NSA-Ausspähung: Die DDR wusste frühzeitig Bescheid

Wie umfassend die NSA ihre Alliierten nach dem jeweiligen Stand der Technik ausspionierte, wie selektiv die Amerikaner mit ihren deutschen Kollegen vom BND umgingen, war dem ostdeutschen Ministerium für Staatssicherheit seit 1985 bekannt.

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Von
  • Detlef Borchers

Die NSA-Überwachung deutscher Telekommunikation hat eine lange Tradition. Auf einer von der Wau Holland-Stiftung und von Reporter ohne Grenzen in Berlin veranstalteten Podiumsdiskussion mit dem ehemaligen NSA-Technikchef William Binney vertrat Klaus Eichner diese Ansicht. Der ehemals für das Treiben der NSA und CIA zuständige Chefanalytiker des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) berichtete, wie eine "Quelle" ihm 1985/1986 die sogenannte NSRL-Liste zuspielte, die das ganze Ausmaß der Überwachung der Alliierten durch die NSA dokumentierte.

Emblem des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR

Auf der Podiumsdiskussion berichtete zunächst William Binney wie bei seinem Auftritt auf dem Europäischen Datenschutztag, wie die NSA die Telekommunikation überwacht. Seine Anmerkungen wurden von John Goetz (Geheimer Krieg) und Holger Stark (Der NSA Komplex) ergänzt.

Stasi-Abteilungsleiter Klaus Eichner erzählte von den "NSA Requirements" aus dem Jahre 1982, einer 4000 Seiten umfassenden Liste mit Beschreibungen all der Personen und Institutionen, die für die NSA informationsmäßig von Bedeutung waren. Diese "Bestell-Liste" der NSA umfasste rund 30.000 "Einzelposten", was für Frankreich 50, für Deutschland 35 Seiten an "Bestellungen" ergab. "Es wurde niemand ausgespart, auch die eigenen Freunde nicht". Eichner sah sogar eine Parallele zum Fall Snowden: Die Quelle war ein technischer Fernmeldeaufklärer der US-Armee mit relativ niedrigem Dienstgrad. Beim MfS war man sehr erstaunt, dass eine solche Person Zugriff auf ein derart brisantes Verzeichnis hatte.

Eichner, der sein im Juni erscheinendes Buch "Imperium ohne Rätsel. Was bereits die DDR-Aufklärung über die NSA wusste" bewarb, zeigte sich unzufrieden damit, wie der Fall politisch behandelt wird. Das von der Bundesregierung vorgeschlagene, mittlerweile nicht mehr verfolgte "No-Spy-Abkommen" sei ein schlechter Witz, die Überraschung der Bundesregierung über die NSA-Enthüllungen sei gespielt.

Die Frage nach der Begrenzung der Geheimdienste sei überdies falsch gestellt: "Es gibt im Interesse eines Geheimdienstes keine rote Linie, die überschritten werden kann", sagte der ehemalige Mitarbeiter eines Dienstes, der hemmungslos die eigenen Bürger ausspionierte. "Ein Geheimdienst tut das, was er will".

Den Sündenfall sah Eichner im Aufweichen der Geheimdienste nach dem Ende des Feindbildes "Warschauer Pakt". Statt sich zu verkleinern, hätten sich alle Dienste eilig neue Aufgaben gesucht wie etwa die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und später der Kampf gegen den islamistischen Terrorismus. Hier müssten die Dienste gestutzt und verkleinert, die Polizeiaufgaben der Polizei zurückgegeben werden. Dass der BND und die NSA eng zusammenarbeiten, aber in bestimmten Bereichen nicht alle Informationen miteinander teilen, nannte Eichner das "Normalste der Welt" – in der Welt der Dienste.

Update 18.5.14 14:15h: Die geheime Liste, die dem Ministerium für Staatssicherheit zugespielt wurde, hieß abgekürzt NSRL (National Sigint Requirements List). Die Quelle, der Unteroffizier der Fernmeldeaufklärer, James W. Hall gehörte zur US-Armee und war kein Bundeswehr-Angehöriger. (anw)