Mit .oeko, .mode und .musik gegen ICANN

Noch ein neues Konsortium, das mehr und bessere TLDs auf den Markt bringen will.

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Von
  • Monika Ermert

Das deutsche Business Oriented Root Network (BOroon) und die französische Common Internet Newtwork Information Centers Society (CINICS) wollen ein unabhängiges europäisches Root-Server-System für Top Level Domains (TLD) aufziehen. Einen von vier Root-Servern hat man nach Aussage von Pascal Bernhard von BOroon bereits aufgesetzt, im Lauf des Jahres soll CINICS weitere sieben Server in Frankreich, Belgien, Großbritannien und Spanien einbringen. Für die über Bernhards Unternehmen cube vertriebenen 20 neuen Top Level Domains (von .auto über .kid bis .oeko und .pharma, die unter www.beat-nic.de angeboten werden), lägen, betonte Bernhard, bereits etwa 7.000 Anmeldungen vor. Erst kürzlich hatte der US-Anbieter new.net 20 neue Adressräume aufgemacht, die nicht vom offiziellen Root-Server-System der Internet Corporation vor Assigned Names and Numbers (ICANN) unterstützt werden.

"Der TLD-Markt wird derzeit von ICANN, VeriSign und Microsoft beherrscht und ist von Entscheidungen der US-Politik abhängig. Für uns in Europa ist diese Marktbeherrschung eigentlich nicht erträglich", sagte Bernhard gegenüber heise online. Man spreche der ICANN daher im Prinzip die Legitimation ab, über die Einführung neuer TLDs alleine zu entscheiden. BOroon und CINICS wollen nun im Schulterschluss mit der Szene der kleinen, alternativen Rootbetreiber in den USA (vor allem dem Pacific Network) ein eigenes Verfahren für die Zulassung und auch die Koordination eigener TLDs zulassen, das transparent und nachvollziehbar ist. Alle TLD-Anbieter, die sieben grundlegende Bedingungen erfüllen, sollen nach der Auffassung der ICANN-Herausforderer zugelassen werden.

An erster Stelle des Kriterienkatalogs steht das Prinzip "First-Come-First-Serve". Aber auch technische Anforderungen, "Vertrauen der TLD-Gemeinde", die Mitfinanzierung des Systems und Streitschlichtungsmechanismen sollen von einer eigenen Dachorganisation überprüft werden, die verhindert, das TLDs doppelt eingeführt werden. In diesen Punkten gebe es auch Auseinandersetzungen mit New.net, meinte Bernhard. "Wenn aber New.net diese Kriterien akzeptiert, würden wir sie selbstverständlich mit aufnehmen." Vorsitzender der lose organisierten Dachorganisation, des "Root Service Centers Advisory Committee" (RSASC) ist Bernhard derzeit selbst.

Eine Bündelung der wie Pilze aus dem Boden sprießenden TLD-Anbieter wäre nicht zuletzt im Sinne des RSASC, immerhin kann new.net durch Absprachen mit mehreren großen Internet-Providern theoretisch bereits 52 Millionen Nutzer erreichen. Die Absprachen der bei RSASC vertretenen Anbieter mit europäischen ISP laufen dagegen laut Bernhard derzeit erst an. Wie new.net wollen auch BOroon und CINICS per Softwareaufrüstung im Browser der User ihre eigenen Root-Server eintragen. Die schiere Masse der erreichbaren User von New.net habe ICANN dazu veranlasst, sich in einem eigenen Positionspapier speziell mit New.net auseinanderzusetzen. In einem weiteren aktuell veröffentlichten Dokument verteidigt die ICANN-Spitze ihre Legitimation bei der Auswahl und Ablehnung neuer Adressbereiche.

Die Legitimation der Neuen müsse vom Markt kommen, meint Bernhard. "Solange wir nicht groß genug sind, kann es sein, dass wir platt gemacht werden", sagt Bernhard. Das Investitionsrisiko für cube, für das es eine eigene TLD .cube geben soll, ist daher nicht gering. Immerhin eine sechsstellige Summe müsse investiert werden: "Wenn wir groß genug sind, kann mit ICANN über Waffenruhe geredet werden", glaubt Bernhard. Er könne sich eine spätere Verschmelzung seiner Dachorganisation mit der ICANN vorstellen – sofern sich ICANN anders als bisher an die an sich vernünftigen Regeln in seiner Satzung halte. Diese Hoffnung dürfte allerdings vorerst kaum aufgehen.

Die US-Lastigkeit des Root-Server-Systems – nur drei der offiziellen Root-Server stehen außerhalb der USA – sei durchaus ein Anlass zur Klage, urteilt Sabine Dolderer, Chefin der .de-Registrierungsstelle Denic. Das Denic stehe wie auch andere nationale Registrierstellen bereit dafür, einen Root-Server in Deutschland zu betreiben. ICANNs strikt ablehndende Haltung gegenüber den TLD-Rebellen ist für sie allerdings berechtigt: "ICANN ist zwar wirklich langsamer als eine Schnecke, aber eine Anerkennung dieser Anbieter würde die Büchse der Pandora öffnen." Beobachter und auch ICANN-Vertreter fürchten ein Grabbing von TLDs im Stil der bei Second Level Domains fast schon üblichen Geschäftemacherei. "Ein ICANN-Direktor hat es mal treffend so gesagt," so Dolderers Urteil, "jeder kann von seinem Badezimmer aus einen Root-Server betreiben und dann, wenn ICANN nach einem langwierigen Verfahren eine neue TLD einführt, sagen: 'Das hab ich beim mir im Badezimmer immer schon betrieben.'" (Monika Ermert) / (jk)