NGOs: ICANN hat ein Demokratie-Defizit

Ein Dutzend internationale Nicht-Regierungsorganisationen wollen die Internet-Verwaltung ICANN an ihre demokratischen Verpflichtungen erinnern.

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Von
  • Monika Ermert

Ein Dutzend internationale Nicht-Regierungsorganisationen (Non-Governmental Organizations, NGOs) wollen die Internet-Verwaltung Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) bei ihrer Sitzung in Yokohama an ihre demokratischen Verpflichtungen erinnern. "ICANN hat ein Demokratie-Defizit", heißt es im Entwurf für ein "Yokohama Statement on Civil Society and ICANN Elections". Das Papier fordert unter anderem die Trennung der Nummern- und Namensverwaltung, mehr Transparenz bei ICANNs finanziellen und politischen Entscheidungen und einen vereinfachten (Email-)Zugang zu den Wahlen von ICANN-Direktoriumsmitgliedern durch die Internet-Nutzer (At-Large-Wahl).

Kern der Erklärung ist die Forderung nach der gleichberechtigten Mitsprache individueller Nutzer bei Entscheidungen über die Reform des Domain Name System (DNS). "ICANN wurde bisher vor allem von Regierungen, der Industrie und Markenschützern dominiert. Die Mitsprachemöglichkeiten der Zivilgesellschaft, des dritten Pfeilers, waren gleich null", sagt Hans Klein, Vorsitzender des Direktoriums der Computer Professionals for Social Responsibility (CPSR). Alle Entscheidungen, die ICANN derzeit treffe, müssten auf jeden Fall überprüft werden, sobald das Direktorium entsprechend der ursprünglichen Satzung besetzt sei, meint Klein. Da die ICANN bei der laufenden At-Large-Wahl nur fünf der neun Posten besetzen will, bleibt das Direktorium weiter nicht voll entscheidungsfähig. Kritikwürdig finden die Nicht-Regierungsvertreter auch, dass ICANNs nicht gewählter Präsident qua Amt im Direktorium ist.

"Bevor DNS-Politik von ICANNs Angestellten in Kalifornien gemacht wird, müsste man doch darüber nachdenken, eine andere Organisation, etwa im Umfeld der UN, zu beauftragen", urteilt Erstunterzeichner Marc Holitscher, Politikwissenschaftler der Unit für Internet Studies des Zentrums für Internationale Studien der ETH/Universität Zürich. "ICANN muss sich daher ihrer ursprünglichen Verfassung als dezentrale, bottom-up Standardisierungsorganisation besinnen", heißt es daher im Entwurf des Yokohama-Statements. Und: ICANNs Angestellte müssten mehr Respekt für demokratische "Checks and Balances" aufbringen. Immerhin, meint Holitzscher, hätten ICANNs Entscheidungen weit reichende sozioökonomische Konsequenzen, die den einzelnen User beträfen.

Auch an anderer Stelle wollen die Unterzeichner aus Japan, Ghana, Kambodscha, Bulgarien, England, Südafrika, der Schweiz und den USA das Gewicht zu Gunsten der individuellen Nutzer verschieben. So soll ICANN für die Domain Name Supporting Organisation, die durch drei Direktoren vertreten ist, zusätzliche Gruppen, so genannte constitutencies, zulassen. Abgesehen von einer Non-Commercial Constituency würden alle anderen Interessensgruppen die Industrie vertreten, meint Klein. In Zukunft sollten aber auch Interessensgruppen für Entwicklungsländern, für kleinere Unternehmen und für private Domainbesitzer stimmberechtigt sein. Solche Initiativen hatte die ICANN bisher regelmäßig abgelehnt.

Die weitreichendste Forderung des Yokohama-Statement ist wohl die nach einer Trennung von "name and number", der Nummernzuteilung und der Organisation des DNS. Klein kann sich eine Auftrennung in "ICANN 1" und "ICANN 2" vorstellen. Dadurch werde auch ein wenig die Gefahr gebannt, dass ICANNs Position zu stark und damit die Versuchung zu groß werde, das ICANN-Mandat über die technischen Aufgaben hinaus auszudehnen. Die beste Lösung für viele Probleme des DNS, erklärt Klein, bleibe aber die Reform seiner hierarchischen, technischen Struktur. Wenn es keinen einzelnen autoritativen Rootserver mehr geben, bräuchte man auch keine komplizierten Kontrollmechnanismen mehr. Auch dem Streit um die staatliche Hoheit über die Länder-Domains (ccTLDs) werde durch die Beseitigung der künstlichen Knappheit der Zahn gezogen. Und technisch lasse sich das realisieren: "Parallele, sich überlappende TLD-Registries für supranationale, nationale, subnationale, regionale, kulturelle und andere soziale und politische Gruppierungen sollten nicht vom Root ausgeschlossen werden. Sie sind die Basis einer lebendigen Zivilgesellschaft." (Monika Ermert) / (jk)