schriften von Ludwig Wittgenstein und Alan Turing mit Künstlicher Intelligenz.

Diese Beschäftigung führte Wiener hn dazu, einen Bioadapter zu konzipieren, einen Glückanzug, mit dem man in einer anderen Welt wandern kann, die unschwer als Cyberspace zu erkennen ist. Von 1980 bis 1985 studierte er Mathematik und Informatik in Berlin, um seine KI-Ideen umsetzen zu können.

Oswald Wiener kam technisch am 5. Oktober 1935 in Wien zur Welt. Künstlerisch wurde er nach eigenen Angaben geboren, als er mit 18 Jahren das jüngste Mitglied der Wiener Gruppe wurde. Ende der 50er-Jahre wandte er sich von der Kunst ab, vernichtete all seine Schriften und wurde nach seiner Heirat Handelsvertreter bei Olivetti. Der Verkauf von schönen Computern und Schreibmaschinen erwies sich als Holzweg und so schrieb Wiener einen fulminanten Roman, der 1969 erschien. "Die Verbesserung von Mitteleuropa" sprengte das Format des Romans und Wiener wurde zum Anwalt der "Kiffer, Rocker, Beatniks, Schizoiden und Anarchisten" ausgerufen.

Gleich mehrere Kapitel des Werks beschäftigten sich mit der Künstlichen Intelligenz. Die wohl künstlerischste Antwort auf Probleme der KI gab Oswald Wiener mit dem unter dem Pseudonym Evo Lutz Präkogler geschrieben "nicht schon wieder ...!" und dem danach konzipierten bio-adapter. Mit einem uterusähnlichen Glücksanzug, der als künstliche Haut über den Menschen gezogen wird und die Arbeit der Sinnesorgane übernimmt, konzipierte Wiener eine sinnliche Antwort auf Alan Turing.

Auch die theoretische Auseinandersetzung mit der KI wurde von Wiener betrieben. Im Jahre 1990 erschien das einflussreiche Büchlein "Probleme der künstlichen Intelligenz", 1996 ein Sammelband zur Geschichte der Künstlichen Intelligenz und 1998 dann die "Einführung in die Theorie der Turingmaschinen".

Später lebte Wiener abwechselnd in Deutschland (Krefeld), Kanada (Dawson City) und Österreich (Mariazell). Auch die Kunst beschäftigte ihn in seinen späten Jahren wieder. Was einst mit dem Berliner Dichterworkshop begann, wurde mit dem elegischen Gesang der Schlittenhunde fortgesetzt.

Der Schweizer Schriftsteller Urs Widmer beschrieb Oswald Wiener in einer hübschen Passage, die an Walter Benjamins "Engel der Geschichte" erinnert: "Er steht indessen in der Mitte des Hofs, allein, im Treibsand, den der immer heftiger werdende Wind vor sich herbläst. Unbeweglich steht er da, den Blick auf den Horizont gerichtet. Der Sand staut sich an seinen Füßen, dann geht er ihm bis an die Waden, dann bis zu den Knien. Er schaut um sich herum. Der Wind heult, und der Sand wächst höher."

(mho)